Ulrike Wasel (Übersetzer), Klaus Timmermann (Übersetzer)
„Sunjeev Sahota erzählt in Das Porzellanzimmer auf kleinem Raum eine epische Geschichte, die tiefen Eindruck hinterlässt.“ Brigitte Wir
1929 im ländlichen Punjab: Drei sehr junge Frauen werden in einer Zeremonie mit drei Brüdern verheiratet. Nachts trifft je eine ihren Ehemann in kompletter Dunkelheit, in der Hoffnung, einen Sohn zu zeugen. Tagsüber verrichten die Frauen ihre Pflichten, eingesperrt im Porzellanzimmer, in dem die Aussteuer ihrer Schwiegermutter Mai lagert. Als Mehar sich in einen der Brüder verliebt, wird eine gefährliche Leidenschaft entfacht, die mehr als ein Leben gefährdet.
Siebzig Jahre später reist Mehars Urenkel aus England auf eine verlassene indische Farm. Dort findet er das verbarrikadierte Porzellanzimmer. Er wird sich mit seinen inneren Dämonen auseinandersetzen – und mit seiner verborgenen Familiengeschichte.
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, dem preisgekrönten Übersetzerduo von Delia Owens' "Der Gesang der Flusskrebse" und „Eine Frage der Chemie“ von Bonnie Garmus
Durch dieses Buch bekommt man sehr interessante Einblicke in das indische Landleben in den 1920er Jahren und die außergewöhnliche Liebesgeschichte der Urgroßmutter des Erzählers. Dieser weiß nicht viel ...
Durch dieses Buch bekommt man sehr interessante Einblicke in das indische Landleben in den 1920er Jahren und die außergewöhnliche Liebesgeschichte der Urgroßmutter des Erzählers. Dieser weiß nicht viel über sie, aber während er im Rückblick von seinem heilsamen Aufenthalt im Porzellanzimmer vor vielen Jahren erzählt, wird parallel die Geschichte seiner Urgroßmutter beschrieben, die viele Jahre in diesem Zimmer gelebt hat bzw. eingesperrt war. Das Buch ist flüssig und angenehm zu lesen und durch die wechselnden Erzählzeiten ist es mitreißend und spannend. Die 1920er werden treffend beschrieben und man bekommt nebenbei etwas von der geschichtlichen Entwicklung Indiens mit. Ich konnte mir gut vorstellen, dass es damals wirklich so ablief, fand aber zugleich unglaublich, wie Frauen behandelt wurden (und werden). Insgesamt ein sehr interessanter und lesenswerter Roman!
Punjab im Jahr 1929 - in der britischen Kolonie Indien gärt es, die Unabhängigkeitsbewegung sucht nach Freiheitskämpfern, doch auch das Miteinander von Muslimen, Hindus und Sikhs ist nicht konfliktfrei. ...
Punjab im Jahr 1929 - in der britischen Kolonie Indien gärt es, die Unabhängigkeitsbewegung sucht nach Freiheitskämpfern, doch auch das Miteinander von Muslimen, Hindus und Sikhs ist nicht konfliktfrei. Vieles bleibt hingegen ganz traditionell, arrangierte Ehen etwa. Die junge Mehar wurde bereits im Alter von fünf Jahren verlobt, zehn Jahre später steht Hochzeit an. Wir würden heute von der Zwangsverheiratung eines Kindes sprechen.
In seinem Roman "Das Porzellanzimmer" verarbeitet der britische Schriftsteller Sunjeev Sahota, dessen Vorfahren aus dem Punjab stammen, ein Stück indischer Kolonialgeschichte, aber auch Erfahrungen des Aufwachsens als Kind der südasiatischen Minderheit in der weißen und oft feindseligen Mehrheitsgesemmschaft.
Wie wenig im Punjab des frühen 20. Jahrhunderts beim Thema Heirat irgendwelche Gefühle eine Rolle spielen, wird schon daraus ersichtlich, dass Mehars Schwiegermutter Mai alle ihre drei Söhne am gleichen Tag verheiratet - so lässt sich sparen. Und bis zuletzt bleibt Mehar und den anderen jungen Bräuten unklar, mit welchem der Brüder sie eigentlich verheiratet sind. Selbst am Tag der Hochzeit haben sie ihm, traditionell eng verschleiert, nicht ins Gesicht sehen können - und der eheliche Beischlaf wird wechselweise in einer Kammer des Hofs im Dunkeln vollzogen, meist wortlos und insbesondere für die jungen Ehefrauen auch freudlos.
Tagsüber müssen die jungen Frauen kochen, waschen oder auf dem Feld arbeiten, die Nächte verbingen sie gemeinsam im sogenannten Porzellanzimmer, wenn sie nicht an der Reihe für Pflicht-Sex mit dem Ehemann sind - es gilt schließlich, mit einem Sohn schwanger zu werden.
So ist es möglicherweise kein Wunder, dass Mehar einem Irrtum unterliegt, als sie in einem der drei Brüder ihren Ehemann zu erkennen glaubt und sich in ihn verliebt.
Eine Beziehung mit Folgen, die ihr Urenkel, der Ich-Erzähler eines zweiten, in der Gegenwart angesiedelten Erzählstrangs, nach und nach entdeckt. Der junge, in Großbritannien geborene und aufgewachsene Mann erlebt im Land seiner Vorfahren einen Kulturclash. Hier sieht es zwar aus wie die Menschen vor Ort, gilt ihnen aber als Engländer. Als seine eigenen Eltern in ein weißes Viertel zogen, in dem sie ihren Laden führten, wurden sie wiederum rassistisch angefeindet. Der junge Mann kommt nicht aus romantischen Gründen nach Indien, sondern hofft hier den Entzug aus seiner Heroinabhängigkeit zu schaffen, freundet sich mit einer Ärztin und einem Lehrer an und geht der Geschichte seiner Familie auf den Grund.
Während der kalte Entzug durchaus eindrücklich geschildert wird, wirkt dieser Teil des Buches etwas aus dem Zusammenhang gerissen und wäre meiner Meinung nach besser als Thema eines eigenen Romans geeignet gewesen. Die Geschichte von Mehar, die so vielen Zwängen ausgesetzt ist und trotzdem eine starke, eigenständige Persönlichkeit, reicht eigentlich völlig aus und hat mich voll überzeugt. Als Sittenbild einer Vergangenheit, die mancherorts noch Wirklichkeit für Frauen und Mädchen ist, hat mich das "Porzellanzimmer" beeindruckt. Das Buch ist so intensiv geschrieben, dass die Farben und Gerüche des kleinen Dorfs im Punjab beim Lesen erfahrbar werden.