Furchtloser, selbsternannter Gentleman-Gauner rettet die Fantasywelt
Als 'außergewöhnlicher Gentleman-Gauner' bezeichnet sich der Titelheld des hier zu besprechenden High-Fantasyromans selbst, als 'Meister von List und Tücke', der gar tausend Leben hat. Im englischen Original ...
Als 'außergewöhnlicher Gentleman-Gauner' bezeichnet sich der Titelheld des hier zu besprechenden High-Fantasyromans selbst, als 'Meister von List und Tücke', der gar tausend Leben hat. Im englischen Original hingegen - „The Thousand Deaths of Ardor Benn“ - stirbt er vielmehr tausend Tode, was im Endeffekt wohl auf das Gleiche herauskommt. Dennoch bin ich einmal mehr verwundert über die Angewohnheit deutscher Verlage – wobei gar nichts gegen Paninibooks spricht! -, Originaltitel zu verdrehen oder nichtssagende eigene Kreationen zu ersinnen.
Wie dem auch immer sei, Ardor Benn nimmt den Mund ein wenig zu voll, denn in Wirklichkeit ist er ein zwar wagemutiger, aber dennoch ganz gewöhnlicher Dieb, der seinen Lebensunterhalt damit bestreitet, dass er sich Dinge aneignet, die ihm nicht gehören. Ein Draufgänger und Maulheld ist er, voll von sich selbst, dabei aber zugegebenermaßen recht amüsant und äußerst risikofreudig, denn auch vor den schwierigsten und jedem vernunftbegabten Leser völlig unlösbar erscheinenden Aufgaben schreckt er nicht zurück.
Und eine solche wartet auf ihn in dem umfangreichen Fantasyabenteuer des Amerikaners Tyler Whitesides, der mit dieser seiner ersten Fantasy-Reihe für Erwachsene – in seinem Heimatland bekannt wurde er als Autor von Kinder- und Jugendbüchern – ursprünglich ein Herzensprojekt verwirklichen wollte, für das es keinen Abgabetermin gab. Doch auch Herzensprojekte entwickeln manchmal eine Eigendynamik und, hast du nicht gesehen, der Autor konnte mit dem Fabulieren erst dann aufhören, als eine Trilogie, ein regelrechtes Mammutwerk sogar, entstanden war!
Aber kehren wir zurück zu dem vollmundigen Meisterdieb! Von Ardors ihm weit vorausschallenden Ruf angelockt kommt da nämlich der Priester Eiland Halavend (ja, richtig, der Priester ist eine Insel!) und beauftragt den selbstbewussten Helden mit einer gar schwierigen, umfangreichen, gefährlichen, eigentlich unlösbaren Mission: er soll dem König des Inselreiches, aus dem die Welt, die sich der Autor ausgedacht hat, besteht, zwei Herrscherinsignien entwenden, denn auf dem Spiel stehen, ohne auf Einzelheiten einzugehen, nicht mehr und nicht weniger die Zukunft und das Leben der Inselbewohner!
Für Ardor Benn ist glücklicherweise nichts zu schwer und das Adjektiv 'unmöglich' existiert in seinem Wortschatz nicht. Zudem steht ihm nicht nur Raek, sein Freund aus Kindertagen und für Ardor wie ein Bruder, seines Zeichens mathematisches Genie und Muskelprotz und noch so einiges mehr, wie der interessierte Leser erfahren wird, zur Seite, sondern auch die eigens für die gefährliche Mission angeheuerte Diebin Quarra, eine Romanfigur, der man anfänglich große Sympathie entgegenbringt ob ihrer Unabhängigkeit und Stärke, die als Charakter jedoch leider verliert im Laufe der Handlung, je mehr sie sich zu dem sich für unwiderstehlich haltenden Ardor oder Ard, wie er im Zuge der Namensverkürzungsmanie, in der Geschichte sehr bald schon genannt wird, hingezogen fühlt.
Dass mich der allgegenwärtige Titelheld nicht vom Hocker reißen konnte, da mir grundsätzlich Tausendsassas seiner Art nicht liegen, stellte nur eines der Probleme dar, die ich mit der Lektüre des sage und schreibe 800 Seiten langen, kleingedruckten Werkes hatte, das im Heimatland des Autors mit überwiegend großer Begeisterung aufgenommen wurde. Liest man nämlich Rezensionen von Tyler Whitesides Landsleuten, so ist man ganz geblendet von so viel Überschwänglichkeit, ein Substantiv, das mir schon immer suspekt war!
