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Veröffentlicht am 24.06.2024

Die unverblümten Briefe aus der Rathbone Road

Gute Ratschläge
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"Gute Ratschläge" von Jane Gardam erschien (HC, geb., 316 S.) im Verlag Hanser Berlin, 2024.

In Großbritannien bereits seit den 70er Jahren (sie begann mit 43 Jahren zu schreiben, als ihr drittes Kind ...

"Gute Ratschläge" von Jane Gardam erschien (HC, geb., 316 S.) im Verlag Hanser Berlin, 2024.

In Großbritannien bereits seit den 70er Jahren (sie begann mit 43 Jahren zu schreiben, als ihr drittes Kind eingeschult wurde) eine literarische und mit einigen Preisen ausgezeichnete Größe, wurde sie in Deutschland erst sehr viel später bekannt: Das "Gardam-Universum" konnte man erstmals in Übersetzung in der Trilogie um 'Good Old Filth' betreten. Seit dieser Zeit habe ich es nicht mehr verlassen, da ich von jedem Roman Gardam's sowohl sprachlich wie auch thematisch mehr als begeistert bin und mich über jede Neuerscheinung freue; so auch diese:


Elizabeth Peabody, 51, zurückgekehrte Diplomatengattin aus der Londoner Rathbone Road, in der natürlich weitere Expats wohnen, hat die Angewohnheit, ihren Nachbarn Briefe zu schreiben, in denen sie ihnen stets 'gute Ratschläge' gibt. Die Nachbarin Joan, die so ganz anders geartet ist als Eliza, beschließt eines Tages, Mann und Kinder zu verlassen, um die Welt zu bereisen, was Eliza wiederum veranlasst, Joan zahlreiche Briefe zu schreiben, die sie an eine Adressenliste richtet, die in den nahen Osten und nach Asien führt: Eine Antwort erhält sie nie, doch das scheint ihrer Schreibwut keinen Abbruch zu tun, ganz im Gegenteil....


Inhalt dieses herrlich zu lesenden Romans ganz in der Manier und dem unnachahmlichen Schreibstil der Autorin sind nun diese Briefe, die Eliza erst ermahnend (Joan möge doch zurückkommen) und später mehr oder wenig erzürnt absendet (oder auch nicht; das weiß sie später selbst nicht mehr so genau). Spätestens nach dem Auszug von Henry, ihrem Ehemann, der fortan mit Charles, dem Mann von Joan zusammenlebt, ist nichts mehr für Eliza, wie es zuvor gewesen war. Doch wie war es eigentlich?


Die Briefe strotzen vor Seitenhieben auf die britische upper class, die des öfteren durch den Kakao gezogen wird. Darunter jedoch merkt man nach und nach, dass die Absenderin dieser Briefe, Eliza, auch trotz ihrer Unverblümtheit eine dünnhäutige, sensible Seite hat, die vor vielen Jahren auch vor Verletzungen nicht gefeit war. So geraten die Briefe an Joan auch in eine Art Selbstreflexion und Tagebuch, in denen Eliza von ihrem tristen Eheleben erzählt und von einer Frau, die sich eher als Randfigur verstand (sie wusste nie, welche Leute etwas für sie waren). Sie beschreibt die Gargarys, die Baxters, Anne Robin, die Kinderbuchautorin, die auch Schreibseminare hält, an denen Eliza teilnehmen soll, da sie sich, nun alleinstehend und zunehmend verwirrter, "mit etwas beschäftigen sollte", so Anne. Allerdings beschäftigt sich Eliza bereits: Sie bedient die Spüle und ist ein wichtiger Mensch für einen jungen Mann in dem Hospiz, in dem sie arbeitet: Barry, dem gegen Ende des Romans eine Schlüsselrolle zukommen sollte und dem Eliza sehr zugetan ist.


Gardam schafft urkomische, ironisch-sarkastische Beschreibungen der "beigen, gepflegten, attraktiven, selbstsicheren, eloquenten Frauen der upper class, die sich königlich amüsieren" (Zitat S. 128). Auch die Herrenclubs, in denen Henry verkehrt, und die es noch immer gibt, werden nicht ausgenommen: "Hier erstrecken sich die Weiten des Schweigens, der Undurchschaubarkeit und der Geheimniskrämerei", so Gardam.

