Die Liebe seines Lebens. Skizze eines Temperaments
Eine Geschichte über die Suche eines Künstlers nach der großen Liebe
Lutz-W. Wolff (Übersetzer)
Hardys letzter Roman erstmals auf Deutsch
Raue Landschaften, tragische Schicksale, geprägt von einer tiefen Melancholie – so kennt und liebt man die literarische Welt von Thomas Hardy. Umso erstaunlicher ist es, dass sein letzter Roman bislang unübersetzt geblieben ist.
Er erzählt die Geschichte des Bildhauers Jocelyn Pierston, der glaubt, die Liebe seines Lebens in drei verschiedenen Frauen gefunden zu haben: in seiner Jugendliebe Avice, zwanzig Jahre später in ihrer Tochter, und am Ende in ihrer Enkelin …
Ein episches Drama über Liebe, Schönheit, Kunst – und die Kluft zwischen Ideal und Realität
Der Abschluss der großen Wessex-Trilogie
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Thomas Hardy hat mich mit diesem Roman ziemlich auf dem falschen Fuß erwischt – und zwar im allerbesten Sinne. Ich habe mir eine melancholische Schwere erwartet, wie man sie sonst von ihm kennt, und ja, ...
Thomas Hardy hat mich mit diesem Roman ziemlich auf dem falschen Fuß erwischt – und zwar im allerbesten Sinne. Ich habe mir eine melancholische Schwere erwartet, wie man sie sonst von ihm kennt, und ja, die ist auch da. Aber gleichzeitig hat dieses Buch etwas so Skurriles, Verrücktes und Geniales, dass ich beim Lesen öfter dachte: „Hardy, du kleiner Schlingel, was hast du dir dabei nur gedacht?“ Jocelyn Pierston, dieser Bildhauer mit der fixen Idee von der „einen Liebe“, die sich durch drei Generationen zieht, ist für mich eine der schrägsten, tragischsten und gleichzeitig faszinierendsten Figuren, die mir seit Langem begegnet sind. Mal wollte ich ihn schütteln, mal hab ich ihn gefeiert, und manchmal dachte ich: Junge, du bist ein hoffnungsloser Romantiker mit einer Prise Größenwahn.
Was Hardy hier macht, ist aber nicht einfach nur eine Dreiecks- oder besser gesagt Drei-Generationen-Liebesgeschichte. Er hält uns damit einen riesigen Spiegel vor: Wie oft jagen wir eigentlich selbst nur unseren Idealen hinterher und merken dabei nicht, dass wir die Realität komplett aus den Augen verlieren? Hardy hat das Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben, aber es liest sich teilweise wie ein Kommentar zur heutigen Insta-Generation, die ständig auf der Suche nach der „perfekten“ Liebe oder dem „perfekten“ Bild ist.
Und dann diese Sprache! Dank der Übersetzung von Lutz-W. Wolff bleibt dieser Hardy-Sound bestehen, dieses leicht Bittere, aber auch Poetische, das einen sofort packt. Ich liebe es, wie die Landschaften in Wessex fast zu Figuren werden, die mitreden, mitleiden und manchmal auch ganz einfach stumm dastehen, während Jocelyn wieder mal eine grandiose Idee hat, die garantiert schiefgeht.
Kurz: Dieses Buch ist ein wilder Ritt zwischen Sehnsucht, Verzweiflung, Humor und tragischer Schönheit. Ein Abschluss, der Hardys Werk krönt – und mir gleichzeitig gezeigt hat, dass Liebe eben nicht nur Herzchen und Schmetterlinge ist, sondern manchmal auch ein ziemlich chaotisches Kunstwerk.
Die Liebe seines Lebens ist eine Zeitreise in das ausgehende 19. Jahrhundert. Im Mittelpunkt Jocelyn Pierston, Sohn eines zu Wohlstand gekommenen Steinbruchbesitzers eines entlegenen Fleckchen Erdes im ...
Die Liebe seines Lebens ist eine Zeitreise in das ausgehende 19. Jahrhundert. Im Mittelpunkt Jocelyn Pierston, Sohn eines zu Wohlstand gekommenen Steinbruchbesitzers eines entlegenen Fleckchen Erdes im Süden von England, aufstrebender Bildhauer und immer auf der Suche nach seinem Ideal von Schönheit.