Ja, jedes Buch, gleich welchen Genres, hat seine Leser – viele mitunter, je nach Güteklasse, oft unverständlich viele. Obschon ich, ohne ein ausgesprochener Fan von Fantasyliteratur zu sein, mich gerne hin und wieder von einem guten Vertreter dieser Gattung begeistern lasse und nach den Vorschusslorbeeren und auch der Inhaltsbeschreibung mit großen Hoffnungen „Die tausend Leben des Ardor Benn“ aufgeschlagen habe, wuchs meine Enttäuschung von Seite zu Seite. Da ich selten ein einmal begonnenes Buch abbreche und dies schon gar nicht innerhalb einer Leserunde tue, habe ich mich weitergekämpft – und dies über mehr als zwei Monate. Ein Lesezeitraum, der keinem Buch wirklich bekömmlich ist! Überfliegen, wie ich das zeitweise versuchte, ging nicht, denn so war es leicht, wichtige Details, die zwar spärlich, aber willkürlich über das gesamte Buch verteilt sind und deren Kenntnis einfach notwendig ist, um der Handlung folgen zu können, zu übersehen. Darüberhinaus ist das Werk so voller Details, dass man die wichtigen manchmal nicht von den unwichtigen und daher vollkommen überflüssigen unterscheiden kann. Streicht man die übrigens weg, bleiben kaum mehr als 300 Seiten übrig...
Desweiteren hatte ich von Anfang an mit der eintönigen, gleichförmigen, langweiligen Sprache Probleme – die im krassen Gegensatz steht zu der so komplexen, ganz und gar fremdartigen Welt, in der der Autor sein Herzensbuch spielen lässt, und die da ein Insel-Archipel ist, deren Hauptschauplatz, die Hauptstadt Beripent, auch Heimatort des Gauners Benn ist. Dazu noch hat der unbestreitbar phantasiebegabte Whitesides ein kompliziertes und gar verwundenes, offensichtlich nur von ihm selbst und den amerikanischen Fans zu verstehendes magisches System ersonnen, das sowohl auf Physik und Chemie, als auch auf Religion basiert, wobei die Magie in direktem Zusammenhang steht mit den auf der Insel Pekal lebenden Drachen, die allerdings vom Aussterben bedroht und in der Handlung wenig mehr als Mittel zum Zweck sind – was ich schade finde, denn wäre ihnen mehr Aufmerksamkeit zuteil geworden, hätte dies die Geschichte aufwerten können. Gezaubert wird, so muss man wissen, nämlich mit einer Substanz namens 'Malm', von dem es unterschiedliche Typen zu unterschiedlichen Zwecken gibt und das nichts anderes ist als pulverisierte Drachenkacke (der beste Malmmischer des Reiches ist, nebenbei gesagt, Ardors Freund Raek!) Dieses Malm wiederum heißt 'Grit' im englischen Original, zu dem ich nach der Hälfte der Lektüre meine Zuflucht genommen hatte, allzumal es ein, in der deutschen Ausgabe fehlendes, Glossar am Ende des Buches gibt, was definitiv eine Hilfe ist. Umso unverständlicher, dass es in der deutschen Version einfach unter den Tisch gefallen ist. Seltsam, dachte ich, wir Deutschen nehmen doch nur allzu willig jedes Modewort und auch noch andere, völlig überflüssige Anglizismen in unsere Sprache auf – warum müssen aber Ausdrücke, die im Grunde Phantasiewörter sind, in weitere Phantasiewörter 'übersetzt' werden? Und es ist ja nicht nur 'Grit', sondern es ist noch unzählig viel anderes aus den 'Tausend Leben' beziehungsweise 'Tausend Tode'!
Eines muss man dem Autor fairerweise zugute halten: seine Ideen sind originell und unterscheiden sich vom Mainstream, so wie ich die fantastische Welt, die er sich ausgedacht hat, interessant, spannend, auch verheißungsvoll finde. Die Umsetzung dieser Ideen wiederum empfinde ich als über weite Strecken nicht gelungen. Leider bleiben auch die handelnden Personen an der Oberfläche, haben keine Tiefe und deshalb auch nicht das Potential, zu berühren. Allerdings – und das ist löblich! - ist der Autor nicht der Versuchung erlegen, den ersten Band seiner Trilogie mit einem Paukenschlag oder, auf gut Deutsch, 'Cliffhanger' enden zu lassen. Das Buch hat einen Abschluss, und das ist gut so! Was immer noch mit und um Ardor Benn geschehen mag mögen die vielen begeisterten Anhänger des Gentleman-Gauners gerne ohne mich herausfinden!