In einem weiteren Brief an Joan fragt Eliza diese, ob sie diese in Dhakar (ihr langjähriges Domizil) besuchen dürfe, da es ihr in letzter Zeit nicht sehr gut gehe: In ihrer Not wendet sie sich auch an den Priester, Nick Fish - der jedoch keine Zeit für sie zu haben scheint. Als dessen Frau einen unerwarteten Termin hat, springt Eliza dennoch als Aushilfs-Nanny für dessen 3 Kinder ein, was nicht folgenlos in der ein oder anderen Weise bleiben sollte....


Miss Ingham, die älteste Bewohnerin der Rathbone Road, wird in Gardam'scher Manier wie folgt beschrieben: "Finger schwer von Diamanten, Handvenen voll mit lila Tinte", was wiederum einen Einblick in den ihr eigenen Humor gibt. Von außen betrachtet, mag es wie Halluzinationen aussehen, die sich in das letzte Romandrittel mehr und mehr einschleichen; Eliza selbst fühlt sich verwirrt, doch andererseits blitzen messerscharfe Erkenntnisse durch, in dem sie sich jahrelang als benutzt fühlt, programmiert von Toten, von ihrer Cousine Annie mit ihrem ausgeprägten Sinn für ein geordnetes Leben, von deren Mutter, von idiotischen viktorianischen Sitten.


Auch wenn gegen Romanende vieles geklärt wird, was dem Leser zunächst unklar war, so habe ich nur einen Kritikpunkt: Zeitweise war es schwierig, zu erkennen, was wahr und was erfunden war; die Botschaft, die ich in "Gute Ratschläge" sehe (abgesehen von den herrlich skurrilen Szenen, die voller Komik sind, mitunter auch tragisch), ist jedoch unverkennbar jene, wie wichtig es ist, zu lieben, zu verzeihen und vor allem sich selbst und die eigenen Bedürfnisse nicht zu vergessen. Auch über so manche positive Entwicklung freut man sich am Ende mit Eliza.


Fazit:


Ein weiteres Juwel am Firmament des Jane-Gardam-Universums: Sie verfügt über eine virtuose, scharfzüngige und stellenweise urkomische Sprachkraft, verbunden mit knochentrockenem britischen Humor in Reinkultur, die hier Stück für Stück die Bigotterie der sog. besseren Gesellschaft entlarvt. Eine Leseempfehlung meinerseits (verbunden mit dem Rat, dass Neueinsteiger zuerst die Trilogie um Filth lesen) und 4*.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
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  • Handlung
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Veröffentlicht am 10.06.2024

Schicksalhafte Orchideensommer

Die Orchideenfrauen
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Die Autorin Lea Santana hat mich mit ihrem zauberhaften Roman "Die Orchideenfrauen" sehr positiv überrascht (ich kannte zuvor noch keines ihrer Bücher, was sich jetzt ändern dürfte), denn er entführt den ...

Die Autorin Lea Santana hat mich mit ihrem zauberhaften Roman "Die Orchideenfrauen" sehr positiv überrascht (ich kannte zuvor noch keines ihrer Bücher, was sich jetzt ändern dürfte), denn er entführt den geneigten Leser in die wundersame und interessante Welt der Orchideen; besonders in Gestalt einer "Vanda coerulea", der eine blaue Blütenpracht zu eigen ist und eine der begehrtesten Raritäten für die Pflanzenjäger darstellt. Erschienen ist der Roman im Lübbe-Verlag (tb, 350 sehr lesenswerte Seiten, 2024).


Worum geht's?


