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Veröffentlicht am 07.02.2025

Der Meister der Tragikomik

Man kann auch in die Höhe fallen
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"Man kann auch in die Höhe fallen" von Joachim Meyerhoff erschien (2024, HC geb., 368 S.) im KiWi-Verlag (Kiepenheuer & Witsch). Ohne bereits alle Teile zu kennen, hat mir dieser Roman wie der vorige, ...

"Man kann auch in die Höhe fallen" von Joachim Meyerhoff erschien (2024, HC geb., 368 S.) im KiWi-Verlag (Kiepenheuer & Witsch). Ohne bereits alle Teile zu kennen, hat mir dieser Roman wie der vorige, von mir gelesene (Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke) der autofiktionalen Romanreihe des Autors "Alle Toten fliegen hoch", die allesamt bestimmte Teilabschnitte seines Lebens in höchst vergnüglich zu lesender Weise beschreiben, sehr gut gefallen.


Inhalt:


Nach einem unangenehmen Vorfall beim Kindergeburtstag seines 9jährigen Sohnes beschließt der Autor, dass er eine Weile bei seiner Mutter in Schleswig-Holstein, nahe der Ostsee, verbringen wird. Nach vielen Jahren in Wien, wo er als Schauspieler lebte, zog es ihn und seine kleine Familie nach Berlin, um einen Neuanfang zu starten, nachdem ihn ein Schlaganfall sehr gebeutelt hatte. Immer mürrischer werdend, möchte er zum Schreiben zurückfinden (die Geschichten hatten ihn früher immer angeflogen, tummelten sich in seinem Kopf und wollten erzählt werden); Berlin jedoch machte es ihm schwer, heimisch zu werden.

So kommt der blasse und angeschlagene Sohn (Mitte 50) bei seiner agilen, 86jährigen Mutter an, mit dem Vorsatz, morgens zu schreiben und nach dem Mittag der Mutter im großen Garten zur Hand zu gehen. Nicht ahnend, dass er weniger seiner Mutter, als diese ihm helfen wird, wieder in die eigene Mitte zurückzufinden...


Meine Meinung:


Joachim Meyerhoff hat eine ungewöhnlich authentische, genial amüsante und tiefgründige Art, seine Lebensgeschichte in Form vieler Anekdoten (die auch als solche im Roman genannt wird und es lt. Autor schwerer hat als andere Literaturgattungen) und Rückblicken so zu erzählen, dass es schon ein literarischer Genuss ist, dieser Form von intelligenter Unterhaltung, in die so manche Lebensweisheit eingestreut ist, zu frönen.


Die Mutter entpuppt sich als äußerst agil, sie ist in einem Literaturkreis, kümmert sich mit Liebe und Hingabe allen im parkähnlichen Garten befindlichen Pflanzen, wobei sie niemanden auf die verschiedenen Ausführungen von Rasenmähern lässt, da niemand so gut mähen kann wie sie; kann sich blitzschnell verwandeln (vom sportlichen Garten-outfit zu einer glamourösen Gastgeberin, wenn die alten Damen von der Domkantorei kommen), mag Whisky und im Meer schwimmen, liebt es, in der Sauna noch andere wichtige Dinge zu tun, wie währenddessen eine Sense zu schleifen (da ihr sonst furchtbar langweilig ist); klettert von allen am besten, wenn es um die Apfelernte geht - und beeindruckt am Ende noch durch eine Reise nach Marrakesch, wobei sie ihren Sohn verwaist zurücklässt (bloss keinen Rasen mähen!), der auch glatt in eine traurige Dauerphase zurückfällt: Doch was anfangs nicht klar ist, kristallisiert sich immer mehr, durch jede Aufgabe, die kein Ende nimmt, da schon die nächste wartet (und J.M. erkennt, dass es eine Art Überlebensstrategie seiner Mutter ist): Die Aktivitäten an der frischen Luft, im Garten und am Haus tun ihm ungeheuer gut. Aufgepäppelt von der Mutter, fühlt er sich nach einigen Wochen sehr viel besser und liest, ein Glas Whisky in der Hand von beiden, abends seiner Mutter die Geschichten vor, die er tagsüber schrieb. (Seine Mutter liebt Geschichten).


