Frauen wie wir – kurzzeitig aus der Spur geraten
Wer hat noch mal das Gerücht in die Welt gesetzt, dass man in der Mitte des Lebens auch in der Mitte von sich selbst angekommen ist? Ellen setzt den Abgründen ihrer Patienten immer bessere Rezepte entgegen, aber die eigenen werden zu Treibsand unter ihren Füßen. Freddy fragt sich, ob der enorme Umfang ihres Körpers die einzig sichtbare Größe in ihrem Leben darstellt. Luise verpfuscht ihre Bilderbuchfamilie, Johanna springt. Und Marianne? Der Grand Dame dieser Schicksalsgemeinschaft kriechen alte Geister durchs Schlüsselloch. Allen voran ihr früh verstorbener Sohn Jonas, der auch im Leben der anderen einmal eine große Rolle gespielt hat. Wie jede dieser fünf Frauen mit verrutschten Gewissheiten ringt, davon handelt dieser Roman.
Ein sehr lebenskluges Buch, an dem man sich an vielen Stellen Zitatmarker anbringen kann.
Die Frauen Luise, Freddy, Ellen und Johanna sind alle verbunden durch den früh verunglückten charismatischen ...
Ein sehr lebenskluges Buch, an dem man sich an vielen Stellen Zitatmarker anbringen kann.
Die Frauen Luise, Freddy, Ellen und Johanna sind alle verbunden durch den früh verunglückten charismatischen Musiker Jonas. Auch dessen Mutter Marianne gehört zum Freundschaftsbund, in dem jedoch noch viele andere, oft weniger schöne Gefühle eine Rolle spielen. Nach und nach entfaltet sich in mehreren Runden aus wechselnden Perspektiven ein Kaleidoskop der Vergangenheit und der Gegenwart. Mit ca. fünfzig Jahren stehen die Frauen ebenso am Wendepunkt wie Marianne, die sich mit den Herausforderungen des wirklichen Alters konfrontiert sieht.
Das ist überwiegend wirklich spannend und facettenreich erzählt. Aufgrund der Vielzahl der Perspektiven und der überschaubaren Seitenzahl kann aber vieles wirklich nur angerissen werden. So tritt etwas Johanna fast nur in den Gedanken der Freundinnen in Erscheinung. Über einige der Frauen hätte ich gern noch einiges mehr erfahren. Dennoch ein äußerst lesenswertes Buch, vor allem wenn man vor ähnlichen Herausforderungen steht wie die Freundinnen.
„Wünsche müssen überkandidelt sein. Vermessen. Extrem kompliziert zu erfüllen. Sonst setzt sich keine Fee in Bewegung, sonst kann man es gleich selber machen.“
Vor fast zwanzig Jahren starb Musiker Jonas ...
„Wünsche müssen überkandidelt sein. Vermessen. Extrem kompliziert zu erfüllen. Sonst setzt sich keine Fee in Bewegung, sonst kann man es gleich selber machen.“
Vor fast zwanzig Jahren starb Musiker Jonas bei einem Unfall. Seine Mutter Marianne und seine vier Freundinnen Ellen, Luise, Johanna und Freddy blieben zurück. Auch heute halten die Frauen noch Kontakt und jede hat ihre eigenen Probleme: Marianne vergisst immer mehr, Ellen hadert mit ihrem Comeback als Musikerin und manchen anderen Entscheidungen, Freddy hat Geldsorgen und muss ihren Vater enttäuschen, Luises Familie will nicht so, wie sie will und Johanna verabschiedet sich einmal mehr von ihrem aktuellen Leben. Diesmal für immer?
Sybille Hein schreibt klar, direkt und sehr bildhaft. Ihr besonderer Schreibstil imponiert mir. Die Autorin bringt es mit vielen wahren, klugen Sätzen und Vergleichen auf den Punkt. So trägt Freddy beispielsweise schwere Schuhe, „die sie am Boden hielten, damit Eindrücke, Gedanken, Schlussfolgerungen - das ganze schlaue Gefecht, das fortwährend in ihrem Kopf tobt - sie nicht davontragen konnten.“ Hein erzählt abwechselnd aus der Perspektive von Marianne, Freddy, Ellen und Luise. Anfangs fiel es mir noch schwer, die einzelnen Frauen voneinander zu unterscheiden. Da kamen doch sehr viele Personen zusammen, die anfangs alle etwas zusammenhangslos und isoliert wirken. Doch mit jeder weiteren „Runde“, in der die jeweils neuen Entwicklungen aus der Sicht der Figuren geschildert werden, wurden die Personen und ihre Lebensumstände verständlicher.
