Beredt, klar und mit viel Gefühl
Der Roman „Power“ von Verena Güntner handelt von einem Hund, der verschwunden ist. In dem Dorf, in dem das geschehen ist und das an einem Waldrand liegt, ist darüber zunächst nur seine Besitzerin betrübt. ...
Der Roman „Power“ von Verena Güntner handelt von einem Hund, der verschwunden ist. In dem Dorf, in dem das geschehen ist und das an einem Waldrand liegt, ist darüber zunächst nur seine Besitzerin betrübt. Doch das Buch macht seinem Namen alle Ehre, denn „Power“ bildet die treibende Kraft, die die Kinder des Orts schließlich geschlossen dazu bringt, ihn auf eine ungewöhnliche Weise zu suchen.
Kerze, die Protagonistin des Romans, ist elf Jahre alt und damit genauso alt wie Power. Sie lebt allein mit ihrer Mutter, die tagsüber zur Arbeit ist. Ihren gegebenen Versprechen kommt sie immer nach. Sie hat sich ihren Spitznamen gegeben, weil sie Verzweifelten, Enttäuschten und Bedrückten wieder Licht und damit Freude zurück in den Alltag bringen will. Dem Auftrag der älteren Dorfbewohnerin Frau Hitschke, nach ihrem Hund Power zu suchen, kommt sie daher gerne nach. Sie ist selbstbewusst, vorlaut und lebt ihre Rolle als Detektivin streng und übertrieben aus.
Das Ende der Geschichte ist nicht verwunderlich, denn das Ergebnis der Suche wird auf den ersten Seiten vorweggenommen. Dennoch ist die Erzählung bis dahin überraschend. In einem kleinen Ort, in dem jeder jeden kennt mit all seinen Eigenarten, Allüren, Freundschaftsbeziehungen und Abneigungen stehen die Sommerferien an. Für Kerze und die übrigen Kinder ist das eine eher langweilige Zeit. Keiner hat eine Urlaubsreise, der Tag liegt wie ein dunkles Loch vor einem, denn Aktionen in Form von Ferienspielen oder ähnlichen bieten sich hier keine an. Ich kenne das aus meiner eigenen Kindheit auf dem Dorf. Kerze aber bietet mit ihrer Suche eine prima Ablenkung vom Ferienalltagseinerlei. Ganz nebenher tut man auch noch Gutes, wenn man sich der Sache anschließt und einer Ortsbewohnerin vielleicht sogar ihren kleinen Liebling wiederbringen kann. So beginnt es.
Zunehmend übernimmt Kerze die Organisation der Gruppe der Kinder, von denen sich immer mehr der Suche anschließen, und gewinnt dadurch deren Vertrauen. Die Gruppe folgt ihren Anweisungen, aber mit steigender Verantwortung für die Entscheidung über Gerechtigkeit und die Übernahme von Schiedssprüchen ändert sich allmählich ihr Ton. Die Suche wird immer verbissener. Die Ideen von Kerze zum Auffinden des Hunds werden immer abstruser, aber keines der Kinder wagt gegen die Methoden aufzubegehren, der Druck der Gruppe auf Uniformität wächst.
Die Eltern sehen dem Treiben unterdessen tatenlos zu. In der von der Autorin aufgezeigten Welt, in der Erwachsene ihrer Rolle als Vermittler von Werten und Normen kaum nachkommen, testen die Kinder ihre Grenzen bis zum Äußersten aus und die Mütter und Väter rühmen sich ihrer erzieherischen Fähigkeiten und lehnen jede Hilfe ab, die nicht aus diesem Kosmos kommt.
Auf überspitzte Weise zeichnet Verena Güntner in ihrem Roman „Power“ die ungewöhnliche Art eines Zusammenschlusses von Kindern, zunächst mit einem erkennbar guten Sinn, später aber immer mehr aus dem Ruder laufend. Ihre Sprache ist beredt, klar und mit viel feinem Gespür fürs Detail. Die Geschichte regt zum Nachdenken an. Gerne vergebe ich hierzu eine Leseempfehlung.