Annabel Oxley, eine 72 Jahre alte Orchideenzüchterin (und begabte Zeichnerin, sie hat in Kew Garden 'Botanical Arts' studiert) beschließt schweren Herzens aus Finanznot, sich von ihrem Haus in Cornwall zu trennen. Um die Formalitäten zu klären, begibt sich Holly Greenwood auf den Weg zu ihr, um Fotos für die Immobilienagentur zu schießen, für die Holly arbeitet. Sie hat gerade eine schmerzhafte Trennung von ihrem Verlobten hinter sich, weshalb sie sich umso mehr in ihre Arbeit stürzt: Durch ein Schaf namens Myrtle, das eine schicksalhafte, aber sehr liebenswerte Nebenfigur im Roman spielt und eher unvermittelt auf Straßen anzutreffen ist, sieht sich Holly gezwungen, nochmal wegen des Unfalls mit Myrtle zu Mrs. Oxley, die sich als knurrige alte Dame entpuppt hat, zurückzukehren, da ihr Mini nicht mehr fahrbereit ist... Dadurch kommen sich beide Frauen näher und Holly erfährt im Wintergarten von Mrs. Oxley, weshalb ihr die Orchideen so am Herzen liegen: Verkaufen will sie sie auf keinen Fall - und wenn überhaupt, dann nur einem speziellen italienischen Sammler in Ligurien....


Holly beschließt, Annabel zu helfen und fährt mit dieser Richtung Italien, um die Orchideen an der ligurischen Küste dem zukünftigen Eigner anzuvertrauen: So nimmt das Schicksal seinen Lauf und manches kommt ganz anders, als Holly es sich zuvor dachte, was mit verhängnisvollen Ereignissen zu tun hat, die sich Ende der 60er Jahre in Siestra Levante zugetragen haben...


Meine Meinung:


Dieser Roman hat mich auf vielfältige Weise sehr positiv überraschen können: Er ist flüssig, humorvoll und warmherzig geschrieben, die beiden Zeitebenen greifen gekonnt ineinander über (Cornwall, heute und Ligurien, 1968/69) und die ProtagonistInnen überzeugen, sind Sympathieträger, was sowohl für Holly als auch besonders für Annabel gilt: Im Verlaufe dieser 'Dramödie', die wirklich herrlich zu lesen ist, bekommt die Reise nach Italien einen anderen Beigeschmack, da sie mit Annabels Vergangenheit sehr viel zu tun hat: Es geht um Liebe, um Familie, um Enttäuschung und Rache - und um Verzeihen. Auch um Freundschaft und Verständnis; so nähern sich die beiden nicht nur altersmäßig ungleichen Frauen immer mehr an und werden schließlich zu Freundinnen. Auch die Familie Lana, eine wohlsituierte italienische Familie, in der Orchideen durch die Mutter, die sie einst züchtete, bekommt Sympathiepunkte; ganz besonders natürlich Gianfranco Lana, dem eine Schlüsselrolle in dem herzerwärmenden Liebesroman zukommt.


Der Autorin gelingt es, die beiden Frauen, Annabel und Holly sowohl in Cornwall als auch auf ihrer Reise nach Italien und in Ligurien liebenswert zu zeichnen; besonders die barsch wirkende, mürrische und knurrige Annabel muss man einfach ins Herz schließen, da man den weichen Kern dieser Figur schon ahnt... Einige Dialoge sind durch den trockenen Humor Annabel's einfach zum Schmunzeln; andere Sachverhalte dagegen sind auch heftig, z.B. die Vorgehensweise des Vaters von Annabel. Eine Person, die das zeichnerische Talent von Annabel bereits früh entdeckt und sie fördert, fand ich sehr positiv (brauchen wir nicht alle einen Förderer, der uns unterstützt, um den eigenen Weg gehen zu können, Ziele zu erreichen?) Eine weitere 'Nebenfigur' ist Vanda, eine begehrte blaublütige Orchidee, für die einige SammlerInnen ein kleines Vermögen zahlen würden: Auch hier erfreut die Autorin ihre LeserInnen mit tollen Informationen über die Welt der Orchideen, die mir zuvor fremd war. (Ich kenne mich eher in Stauden aus^^).