Fünf ganz unterschiedliche Frauen stehen hier im Mittelpunkt, eine Art Schicksalsgemeinde.
Da ist Marianne, die „Wundertütenpersönlichkeit“ die wichtige Bezugspersonen im Leben verloren hat, nicht nur ihren Sohn, und die immer tapfer weitergemacht hat, ohne sich unterkriegen zu lassen. Doch jetzt verliert sie ganze Momente, hat Aussetzer.
Ellen arbeitet als Therapeutin, weiß genau, was bei anderen schiefläuft, könnte eigentlich zufrieden sein, „läuft aber aktuell selber nicht ganz rund“ und ist auf dem besten Wege, selbst in Schieflage zu geraten.
Lektorin Freddy kann mit Sprache umgehen, hadert mit ihrer Einsamkeit, ihrer Körperfülle, ihrer Kinderlosigkeit und damit, ihrem Vater nicht das bieten zu können, was er braucht. Freddy weiß: „Aber wir können nicht alle immer nur Opfer sein! Es muss Menschen geben, die für ihre selbst verzapfte Scheiße Verantwortung übernehmen. Und diese Menschen können nicht immer nur so arme Würste sein wie ich.“
Luise fokussiert sich nur auf ihre Kinder, weiß, was für ihre Familie gut ist, aber die weiß es nicht zu schätzen.
Auch Johanna hat ihr Leben verpfuscht und liegt nun im Krankenhaus.
Die Figuren werden zwar gehörig überzeichnet, sind aber dennoch nachvollziehbar. Manche mehr, manche weniger sympathisch.
Auch wenn für mich der große ganze Zusammenhang am Ende noch etwas deutlich hätte werden können, hat mich Sybille Hein mit ihrem Roman erreicht. Menschen erleben Krisen, machen Fehler, biegen wie die Hauptfiguren einmal falsch ab oder werden von anderen von der Straße gedrängt. Aber Leben finden nicht unabhängig statt, berühren andere und können auch immer wieder auf die richtige Spur gebracht werden.
Auch wenn der rote Faden, noch stellenweise etwas roter und leuchtender hätte sein können, hat mich „Eure Leben, lebt sie alle“ unterhalten und zum Nachdenken und Schmunzeln gebracht. Ein kurzweiliges, melancholisches, trauriges, hoffnungsvolles und kluges Buch.
Die im Mittelpunkt stehenden fünf Frauen haben alle eine Verbindung zu Jonas, der zwar schon 20 Jahre tot ist, aber immer noch in gewisser Weise Einfluss auf ihr Leben hat. Marianne ist seine Mutter, Ellen ...
Die im Mittelpunkt stehenden fünf Frauen haben alle eine Verbindung zu Jonas, der zwar schon 20 Jahre tot ist, aber immer noch in gewisser Weise Einfluss auf ihr Leben hat. Marianne ist seine Mutter, Ellen ,Frederike,Luise und Johanna sind die vier Ex -Geliebten. Das Buch beginnt mit seiner Beerdigung und macht dann einen großen Zeitsprung in die Gegenwart. In wechselnden Abschnitten, jeweils aus der Sicht einer der Protagonistinnen, wird die Geschichte nun weiter erzählt.
Alle Frauen haben mehr oder weniger große Probleme, die sie jedoch größtenteils mit sich selber ausmachen. Obwohl mir der lockere Schreibstil und der immer wieder einfließende Humor gut gefallen haben, konnte die Geschichte mich nicht durchgehend begeistern. Zwar war Jonas sozusagen der rote Faden, welcher sich durch die ganze Geschichte zog, ansonsten erschien es mir manchmal so, als handelte sich um vier Geschichten, die keinen wirklichen Zusammenhang hatten.