Im Alter von 20, 40 und 60 Jahren blicken wir in Pierstons Leben und seine Suche nach der wahren Schönheit und Liebe. Beides ist für den Künstler eng verbunden, ob es wirklich Liebe oder nur ein Affekt und Projektionen sind, die Pierston antreiben, bleibt dahingestellt. In jeder Dekade glaubt er seine Angebetete in einer Frau der örtlichen Caro-Familie aus seiner idyllischen Heimatregion zu finden, mit 20 in Avice, mit 40 in ihrer Tochter Ann Avice und mit 60 gar in der Enkelin seiner zuerst gewählten Avice.
Sehr auffällig ist das für die Entstehungszeit des Romans progressive Frauenbild. Auch wenn die verschiedenen Frauen im Roman in die patriarchalen Strukturen eingebunden sind, zeigen sie fast ausnahmslos einen starken Eigenwillen, der sie mit Pierston auf Augenhöhe bringt, vielleicht sogar darüber hinaus.
Besonders gefallen hat mir die Darstellung der Insel und Heimatregion Pierstons und ihrer Gesellschaft wie auch Traditionen. Mit wenigen Worten gelingt es Hardy ein Bild dieses besonderen Flecken Erdes und seiner Bewohnerinnen und Bewohner zu vermitteln. Dominiert vom Steinbruch, der Abgeschiedenheit und Nähe zur Natur und dem Meer in all ihrer Schönheit und Gewalt, stellt das Inselleben einen Kontrast zum städtischen Leben in London dar, mit ganz eigenen Regeln, der höheren Gesellschaft in denen Pierston sich dank seines Erfolgs als Bildhauer bewegt.
Aus dieser Perspektive wird die Liebe seines Lebens auch zu einer Beobachtung über die britische Gesellschaft und ihrer Unterschiede in Land und dem städtischen Zentrum Londons. Die Bildhauerei als Variante der feinen Künste und Pierstons Suche nach der reinen Schönheit stehen dem Intuitiven und Natürlichen der Insel gegenüber, die sich als autochthone Gemeinschaft der Bewohnerinnen und Bewohner erhalten hat.
Sehr informative und erwähnenswert sind die Erläuterungen im Anhang inkl. eines einordnenden Nachworts, das Hintergründe zur Entstehung des Romans und Leben des Schriftstellers liefert.
Die Liebe seines Lebens ist ein hervorragend geschriebenes, echtes kleines Juwel aus einer anderen Zeit, das sich zu entdecken lohnt!
"Die Liebe seines Lebens - Skizze eines Temperaments" von Thomas, ursprünglich unter dem Titel "The Well-Beloved" im Jahr 1897 erschienen, und nun von Reclam neu herausgebracht, ist ein Buch, das ein zeitloses ...
"Die Liebe seines Lebens - Skizze eines Temperaments" von Thomas, ursprünglich unter dem Titel "The Well-Beloved" im Jahr 1897 erschienen, und nun von Reclam neu herausgebracht, ist ein Buch, das ein zeitloses Thema behandelt: die Liebe im Schatten der Projektion und die Frage, ob und wann wir die andere Person wirklich sehen und wann wir nur unsere eigenen Hoffnungen, Wünsche und Erwartungen auf sie projizieren, wenn wir zu lieben meinen.
Gemäß dem Untertitel "Skizze eines Temperaments" erleben wir diesen Roman ausschließlich aus der Perspektive eines "jungen" Mannes, Jocelyn Pierston, der zwischen seiner Heimat auf einer halbfiktiven Halbinsel im Süden Englands und London pendelt. Das Buch ist in drei Teile geteilt: im ersten geht es um den jungen Mann von zwanzig Jahren, im zweiten um den "jungen" Mann von vierzig und schließlich um den "jungen" Mann von sechzig Jahren. Schon diese Titeleinteilung macht schmunzeln und zeigt, über was für einen besonderen Humor der Autor verfügt.
Unterhaltsam und humorvoll betrachtet verfolgen wir mit, wie der zunächst wirklich junge Mann um seine Jugendliebe Avice wirbt, aber diese schließlich aufgrund einer Nichtigkeit und einer Kurzschlussreaktion für eine andere Frau stehen lässt, die er aber schließlich auch nicht heiratet. Wobei heiraten, das möchte Jocelyn meist schnell und sofort, was wohl einerseits seinem impulsiven Temperament und andererseits dem konservativen Zeitgeist geschuldet ist, in dem eine lange unverbindliche Kennenlernphase zwischen Mann und Frau wohl auch in England nicht üblich war. Doch es wird meist nichts mit der Heirat, aus verschiedenen Gründen.