Fazit:


Eine 'Dramödie' mit Tiefgang, die einerseits dramatische, aber auch romantische Anteile hat. Eine fantasievolle, durchdachte Story, die mir auf beiden Zeitebenen, die sich spannend miteinander abwechselten, sehr gefallen und mir schöne und interessante Lesestunden beschert hat: Ein niveauvoller, unterhaltsamer (Liebes)roman, der mit warmherzigen Figuren aufwartet, emotional packend ist und wichtige (Lebens)themen beinhaltet: Positiv überrascht kann ich hier eine absolute Empfehlung aussprechen und vergebe gerne die volle Punktezahl am literarischen Orchideen- und Pflanzenhimmel, 5*

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
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  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 10.06.2024

Ein Baumhaus und kein Bullerbü

Das Baumhaus
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"Das Baumhaus" von Vera Buck erschien (Thriller, 398 S., brosch. TB, 2024) im Rowohlt Verlag/Polaris. Das Buch hat einen farbigen, giftig-grünen Buchschnitt, der meine Wertung jedoch auch nicht nach oben ...


"Das Baumhaus" von Vera Buck erschien (Thriller, 398 S., brosch. TB, 2024) im Rowohlt Verlag/Polaris. Das Buch hat einen farbigen, giftig-grünen Buchschnitt, der meine Wertung jedoch auch nicht nach oben korrigieren konnte:

Vorausschicken möchte ich, dass Kriminalromane und (Psycho)thriller seit jeher zu meinen Lieblingsgenres zählen; die Autorin kannte ich zuvor nicht und musste feststellen, dass der umworbene Thriller eher ein Familiendrama mit Traumatas war denn ein gut geschriebener Thriller.


Worum geht's?


"Als Henrik und Nora mit ihrem fünfjährigen Sohn Fynn nach Vesternorrländ fahren, spüren sie gleich, dass die verlassene Ferienhütte etwas Bedrohliches umgibt. Fußabdrücke im Staub, Spuren überall im Haus. Jemand war hier. Während Henrik daraus Inspiration für sein neues Kinderbuch schöpft, versucht Nora, den idyllischen Familienurlaub zu retten und etwas wiedergutzumachen, von dem niemand erfahren darf...

Rosa Lindqvist ist frustriert: Statt ihre forensischen Forschungen voranzutreiben, wohnt sie wieder zu Hause, um ihren Bruder zu pflegen. Doch dann findet Rosa bei einer nächtlichen Grabung ein Kinderskelett. Und als ganz in der Nähe des Fundorts der kleine Fynn verschwindet, wird sie von der Polizei als Ermittlerin eingesetzt und kommt in den Tiefen des Waldes einem düsteren Geheimnis auf die Spur. Denn Rosa hat allen anderen etwas voraus: ein außergewöhnliches Gespür für den Tod."

(Quelle: Klappentext des Verlags)


Meine Meinung:


Da ich die Autorin nicht kannte, bin ich recht unbedarft an diesen Thriller herangegangen und musste feststellen, dass ich mich durch dieses Buch, das für mich erst ab Seite 200 ein wenig "Thrill" enthält, eher quälen musste als die Story zu genießen: Die Autorin spielt mit Klischees und Bilder, die "das Unheimliche, Beängstigende" erzeugen sollen, wie z.B. der Rabe, der gegen das Fenster fliegt, sorgten bei mir eher für Kopfschütteln denn Grusel.

Den Gruselfaktor "inne" hatte lediglich ein kompletter Irrer, der Kinder entführte (um sie zu retten) und seine "Spiele" mit ihnen trieb. So verschwindet eines Tages auch Fynn, der 5jährige Sohn von Henrik, einem Kinderbuchautor und Nora, die im Umweltschutz arbeitet: Sie hasst den Wald und beide durchsuchen mit Hilfe der Polizei jeden qm, erfolglos. Etwas Morbides, Krankhaftes und Bedrückendes zieht sich in der Beschreibung der Spiele "des Mannes" durch das gesamte Buch. Ängste und bedrückende Emotionen werden durch eingängige Bilder erzeugt; der Vergleich mit "Bullerbü" ist wie vieles andere an den Haaren herbeigezogen; die Nachvollziehbarkeit fehlte mir nicht nur, sondern auch die Logik: Polizeiarbeit wird eher schlampig beschrieben (wobei Lasse, der Hundeführer, die einzige Person war, die mir wirklich sympathisch gewesen ist) und Schweden wird als ein Land dargestellt, in dem es früher offene Türen gab - und in dem jährlich 1000e Kinder spurlos im Wald verschwinden. Solche Stereotypen mag ich leider überhaupt nicht. Die zwei Punkte gelten der Atmosphäre, die recht gut dargestellt ist, für Handlung und Verlauf des vermeintlichen Thrillers, der für mich eher ein Familiendrama ist, kann ich keine Punkte vergeben.

