Stille Wasser sind tief
Wie in Alena Schröders erstem Roman geht es auch in ihrem zweiten Werk „Bei euch ist es immer so unheimlich still“ um generationenübergreifende Familiengeheimnisse, unausgesprochene Konflikte und die Beziehung ...
Wie in Alena Schröders erstem Roman geht es auch in ihrem zweiten Werk „Bei euch ist es immer so unheimlich still“ um generationenübergreifende Familiengeheimnisse, unausgesprochene Konflikte und die Beziehung zwischen Müttern und Töchtern.
Die Romanhandlung spielt auf zwei Zeitebenen. Zum einen ist da Silvia Borowski, die vor einigen Jahren ihre spießige schwäbische Heimat verlassen und einen alternativen Lebensstil gepflegt hat. Nun kehrt sie 1989 überraschend mit ihrer neugeborenen Tochter Hannah nach Hause zurück, da sie nicht recht weiß, wie es für sie weitergehen soll und Unterstützung bei ihrer Mutter Evelyn zu finden hofft. Doch unausgesprochene Konflikte erschweren die Beziehung zwischen den beiden und Silvia versucht hinter die Geheimnisse zu kommen, die schon lange das Familienleben belasten.
Die andere Zeitebene spielt in den 50er-70er Jahren und beleuchtet die Vergangenheit der Familie Borowski. Evelyn könnte als junge Ehefrau und Mutter glücklich sein, doch sie sehnt sich danach, sich als Ärztin zu verwirklichen und nicht nur als Hausfrau am Herd zu stehen. Ihre Schwägerin Betti führt dagegen ein eher unangepasstes Leben, kümmert sich wenig um das Gerede anderer Leute und ist für Silvia eine größere Vertrauensperson als ihre Mutter. Somit ist Konfliktpotenzial innerhalb der Familie vorhanden und wie beide Handlungsstränge am Ende ineinandergreifen erzählt Alena Schröder auf emotionale, teils erschütternde Weise.
Beim Lesen hat mich der Roman oft bedrückt und traurig gestimmt, da alle Charaktere irgendwie unzufrieden sind und mit ihrem Leben hadern. Es herrscht vor allem in der ersten Hälfte eine melancholische, fast schon hoffnungslose Stimmung und einzig Silvia scheint trotz ihrer nicht ganz einfachen Lebenssituation die Welt etwas positiver zu sehen. Vor allem ihre kleine Tochter Hannah ist ein Lichtblick, der Glück in Silvias aber auch Evelyns Leben bringt. Obwohl der Roman sehr emotional ist, ist Alena Schröders Schreibstil dennoch nicht kitschig-sentimental. Sie schreibt flüssig und verfasst die Gedankengänge der Charaktere in einem authentischen Ton. Wörtliche Rede gibt es passend zur Thematik des Romans eher wenig. Die LeserInnen lernen die Figuren vor allem durch die Innenperspektive kennen, wenn diese in Gedanken versunken ihre Probleme reflektieren. Gerade weil man dadurch so nah an den Charakteren ist, schafft es die Autorin, die LeserInnen emotional mitzunehmen.
Allerdings fand ich manchmal das Verhalten oder die Reaktionen der Charaktere unlogisch. Zum Beispiel wurde mir Silvia zu schnell wieder in ihrem Heimatdorf Ildingen willkommen geheißen, von der Mutter ins Haus aufgenommen und von den alten Schulfreunden und Bekannten eingeladen. Nachdem Silvia jahrelang verschwunden war, hätte ich da mehr Skepsis oder Nachfragen erwartet. Ebenso fragwürdig ist in der zweiten Hälfte des Romans das Auftauchen des Charakters Georg. Er spielt zwar bei der Zuspitzung der Konflikte eine entscheidende Rolle, aber die Art, wie er eingeführt wird, dabei alle anderen Personen so rasch um den Finger wickelt und wie Silvia und Georg am Ende wieder zufällig aufeinandertreffen, war für mich doch etwas unglaubwürdig.
Außerdem wurde das kleinbürgerliche Leben in Ildingen sehr stereotyp dargestellt. Dies wurde zu oft mit typischen Klischees betont, sodass diese am Ende redundant wirkten. Auch mit weniger Beschreibungen der engen, spießigen Atmosphäre der schwäbischen Kleinstadt, hätte die Autorin die Stimmung des Ortes einfangen können ohne ständig ähnliche Stereotype zu wiederholen.
Nichtsdestotrotz hat mir alles in allem der Roman gut gefallen. Vor allem nach etwa er Hälfte der Lektüre wurde es durch überraschende Wendungen richtig spannend und man wollte hinter die Familiengeheimnisse kommen. Alena Schröder verknüpft in ihrer Geschichte dabei zahlreiche Themen wie z.B. Selbstverwirklichung und -ermächtigung von Frauen, Homosexualität, Flucht aus dem bürgerlichen Leben, Emanzipation von den Erwartungen anderer Leute oder Mutterschaft. Treibend bei all diesen konfliktträchtigen Themen ist die Diskrepanz zwischen der scheinbar perfekten Fassade und den im Stillen dahinter verborgenen Wahrheiten, die manchmal wahre Abgründe sind. Dass solche Geheimnisse aber ausgesprochen werden sollten, da sie sonst ganze Leben und Beziehungen zerstören können, zeigt die Familiengeschichte der Borowskis hier in eindringlicher Weise.