"Nicht erzählte Geschichten, wurde mir klar, können sich entzünden und zu einer lebensbedrohlichen, poetischen Sepsis führen" (Zitat S. 13)


Die Art seiner Mutter, die immer 'in action' ist und 'deren Bewegungen immer eine Richtung hatten, die nie irgendwoher kam, sondern immer irgendwo hin wollte' (S. 44) scheinen auf den Sohn überzugehen; witzige, fantasievolle Gedanken zum Alter vs. Jungsein finden sich wie viele andere humorvolle Anekdoten, die die beiden während ihres Zusammenlebens miteinander erleben. Meyerhoff gibt auch hier Rückblicke in seine Schauspielkarriere, die sehr aufschlussreich und interessant sind wie in seine Kindheit, in der wir ihn mit seiner Familie auf dem Weg nach Dänemark begleiten dürfen. Es geht also auch um Kindheitserinnerungen und "Mutterbegebenheiten", während die noch immer nicht bezugsfertige Wohnung in Berlin und das "Zwischenwohnen" in einem Hotel für ihn, Sophie und den kleinen Sohn eine wahre Herausforderung und Zerren an den Nerven darstellt. Wir lesen von horrend teuren Kellerentrümpelungen in Wien und folgen gebannt einer "Koffer-Story", die es in sich hat.


Eine meiner "Lieblingsanekdoten" ist die Offenbarung, dass Joachim Meyerhoff, bedingt durch viele Gartenarbeiten, die eben auch die nötigen Gerätschaften und Ersatzteile brauchen, einem Baumarkt inzwischen ebensoviel Zuneigung entgegenzubringen scheint wie seine Mutter: Er philosophiert über die 'Langmut der Dübel und die Gelassenheit der Nägel':


"Tagein, tagaus nichts zu tun und mit zig Gleichgesinnten in einem Kistchen dösen. Dann einmal kurz leiden und ein paar Schläge auf den Kopf bekommen. Und schon hatte man seine Daseinsberechtigung erlangt" .(Zitat S. 169)


Konnte es ein sinnvolleres Dasein geben als das eines Nagels? Darauf kann nur ein Joachim Meyerhoff kommen, scheint mir und lese schmunzelnd auch seine tiefgründigen Gedanken, das eigene Leben betreffend bei den Versuchen, ein Regenfass wieder dicht zu machen; herrlich! Als dann in Lübeck die Mutter auch ganz selbstverständlich bei einer Lesung des Autors "einspringt" (und großen Erfolg hat), freut man sich auch über die große Nähe und das Verständnis zwischen Mutter und Sohn, der hier 'unpässlich' war und fasziniert seiner Mutter zuhört....


Fazit:


Auch dieser Teil der in der Ich-Form geschriebenen Romanreihe überzeugt durch den authentischen, humorvoll-grotesken, unvergleichlichen Schreibstil des Autors, der geistreich, witzig, tiefgründig, zuweilen poetisch und amüsant zu lesen ist: Vor der Agilität seiner Mutter kann ich mich nur verneigen (denke jedoch, dass sie mit 86 da eher eine der bundesdeutschen Ausnahmen darstellt). Ich kenne J.M. nicht als Schauspieler, bin jedoch sicher, dass er mit ebenso viel Leidenschaft auf der Bühne steht oder stand wie er in dieser Reihe schriftstellerisch tätig ist und seine Texte von Anekdoten gespickt sind, in der sich womöglich so manche/r schmunzelnd wiederfindet! Unterhaltung auf höchstem Niveau und eine absolute Leseempfehlung von mir!


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Veröffentlicht am 05.01.2025

Ein gelungener Genremix

Das Haus der Bücher und Schatten
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"Das Haus der Bücher und Schatten" von Kai Meyer (erschienen 2024 im Knaur Verlag; HC, geb. 526 S.) entführt die Leser wiederum ins Graphische Viertel der Bücherstadt Leipzig (1933) und lässt sie an der ...