Beruflich etabliert sich Jocelyn, wird ein erfolgreicher Künstler und ist materiell gut abgesichert, doch in der Liebe immer noch nicht erfüllt. Mit 40 Jahren trifft er schließlich Avice wieder, die mittlerweile eine Tochter hat, Ann-Avice, halb so alt wie Jocelyn. In dieser meint Jocelyn Spuren seiner Jugendliebe wieder zu erkennen - und nennt sie beharrlich Avice, als ob sie ihre Mutter wäre - wenngleich er auch eingestehen muss, dass sie in manchem charakterlich ihrer Mutter nicht so gleicht, aber das meint er mit Bildung und Reisen beheben zu können. Es ist wohl eine Zeit, in der sich Männer Frauen noch sehr überlegen fühlten und meinten, diese erziehen zu können, insbesondere bei so einem Altersunterschied.
Doch es wird nichts mit der Heirat mit Ann-Avice, und Jocelyn zieht seiner Wege, die Jahre gehen ins Land, bis er mit 60 Jahren noch einmal in seine Heimatregion zurückkommt und wiederum Ann-Avice trifft, deren Babytochter (davon hatte er noch mitgekriegt) nun erwachsen ist und ebenfalls - damals auf Jocelyns Wunsch hin, der die junge Familie förderte, auch wenn es das Kind eines anderen war - Avice heißt. Auch um dieses junge Mädchen wird der nun 60 Jahre alte, aber innerlich sich noch jung fühlende Mann, werben, unterstützt von der Mutter Ann-Avice, die sich wünscht, ihre Tochter gut versorgt zu wissen.
Es sind interessante Fragen, die dieses Buch aufwirft. Zum Beispiel nach den Beziehungen zwischen Männern und Frauen im Spiegel der Zeit... es macht einem noch einmal mehr bewusst, wie wichtig der Kampf für die weibliche Emanzipation und Unabhängigkeit war, wenn man sieht, wie wenig Optionen es für junge Frauen in der damaligen Zeit gab und wie abhängig sie davon waren, eine gute Partie zu machen.
Gleichzeitig zeigt sich Hardy aber auch als feinsinniger Charakterbeobachter: nicht nur Jocelyn selbst, sondern vor allem die drei Avice-Frauen sind sehr differenziert porträtiert und es ist klar wahrnehmbar, wie gut der Autor - wenn auch nicht unbedingt sein männlicher Hauptcharakter - Frauen in ihrer Vielfalt und Differenziertheit wahrnehmen und wertschätzen kann.
Auch die zeitliche Entwicklung in Richtung Emanzipation zeigt sich: so ist die Tochter deutlich freier in ihrer Lebensweise als die Mutter, und die Enkeltochter auch, noch einmal auf eine andere Art und Weise. So ist das Buch insgesamt auch ein wertvolles Zeitporträt.
Dann regt es zum Nachdenken über das Wesen der Liebe an: was ist Liebe und wann können wir unsere Gefühle als solche bezeichnen? Wo beginnt Liebe und wo endet Projektion? Wann erkennen wir einen anderen Menschen wirklich und schätzen ihn dafür, wer er im Kern ist, und woran können wir das festmachen? Was ist echte Liebe, in all ihren Facetten? Jocelyn projiziert viel auf die von ihm verehrten Frauen, aber er zeigt sich in anderer Weise, speziell materiell, auch sehr fördernd und großzügig, auch, wenn es nicht zu der von ihm gewünschten Heirat gekommen ist. Er ist ein manchmal etwas in sich verlorener und selbstbezogener, aber dann auch wieder durchaus auch großzügiger Charakter und künstlerischer Freigeist.
Und schließlich stellt das Buch auch noch die Frage, wer wir sind: unser Geist oder unser Körper und wie beides miteinander in Verbindung steht? Es spricht das zeitlose Thema an, dass viele Menschen sich innerlich oft noch jung und so wie früher fühlen, während ihr Körper altert, aber auch die Frage nach Entwicklung, Reife und danach, wer passende Partner auf Augenhöhe sein könnten.
Es ist somit insgesamt ein sehr wertvolles Buch, unterhaltsam und lustig, aber auch tiefsinnig und zum Nachdenken anregend, und eignet sich damit bestens für eine interessante Lektüre und auch für spannende Diskussionsrunden. Leseempfehlung!