Letzte Begegnungen unter dem Galgen
>"Vergebt denen, die euch Böses tun." Aber was ist, wenn das Böse millionenfacher Mord ist?
Nürnberg 1946. Die Hauptkriegsverbrecher werden angeklagt und erwarten ihren Tod. Der Militärseelsorger Henry ...
>"Vergebt denen, die euch Böses tun." Aber was ist, wenn das Böse millionenfacher Mord ist?
Nürnberg 1946. Die Hauptkriegsverbrecher werden angeklagt und erwarten ihren Tod. Der Militärseelsorger Henry Gerecke führt mit vielen von ihnen Gespräche, darunter Hermann Göring, Albert Speer, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel und Rudolf Hess. Manche der Angeklagten reagieren mit Ablehnung auf die christliche Botschaft, andere gleichgültig, doch manche scheinen echte Reue zu zeigen. Das bringt Gerecke in ein Dilemma: Gilt Gottes Gnade auch den Menschen, die sich schwerster Verbrechen schuldig gemacht haben? Oder verharmlost Vergebung ihre Sünden?<
(Artikelbeschreibung zum Buch "Letzte Begegnungen unter dem Galgen" von Tim Townsend, SCM Verlag )
Es ist schon einige Tage her, dass ich dieses Buch beendet habe. Ein Buch über den amerikanischen Militärseelsorger und Pastor Henry Gerecke, der 1946 bei den Nürnberger Prozessen dabei war und für die Gefangenen ein offenes Ohr hatte.
Doch was bewegte ihn dazu, sich dieser Aufgabe zu widmen?
"Die Vergebung durch Christus, sie bewegte Gerecke tief, als er dort auf der Parkbank saß und Gott um Weisung bat. [...] Wann sollte er je die Sünde hassen, aber den Sünder lieben wie nie zuvor, wenn nicht jetzt? Er ging zurück in Sullivans Büro und sagte: >>Ich mach´s.<<" (Seite 113, Letzte Begegnungen unter dem Galgen)
Gerecke war sich seiner Aufgabe bewusst und er war sich der Gräueltaten der Menschen bewusst, die er zu betreuen hatte. Einige Tage zuvor hat er das KZ Dachau besucht und es nahm ihm schier den Atem, zu was ein Mensch fähig war. Doch er war auch ehrgeizig und wollte, dass die Nazi-Größen sich ihrem Glauben wieder zu wendeten, den Glauben, den sie für die Ideologie aufgegeben hatten.
Durch Tim Townsend Buch wird eine andere Sichtweise auf die Nürnberger Prozesse gezeigt, die sich von den anderen Büchern weit abhebt. Durch seine sehr gute Recherchearbeit gelang es dem Autor ein Buch zu schreiben, dass den Leser an Gereckes Seite stellt und mit Gerecke zusammen, die Nürnberger Prozesse verfolgt.
Gerecke leistete dabei nicht nur die seelsorgerische Arbeit im Gefängnis, sondern besuchte jeden Prozesstag, weil er beide Seiten der Geschichte hören wollte. Und er kümmerte sich auch um die Frauen und Kinder der Männer, die ihm nach und nach Vertrauen schenkten.
Es ist schwer die richtigen Worte zu finden, weil mich beim Lesen dieses Buches so viel durch den Kopf ging. Auf einmal sieht man nicht mehr nur die Taten, die diese Monster in der Schreckensherrschaft von Hitler begangen haben, sondern aus den Monstern werden Menschen.
"Obwohl die Nazi-Kriegsverbrecher andere Taten begangen hatten als >>normale<< Sünder, kann Gerecke sie nicht als Kinder der Finsternis gesehen haben, und erst recht sah er ihre Frauen und Kinder nicht so." (Seite 317, Letzte Begegnungen unter dem Galgen)
Tim Townsend hat ein hervorragendes Buch über Henry Gerecke geschrieben, über seine Zeit in Nürnberg, aber auch über sein Leben davor und nach den Prozessen. Er beleuchtet aber nicht nur das Leben von Gerecke, auch O Connor, der für die katholischen Häftlinge als Seelsorger in Nürnberg gearbeitet hat, bekommt Raum in diesem Buch. Während Gerecke nach seiner Zeit in Nürnberg über seine Arbeit gesprochen hat, hat O Connor nie ein Wort über diese Zeit verloren.
Den einzigen Kritikpunkt den ich an diesem Buch habe, ist die, besonders im ersten drittel, Sprunghaftigkeit des Autors. Als er Gereckes Werdegang, der an manchen Stellen sehr interessant war, wiedergibt, wird er zum Teil sehr ausschweifend und auch im Zeitgeschehen springt er oft vor und zurück und es war für mich keine klare Linie zu erkennen.
Henry Gerecke hat nach seiner Zeit in Nürnberg weiterhin als Gefängnisseelsorger und Pastor einer Gemeinde gearbeitet. Bis er 1961 mit 68 Jahren verstarb. Aber sein Wirken, sowohl bei den Nürnberger Prozessen als auch danach, als Pastor und Seelsorger haben deutliche Spuren hinterlassen. Sie tragen dazu bei, dass Geschichte nicht in Vergessenheit gerät.