"Das Haus der Bücher und Schatten" von Kai Meyer (erschienen 2024 im Knaur Verlag; HC, geb. 526 S.) entführt die Leser wiederum ins Graphische Viertel der Bücherstadt Leipzig (1933) und lässt sie an der Reise zweier Lektoren, die miteinander verlobt sind, ins Baltikum (genauer gesagt ins frühere Livland) teilhaben, die teils schaurig und unheimlich ist.


Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen, zum Einen im Jahr 1933 (Leipzig) und zum Anderen 20 Jahre früher, 1913 im Baltikum: In Leipzig wird der Nachtwächter und frühere Kriminalkommissar Cornelius Frey Zeuge eines beabsichtigten Selbstmords: Bei seinem Streifzug durch die Nacht rettet er ein Mädchen, das sich von einer Brücke auf die Gleise eines herannahenden Zugs werfen will. Sie stellt sich mit dem Namen Undine vor, wie sich jedoch später herausstellen sollte, handelte es sich um Emilie Abel. Später lernt man ihre Freundin Leontine kennen und begreift, dass beide ein nicht ungefährliches Leben haben: Emilie wird zusammen mit einem Polizisten namens Josef Zirner in der Nähe der Bibliothek erschossen; wollte sie bei Cornelius um Hilfe bitten? Da dieser wieder in die Reihen des Kriminalkommissariats zurückkehren durfte (und sich beweisen muss unter der neuen NS-Führung), nimmt er sich dieses Falles persönlich an und entdeckt, dass der frühere Kollege Zirner sich eher mit Cold Cases beschäftigen konnte, in dem er sich in den Deckmantel eines überzeugten Nazis hüllte: Zirner versuchte, das spurlose Verschwinden seines Bruders 20 Jahre zuvor aufzuklären: Jonathan Zirner war mit Paula, seiner Verlobten, ins Baltikum aufgebrochen, um das Manuskript eines erfolgreichen Schriftstellers (Aschenbrandt) von dort mitzunehmen; beide kehrten jedoch nie nach Deutschland zurück.


Die Handlung 1913 erweist sich als etwas undurchschaubar und auch unheimlich, da das Anwesen "Hundsheide", das der Familie Choriander gehört, Paulas Albträume noch verschlimmern. So sieht sie ein junges Mädchen vor ihrer Kammer, das "sie weinen alle im Keller ohne Treppe" flüstert. Da sie Zugang zu allen Räumen hat und ihr Verlobter sein eigenes Manuskript redigiert, versucht sie, herauszufinden, was es mit diesen Träumen auf sich hat: Dies sollte sich als alles andere als ungefährlich erweisen, für alle Beteiligten im verschneiten 'Haus Hundsheide'.


Cornelius Frey versucht nun, die Zusammenhänge zwischen Zirners Ermittlungen im Verborgenen und der Tatsache, dass auf Emilies Arm "Hundsheide" stand, weiterzuverfolgen. Unterstützung hat er dabei von seiner Freundin Felicie und später von Leontine. Jedoch weiß auch diese nicht, wer das 'blaue Buch' von Emilie haben könnte und ob es existiert: Hier könnte der Mörder von Emilie und Josef Zirner genannt sein...


Der Roman ist eine sehr gelungene Melange aus historischem Roman (das Erstarken der NS-Diktatur ist spürbar, die Verbrennung unerwünschter Bücher etc.), Kriminalroman und Fantasy, die vor allem im Baltikum als unheimliche Schatten den Handlungsverlauf begleiten. Im letzten Romandrittel zieht die Spannung sehr an und es gibt sowohl 1913 als auch 1933 einen Showdown, der mir persönlich jedoch (Leipziger Erzählstrang) teils zu konstruiert, zu brutal und ein wenig unrealistisch dargestellt war. Dennoch ist dieser weitere Roman, der sich auch um Literatur dreht und um die historische Bücherstadt Leipzig, lesenswert und erhält von mir eine Empfehlung und 4*.

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Veröffentlicht am 22.11.2024

Tolles Grundkochbuch für alle Lebenslagen

Mach's lecker!
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"Mach's lecker!" von Tim Armann (UT "Der Anfang von richtig gutem Essen") erschien (HC, geb., 223 Seiten) 2024 im dk-Verlag, München.