Auch sprachlich (der Stil ist äußerst einfach) hat mich der Thriller nicht angesprochen.


Fazit:


Die Spannung suchte ich bis Seite 200 vergebens; viele inhaltliche 'Patzer' und unlogische Handlungen sowie mangelhafte Nachvollziehbarkeit in einigen Punkten schmälerten meinen Lesegenuss beträchtlich. Unsympathische ProtagonistInnen (mit Ausnahme von Henrik und Rosa gegen Ende), ein sehr einfacher Schreibstil und Figuren, zu denen ich keinerlei Bezug aufbauen konnte (Ausnahme Lasse) und die sich oft widersprüchlich verhielten, sorgten dafür, dass vieles konstruiert wirkte und voller Klischees steckt.

Sorry - für meinen Geschmack einfach eher eine Art Familiendrama denn ein Thriller - not my style. Keine Empfehlung und 2* für Atmosphäre und Aufbau.

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Veröffentlicht am 29.05.2024

Gluthitze im Luberon/Provence

Glutroter Luberon
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Der Historiker und Autor von Reiseführern (besonders Frankreich, aber auch U.K.) war mir von seinen hervorragenden Sachbuch-Reiseführern her bekannt; nicht jedoch seine Krimis: "Glutroter Luberon" von ...

Der Historiker und Autor von Reiseführern (besonders Frankreich, aber auch U.K.) war mir von seinen hervorragenden Sachbuch-Reiseführern her bekannt; nicht jedoch seine Krimis: "Glutroter Luberon" von Ralf Nestmeyer ist der 4. Band der Reihe um den französischen Commissaire Olivier Malbec, der hier einen kniffligen Fall im Luberon, Département Vaucluse - inmitten der schönen Provence zu lösen hat. Erschienen ist der Kriminalroman (tb, 235 S.,) 2024 im emons-Verlag.


Inhalt:


In der Nähe von Gordes im Luberon wird durch Zufall die Leiche einer jungen Frau entdeckt, die in einer Borie (einer alten Hütte, in denen früher Arbeiter lebten, die im Ockerabbau beschäftigt waren) abgelegt wurde. Wie sich herausstellt, hat sie vor einigen Wochen entbunden und die Borie ist der Fund-, jedoch nicht der Tatort. Malbec mit seinem Team nimmt die spärlich vorhandenen Spuren auf; wobei ihm auffällt, dass die Tote Spuren von Ockerpigmenten unter den Fingernägeln und an den Füßen hat. Gemeinsam mit Sgt. Leila Bouzidi, die für seine frühere Kollegin, die sich im Erziehungsurlaub befindet, neu im Team ist, begibt er sich auf die Suche nach Informationen über die Minen und den Ockerabbau in der Gegend. Schwierig gestaltet sich die Ermittlung, da die Tote von niemandem vermisst wird und bisher nicht identifiziert werden konnte. Und wo ist der Säugling, der bisher unauffindbar ist? Hier denkt sich Malbec einen klugen Köder aus und spannt die Medien, besonders die ehrgeizige Journalistin Susanne Bois, in die Ermittlungen aktiv ein. Wie immer ist die Zeit der weitere Gegner der Ermittler: Werden die Ockerspuren am Opfer Malbec und Bouzidi zum Täter führen?


Meine Meinung:


Ralf Nestmeyer entführt den Leser in den Luberon, in dem er zum einen Commissaire Malbec einen kniffligen Kriminalfall lösen lässt, der nicht vorhersehbar ist und mit einigen Wendungen aufwartet; zum anderen aber auch sehr viel Atmosphäre in den Krimi hineinbringt, in dem er die wunderschöne Landschaft des Luberon mitsamt einiger Orte wie Carpentras, Gordes, Roussillon, Trouvac u.a. sehr gut beschreibt: Ich hatte direkt Lust verspürt, diesen mir noch unbekannten Teils unseres Nachbarlands - von dem ich einen Katzensprung entfernt wohne und an dessen Grenze ich unmittelbar aufwuchs - zu bereisen! Besonders die Informationen zu den Ockerminen und dem Ockerabbruch wie auch der Verwendung von Ocker fand ich ebenso interessant wie Monsieur le Commissaire. Auch das Privatleben Malbecs kommt nicht zu kurz; wie alle Franzosen liebt er gutes Essen und der Luberon ist ein Zentrum der begehrten 'truffes' - der Trüffeln, die sicher sehr gut schmecken.


