Im "Tagebuch eines Buchhändlers" von Shaun Bythell begleiten wir den schottischen Besitzer des Buchladens "The Bookshop" in dem schottischen Bücherstädtchen Wigtown, im südlichen Schottland gelegen, ein Jahr lang bei seinen vielfältigen (und nicht immer leichten oder lustigen) buchhändlerischen Tätigkeiten.
Erschienen ist das Buch im btb-Verlag, Verlagsgruppe Randomhouse als TB (2019) und es umfasst 446 Seiten, die einen Blick "hinter die Kulissen" eines Buchhändlers durchaus gewähren; inklusive eines kurzen Blicks in die Persönlichkeit des Autors sowie seiner Leidenschaft für Bücher (ohne die man auch sicherlich keinen Buchladen führen sollte ;)
Ausser dem Autor und Inhaber von "The Bookshop" selbst lernt man viele weitere Menschen kennen, die als Verkäufer von Büchern auftreten (täglich mehrere) und natürlich den Kunden, die nach seltenen Büchern suchen. Mitarbeiter gibt es wenige; da ist Nicky, die zum Laden gehört wie die Bücher, die als bescheiden und großzügig mit dem, was sie hat, (besonders an den Feinschmeckertagen freitags ;) dargestellt wird, aber auch chaotisch ist und eigene Themen auf Schildern anbringt, die Shaun hinterher wieder entfernen muss. (Sie ist persönlich in einem youtube-Video zu sehen; zudem ein wirklich sehenswertes Video namens "Reader's Delight", das von Shaun Bythell und anderen produziert und bei youtube eingestellt wurde, das sich musikalisch aus dem bekannten Song "Rapper's Delight" ableitet - sehr köstlich und absolut sehenswert nach Beendigung der Lektüre!
Ausser nörgelnden und auch netten Kunden wie Mr. Deacon wird auch klar, dass der Ankauf der Bücher, die sich zum Wiederverkauf im Laden (oder auf ebay oder beim bösen Riesen amazon lohnen), für den erklärten und leidenschaftlichen Freizeitfischer Bythell ein ähnliches Beuteschema aufweist, das ihm sehr gefällt (was man sich als Leser nur allzu gut vorstellen kann;)
Der Autor beschreibt "die Vorfreude, Bücher anzukaufen wie ein Netz, das er auswirft und nie weiß, was sich darin verfangen hat" (Zitat S. 56).
Er setzt sich u.a. dafür ein, dass Wigtown und Galloway - ein bisher von "Visit Scotland" sehr vernachlässigter, aber schöner Teil im Süden Schottlands, mehr in den Fokus gerückt wird und in Wigtown gibt es ausser einem Frühlingsfest auch ein Festival, das immer Ende September stattfindet und in das alle Buchhändler involviert sind. Eine Menge Arbeit, viele Menschen (auch Schauspieler und Theatermacher), die auftauchen und - nach dem Festival wieder verschwinden. Diese Phase fand ich interessant und man bekommt als bibliophiler Leser große Lust, einmal dabei zu sein und alle Buchläden und Events während des Festivals zu besuchen.
An Skurrilitäten mangelt es dem Tagebuch von Shaun Bythell nicht; sei es der ewig griesgrämige Postbeamte aus Nordirland oder die blinde 93jährige Frau, die immer telefonisch Bücher für ihre Enkel bestellt; sei es "Handtaschen-Dave" oder die deprimierte Waliserin - Unterhaltungswert und schottischer Charme vereinen sich grandios in diesem Buch. Aber auch die Schattenseiten des Buchhändlerberufs spart Bythell nicht aus:
Durch das Internet und vor allem die Branchenriesen (Verlagsketten) sowie amazon (wobei er besonders auf amazon und Kindle-E-Reader nicht gut zu sprechen ist, was ich durchaus mit ihm teile) haben es sowohl kleinere Verlage als auch Autoren schwerer als früher, besonders auch die kleinen und unabhängigen Buchhandlungen, wirtschaftlich am Leben zu bleiben. Früher wurden seltene Bücher über Antiquariate gesucht: Heute bestellt der Kunde selbst im Internet sein gesuchtes Buch - auch "Print-on-Demand" zeigt sich als Feind der Antiquariate.
Diese Hintergründe fand ich sehr spannend und interessant. Ein Highlight stellt das Foto des abgeschossenen Kindle dar (selbsterlegt vom Besitzer ;), das Shaun in einem der Räume aufhängte. An Selbstkritik mangelt es ihm auch nicht, da er wohlweislich feststellt, dass er eine Umgestaltung des Ladens vornahm - mit einer großen Eichentheke, um "sich vor den Kunden besser schützen zu können" ;)
Im Gegensatz zu vielen BerufskollegInnen spezialisierte sich Bythell nicht, jedoch stellt er fest, dass bestimmte Themen sehr gut über die Ladentheke gehen: Z.B. alles über Eisenbahnen....
Jedes Kapitel beginnt mit einem Zitat aus George Orwell's "Erinnerungen an eine Buchhandlung" sowie mit der Nennung der online-Bestellungen und der gefundenen Bücher. Nach jedem Tag im Jahreszyklus hält er in seinem Tagebuch die Einnahmen (sehr variierend!) und die Anzahl der Kunden fest (dito). Eine Menge Enthusiasmus, ein Gespür für Bücher und sehr viel Leidenschaft ist vonnöten, um diesen Beruf mit Begeisterung und über Jahre auszuüben, scheint mir. Im täglichen Kampf gegen die Konkurrenz im Internet und dem Schwanken des Ratings in den Online-Portalen, denen sich heutige Antiquariate anschließen müssen, um zu überleben.
Ein sympathischer Einblick in die Sonnen-, aber auch in die Schattenseiten heutiger Buchhändler, den ich sehr interessant fand, auch ein wenig über den Autor erfahren habe und feststellte, dass ich dessen Abneigungen gegen das elektronische Lesen und E-Reader (noch immer) durchaus teile:
Irgendwo schrieb er, dass es einen Trend gebe, "wieder mehr mit Schallplatten und richtigen Büchern gesehen zu werden" - ich bin mir da nicht so sicher. Doch wenn es ihn gibt, hoffe ich sehr, dass er anhalten möge ;)
Ich empfehle allen Lesern, die gerne selbst eine Buchhandlung betreiben würden (und wer würde das nicht gerne) und allen an der Thematik interessierten Lesern dieses Buch sehr gerne weiter; ich fand es aufschlussreich, skurril, teils witzig - und unterhaltsam!