Die Idee des Autors und seinem Team, das das Entstehen dieses wirklich ...

"Mach's lecker!" von Tim Armann (UT "Der Anfang von richtig gutem Essen") erschien (HC, geb., 223 Seiten) 2024 im dk-Verlag, München.


Die Idee des Autors und seinem Team, das das Entstehen dieses wirklich tollen Kochbuchs, das nicht nur mit leckeren Rezepten, sondern auch mit vielen basics und Wissen sowie Tipps und Kniffen punktet, gefällt mir sehr! Manchem ist Tim Armann bereits ("Brot mit Ei") durch soziale Medien wie tiktok, youtube und instagram bekannt. In dem er sein Wissen mit anderen teilt und dies hier in einem Buch vorstellt, ist er der Überzeugung dass jeder kochen kann und will dazu Inspirationen geben, auch Ungeübten und noch-nicht-Köchen, in die Küche zu gehen und loszulegen - in diesem Zusammenhang finde ich die Unterteilung der drei Schwierigkeitsgrade sehr gut. Der Autor gibt Interessantes über Geschmack, Geschmacksaufbau weiter, nennt erforderliche Küchenutensilien, hilft dabei, clever einzukaufen und zu bevorraten bis hin zu Kühlschranktipps und Garmethoden als Basics, die ich so auch selten in einem Kochbuch sah und besonders hilfreich für newbies sein dürften, die unter gewissen "Schwellenängsten" an Küchentür und besonders am Herd leiden - hier schafft Tim Armann Abhilfe!


Die verschiedenen Kategorien bestehen aus Brühen & Saucen; Vorspeisen und Snacks; Veggie, Pasta, Fleisch, Seafood, Backen, Süßes und Flavour Hacks.


Die leckeren, abwechslungsreichen Gerichte und Rezepte sind step-by-step gut erklärt und dadurch sehr gut nachzubereiten, tolle Fotos dazu liefert Annika Krüger, die einem das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen und Lust weckt, selbst in die Küche zu eilen... Folgende Gerichte gehören ab sofort zu unseren Lieblingsrezepten:


- Hummus mit Ei; Baba Ganush (leckerer Dip), grüne Shakshuka, Blumenkohl Levante-Style, Pfannen-Camembert, Kräuterravioli, Boeuf bourguignon, Moules frites und Fladenbrot aus der Pfanne (mit Öl-Kräuter-Dip, sagenhaft lecker!). Auch der Karottenkuchen und die Zimtschnecken à la Tim Armann werden demnächst ausprobiert, genauso wie der French Toast.


Das Tüpfelchen auf dem 'i' sind die Flavour Hacks, fantastisch! (Knobiöl, Kräuter- und Zitronenbutter z.B.) und besonders genial fand ich die Aufteilung nach Themen am Buchende nach Themen zu Anlässen und den entsprechenden Rezepten von Brunch, erste Rezepte, 'macht Eindruck' bis zur Kaffeetafel. Auch das Register am Ende des Kochbuchs lässt die Lieblingsrezepte schnell wiederfinden.


Fazit:


Ein lässiges, leckeres und unglaublich übersichtliches Grundkochbuch für alle, die mutiger in der Küche werden wollen. Sehr strukturiert, gut erklärt, auch für Küchen-newbies! Meine Empfehlung; ganz besonders vielleicht "einem, der auszog und sich nun selbst mit dem Herd konfrontiert sah" - aber auch geübteren Köchen und Köchinnen. Von mir die Bestnote und 5*


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Veröffentlicht am 18.11.2024

Wundervolles Plädoyer für ein Leben in Gemeinschaft

Wohnverwandtschaften
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"Wohnverwandtschaften" von Isabel Bogdan (HC, geb., 272 S.) erschien 2024 im KiWi-Verlag, Köln. Ich kannte die Autorin bereits von ihren hervorragenden Übersetzungen her (Jane Gardam) und dem drollig, ...