Gegen Ende des Krimis wird es durchaus turbulent: Malbec und Bouzidi entgehen knapp der Waldbrandkatastrophe, denn die Gluthitze und der ausbleibende Regen haben die ganze Region zu einer "Zone rouge" werden lassen; die Bürgermeister sind in Alarmbereitschaft. Nestmeyer greift also kritisch die Klimaveränderungen und deren Auswirkungen auf und beschreibt den Wassermangel auf dramatische (und leider jetzt bereits und zukünftig) in realer Weise; auch knappe Budgets, Unterbesetzung im ländlichen Frankreich in den Kommissariaten werden nicht ausgespart.


Die atmosphärischen Anteile und Landschaftsbeschreibungen des Luberon und der Orte, in denen der Krimi verortet ist, haben mir sehr gefallen; auch die falschen Fährten, die der Autor auslegte. Insgesamt jedoch finde ich, könnte er in Sachen Spannung noch eine Schippe drauflegen.


Fazit:


Mir hat der gelungene Mix zwischen Kriminalroman und landschaftlichen Beschreibungen des Luberon und seiner interessanten Historie sehr gefallen und ich habe "Glutroter Luberon" gerne gelesen, da es mir einen bisher noch unbekannten Teil Frankreichs 'ganz nebenbei' näherbringen konnte! Daher von mir eine Empfehlung; ich werde das Lesen der Vorgänger wohl baldigst nachholen und vergebe 4 glutrote Krimisterne.

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Veröffentlicht am 24.05.2024

Lügen der Vergangenheit

Die Gabe der Lüge
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"Die Gabe der Lüge" von Val McDermid ist der 7. Fall der HCU (Historic Cases Unit) um das Team von Karen Pirie (erschienen 2024 im Droemer-Knaur Verlag, TB brosch., 479 S.). Vorab muss ich vorausschicken, ...

"Die Gabe der Lüge" von Val McDermid ist der 7. Fall der HCU (Historic Cases Unit) um das Team von Karen Pirie (erschienen 2024 im Droemer-Knaur Verlag, TB brosch., 479 S.). Vorab muss ich vorausschicken, dass ich aufgrund ihrer Figuren, ihrer Authentizität, zuweilen humorvollen Dialogen und großen Spannung sowie akribischer Recherchen der wirklich interessanten Kriminalfälle seit unzähligen Jahren ein großer Fan der bekannten schottischen Autorin, selbst lange im Journalismus tätig, bin. Dieser neu erschienene Krimi avanciert in der Liste meiner Lieblingskrimis von ihr (und allgemein) steil nach oben: Ein sehr vertrackter Fall, sozusagen ein "Krimi im Krimi", in einer Zeit erschwerter Ermittlungsarbeit in Edinburgh und in dem vieles nicht so ist, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.


"Der Anruf einer Bibliothekarin beschert DCI Karen Pirie einen rätselhaften Fall: Im Nachlass eines kürzlich verstorbenen Schriftstellers wurde ein Manuskript gefunden, dessen Handlung erschreckende Ähnlichkeit mit einem bisher ungelösten Cold Case aufweist. Es gibt nur ein Problem: Der Autor starb, bevor er es fertigstellen konnte..." (Quelle: Buchrückentext des Verlags)