"Wohnverwandtschaften" von Isabel Bogdan (HC, geb., 272 S.) erschien 2024 im KiWi-Verlag, Köln. Ich kannte die Autorin bereits von ihren hervorragenden Übersetzungen her (Jane Gardam) und dem drollig, witzigen Roman "Der Pfau". Mit diesem neuen Roman hat sie sich nun endgültig in mein Herz (auch für WG's, in denen auch ich in StudentInnenzeiten gerne lebte) geschrieben.


"Jörg ist bei uns das Mehl, die Trägermasse, ohne ihn geht gar nicht. Vielleicht bin ich das Wasser, ich halte den Teig geschmeidig. Ich glaube, Anke ist die Eier, sie macht ihn fluffig und nimmt die Klebrigkeit raus. Mit Eiern ist schon super, und wir haben zu dritt ja auch wunderbar funktioniert, aber seit Constanze da ist, sind wir was Besonderes. Constanze ist die Kräuter. Das werden die besten Spätzle ever." (Murat)

Quelle: Buchrückentext


Besser kann man die vier sehr sympathischen Bewohner der WG, die sich von einer Wohngemeinschaft eher zu einer Wohnfamilie mausert, nicht beschreiben: Da ist Jörg (68), dessen Frau verstarb und der nicht alleine wohnen wollte. Weshalb Murat (um die 30) und Anke (Ü50) bei ihm einziehen konnten (und damit wieder "Leben in der Bude war, was Jörg sehr mag). Zu diesen Dreien gesellt sich, so beginnt dieser wirklich schöne, herzergreifende Roman nun auch Constanze (35), die sich von ihrem Lebensgefährten Flo trennte und auf die Schnelle als Übergangslösung in die bestehende Wohngemeinschaft einzog: Im Romanverlauf stellt sie vergleichend fest, dass dies viel eher ihrer Lebensart entspricht und die WG wird mehr und mehr zu ihrem Zuhause, das sie nicht mehr missen möchte.


Hierfür könnte es vielerlei Gründe geben: Murat, ein starker, kluger und lebenslustiger junger Mann, der auch sehr empathisch ist und "ein zuverlässiger-in-den-Arm-Nehmer" und "zum Lachen Bringer" (Anke) kocht gerne für die ganze WG (sein Lieblingsspruch, auch wenn andere kochen) "Boah, riecht das geil!" 'durchzieht' von Zeit zu Zeit den Roman und brachte mich zum Lachen (und erinnern, da ich alle 11 Tage für 11 Leute bzw. 2 WG's kochen musste; an den übrigen 10 durfte ich mich an den Tisch setzen . Murat liebt seinen Garten, aus dem er das zaubert, was wenig später auf den Tisch kommt und erfreut sich an allem - ja am Leben selbst. Wir begleiten ihn zu seiner Hobby-Fußballmannschaft, seinen 'Habibis' und feiern mit ihm Geburtstag, da er Gäste liebt (ebenso wie Jörg). Einmal zeigt der lebensfrohe und stets gutgelaunte, andere aufrichtende Murat auch eine Schwäche (auf der Hollywoodschaukel bei Constanze, die die WG seiner Meinung nach erst komplett machte) und ist mir deshalb umso sympathischer.


Ebenso wie die anderen; Constanze, Zahnärztin mit Klavier, das eigentlich zu groß für ihr Zimmer ist und sie daher lange Zeit mit einem blauen Fleck am Bein herumläuft; Anke,Schauspielerin, die als über 50Jährige kaum Aussichten auf eine Rolle hat, jedoch am Romanende auf goldenen Boden fallen sollte und Jörg, der mit Mathias eine Reise in seinem alten Bulli nach Georgien unternehmen möchte, zuvor aber noch "sich selbst und den Bulli durchchecken lassen will". Nach einer Operation im Sommer wundern sich alle, dass Jörg noch immer (und immer öfter) "verpeilt" wirkt, auch wenn dessen Sohn lapidar meint, dass sein Vater schon immer etwas 'verpeilt' gewesen ist. Eine beginnende Demenz nimmt Formen an, die alle noch enger zusammenrücken lässt und offen beratschlagen, was nun am besten zu tun sei. Die auch alle an ihr persönliches Limit bringt, besonders Anke, die oft bei Jörg bleibt, weil alle ihn nicht mehr alleine lassen mögen. Bei einem Essen (georgisch) muss Sebastian, der in Südfrankreich mit Familie lebende Sohn, erkennen, wie es um seinen Vater steht.... Kann die Wohngemeinschaft, die sich längst zu einer Wohnfamilie entwickelte, bestehen bleiben oder muss jeder nochmal den Wegweiser des Lebens neu setzen? (Angebote gibt es, der Ausblick ist positiv, selbst für Anke).


Berührend in dieser Frage ist das Weihnachts- und Silvesterfest, das alle gemeinsam feiern, sich auf dem Sofa zusammenkuscheln, während Jörg mit Alien, dem Hund schmust: Sie möchten "sich festhalten, möchten Jörg festhalten, möchten das Leben festhalten und das Scheißlametta." (Zitat S. 266)


Der Stil Isabel Bogdans ist klar und schnörkellos; stellenweise sehr humorvoll und die Figuren sind überaus sympathisch, dabei so fein gezeichnet, dass sie fast real wirken (manche würde die Zusammenkunft solch' liebevoller Figuren vielleicht sogar etwas idealistisch sehen können). Aber gibt es nicht Lebenslagen, Situationen, die das Beste in uns herauskitzeln können? Daran glaube ich fest und habe Jörg, Murat, Anke und Constanze sehr gerne durch eine gewisse Zeit in der WG, pardon Wohnfamilie, begleitet und sie näher kennengelernt. Tiefgang war hier auch nicht zu vermissen, trotz des humorvollen Untertons, für den schon Murat oft sorgte (was ebenfalls eine Geschichte hat).


Fazit:


Ein humorvoller, warmherziger und lebenskluger Roman mit viel Tiefgang. Schnörkellos und klar geschrieben mit sehr sympathischen Figuren, die die Wohnfamilie bevölkern: In der einer für den anderen einsteht; Gemeinsinn vorhanden ist (besonders im letzten Romandrittel, der von einem ernsten Thema durchdrungen ist). Ein Plädoyer für Mitmenschlichkeit und die Wohnformen des Zusammenlebens, in der auch die sog. "Lavendelehe" wieder Einzug hält. Wofür bereits die Miet- und Lebenshaltungspreise sorgen könnten.

Meine absolute Leseempfehlung an alle früheren, jetzigen und zukünftigen WG-BewohnerInnen für die Geschichte dieser ganz besonders sympathischen Wohnfamilie und ein dankeschön an die Autorin - es wäre nicht verkehrt, würde es viele Murats, Ankes, Constanzes und Jörg's geben :D 5* von mir!

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Veröffentlicht am 17.11.2024

Erneuter Aufruhr im Mädchenpensionat an der Mosel

Schwestern im Geiste
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"Schwestern im Geiste" von Marie Pierre ist der zweite Teil der geplanten Trilogie um das "Pensionat an der Mosel". Wie bereits der Vorgänger hat mir auch dieser Roman sehr gefallen und um einige historische ...

"Schwestern im Geiste" von Marie Pierre ist der zweite Teil der geplanten Trilogie um das "Pensionat an der Mosel". Wie bereits der Vorgänger hat mir auch dieser Roman sehr gefallen und um einige historische Informationen der Grenzregion, der auch ich entstamme, bereichert. Mit der heutigen "Großregion SaarLorLux", in die ich vor fast 20 Jahren zurückkehrte, spürt man das Besondere, dass man vom Nachbarn Frankreich und auch Luxemburg nicht sehr weit entfernt ist, sondern beide Länder, besonders das Département Lothringen, nun der Region 'Grand Est' angehörend, einen Katzensprung entfernt ...

Der Roman erschien (tb, brosch., 557 Seiten) 2024 im Heyne-Verlag (Verlagsgruppe Penguin Randomhouse) und an den eigentlichen Romanteil schließen sich ein informatives Nachwort, eine Karte von Thionville/Diedenhofen ein Glossar und Reisetipps zur Region nebst einer Aufzählung der wissenschaftlichen Beratung an. Besonders schätze ich an den Romanen von Marie Pierre/Maria W. Peters die qualifizierte und genaue Recherchearbeit, die ihre Romane für mich zu etwas ganz Besonderem machen.