Meera, eine Bibliotheksmitarbeiterin im Archiv, erkennt im Manuskript eines verstorbenen Krimiautors Parallelen zu einem realen Fall und lässt das Manuskript sowie Notizen auf Anweisung DCI Karen Piries, der Leiterin der HCU, Jason Murray und der Cold Cases Einheit zukommen: Karen und Daisy Mortimer, inzwischen rechte Hand von Karen, durchforsten das erschütternde unveröffentlichte Manuskript namens "Laurel Oliver verschwindet" und versuchen, etwaige Übereinstimmungen zu dem Fall von Lara Hardie, einer Studentin, die vor einem Jahr spurlos verschwand, zu finden: Sie erkennen mehr und mehr übereinstimmende Fakten, geschrieben von dem Bestseller-Autor Jamie Cobain, dessen Stern zu sinken begann und der hier ein perfektes Verbrechen beschrieb, inzwischen jedoch verstarb. Jener Schriftsteller traf sich gerne mit Rob Thomas, um einige Partien Schach zu spielen und ihm zu mehr Berühmtheit zu verhelfen. Dieses Vorhaben gelingt: Je höher der Stern von Rob Thomas am Krimihimmel steht, desto mehr neigt sich durch einen Skandal verursacht, jener des Bestseller-Autors. Er verliert alles - seine Karriere, seine Ehefrau und sein Haus: Wie sollte das unvollendete Manuskript enden? Ist ein perfekter Mord tatsächlich möglich?


Diesen Fragen widmen sich Karen und Daisy, während Jason Murray (dessen Mutter wegen Atemnot im Krankenhaus landete) versucht, die Lesungen und Workshops zweier Autoren im fraglichen Zeitraum unter die Lupe zu nehmen, mit den Leitern von Workshops und Verlagen zu sprechen, was in Zeiten des Lockdowns noch schwieriger ist als gewöhnlich, ihn aber bedingt von den Sorgen um seine Mutter ablenkt. Durch akribische Recherche, wie sie dem Team von Karen zu eigen ist, stoßen sie bald auf Parallelen und Übereinstimmungen, die auffällig sind (Jason, auch der Minzdrops genannt, ist die Liebe zum Detail ebenso auf den Leib geschrieben wie Meera von der National Library) und schon bald stellen beide fest, dass einige Puzzleteile zusammenpassen, Sinn ergeben. Nach dem Lesen des Manuskripts überkommt jedoch sowohl Karen und Daisy wie auch den Leser ein Grauen, da hier eine sehr perfide Ränkeschmiede beschrieben wird, dessen Urheber frei von jeglicher Menschlichkeit und Empathie zu sein scheint.


Am Ende stellt sich quasi ein "doppeltes Motiv" heraus und McDermid zieht die Krimiszene durch den Kakao mit all seiner Günstlingswirtschaft, Eifersucht und Missgunst, die hinter den Kulissen lauern. Wer spielt hier das eigentliche Vexierspiel, dem Karen und ihr Team, aber auch der Leser bis zum Ende ausgesetzt ist? Helfend bei der Auflösung stehen natürlich auch Karen's Freundinnen Tamsin (IT-Expertin) und River Wilde (forensische Anthropologin) zur Seite, man freut sich, sie wiederzusehen, da sie aus den Vorgängerbänden bereits gebührenden Eindruck machten.


McDermid lässt auch die Schrecken des leergefegten Edinburgh nicht aus, in dem in Zeiten der Pandemie jede/r nur eine Stunde das Haus verlassen durfte: Mancher wird real und auch emotional seine eigene Stadt in dieser surrealen Zeit wiedererkennen, liest er die Sätze und Anmerkungen der Autorin. Auch soziale Beziehungen sollten sich verändern; Menschen sich von einer anderen Seite kennenlernen, was nicht immer zum Guten führte. So zeigen sich zum Ende hin auch so einige Veränderungen beruflicher und privater Natur ab: Gespannt 'lauere' ich bereits auf den 8. Fall der HCU.....


Fazit:


Ein perfides Vexierspiel in der Krimiautorenwelt, die McDermid hier aufs Korn nimmt; ich kann mich hier nur (dem von mir ebenfalls sehr geschätzten) Mick Herron anschließen, der über "Die Gabe der Lüge" - im Original "Past Lying" sagte: "So komplex, so fesselnd und so lesenswert wie alles, was Val McDermid bisher geschrieben hat - ein weiteres Juwel in der Krone der schottischen 'Queen of Crime' ". Eine absolute Leseempfehlung und 5* dafür!

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