Thionville/Diedenhofen, 1911:

Zwischen Pauline Martin und dem preußischen Hauptmann Erich von Pliesnitz hat sich eine tiefe Freundschaft entwickelt. Auch wenn Pauline sich manchmal nach ihm sehnt, ist eine Liebesbeziehung für sie als Lehrerin undenkbar. Noch stärker als zuvor konzentriert sie sich auf ihre Schützlinge und stellt eine zusätzliche Lehrkraft ein. Rhona O'Meally soll ihren Schülerinnen nicht nur die englische Sprache, sondern auch die irische Kultur näherbringen. Rhona sorgt für frischen Wind, hat jedoch ein gefährliches Geheimnis. Als es im Pensionat zu Diebstählen kommt und in Diedenhofen vermehrt antipreußische Schmierereien auftauchen, gerät Pauline selbst in Verdacht. Die politischen Spannungen verhärten sich, in der Moselstadt und in ganz Europa. Und Pauline muss kämpfen. Für alles, was ihr wichtig ist.

(Quelle: Buchrückentext des Verlages)

Wie im ersten Band der Reihe sind hier politische Ereignisse in den Kontext eines von Pauline geführten Mädchenpensionats hervorragend eingewebt. Das preußische Militär hat die Grenzregion besetzt und nicht jeder Lothringer ist ein Freund der Deutschen. Pauline jedoch stellte bereits des öfteren fest, dass Erich von Pließnitz, ein preußischer Hauptmann, sein Herz am rechten Fleck hat und ihr sowie ihrem Pensionat beisteht, sollte der Schatten eines Verdachts auf sie und ihr resolut, aber auch untadelig geführtes Institut fallen. Dieses Mal in Form von üblen Schmierereien an den Wänden einer Kaserne und in Form von Diebstählen im Pensionat. Dieser Umstand lässt eine Spannung erwachsen, die sich gegen Romanende noch steigert und man schmunzelnd darüber liest, wie Erich zu Hilfe eilt und dennoch in seiner preußischen Militärrolle festzustecken scheint (er ist ansonsten der Welt der Frauen nicht zugetan und Pauline bildet da eine große Ausnahme). Die Ziele von Pauline's Pädagogik sind für die Zeit vor 100 Jahren sehr fortschrittlich und gefallen auch dem Hauptmann: Sie möchte die Mädchen zu Selbständigkeit und kritischem Hinterfragen und Denken anregen, auch die Kultur Lothringens mit ihren Werten ist ihr wichtig. Besonders aber liegt ihr ein friedliches Miteinander am Herzen. Dieses kommt intern zum Wanken, als Charlotte, Tochter aus adligem Hause Esther, ein Mädchen mit jüdischem Familienhintergrund bezichtigt, ihr Sachen gestohlen zu haben. Hier werden gar antisemitische Züge deutlich, die es zu dieser Zeit nicht nur im Mädchenpensionat gab und gegen die Pauline mit all ihren zur Verfügung stehenden Mitteln vorgeht.

Der Autorin geht es vor allem um die Gefühls- und Denkwelten ihrer ProtagonistInnen, und die Darstellung derselben ist ihr hervorragend gelungen, eingebettet in die politische Situation der Grenzregion vor 100 Jahren und den Spannungen vor dem Ausbrechen des 1. Weltkrieges. Sehr klar wird auch, wie undenkbar es scheint, dass eine lothringische Lehrerin und ein preußischer Hauptmann zusammenkommen könnten, da die gesellschaftlichen Konventionen eine Sprache sprechen, die solcherlei Verbindung absolut unmöglich macht. Dennoch wünscht man sich für Pauline und Erich, die man nach beiden Romanteilen noch fester ins Herz geschlossen hat, nichts sehnlicher als dass dennoch eine Verbindung zustande kommt.

Begeistert schlägt man nach der Lektüre des Romans und des sehr lesenswerten Nachworts der Autorin mit Querverweisen zur Historie das Buch zu - und freut sich auf den dritten und finalen Teil und darauf, Pauline und Erich wiederbegegnen zu können! Meine Leseempfehlung (nach Band 1 am besten) und 4,5 *

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