Flache Sprache, klischeehafte Charaktere und Rollenbilder
Meine Eindrücke in Kürze / Fazit: Ein einfacher Erzähl- und Sprachstil, der kaum Gefühle, Tiefgang und Spannung aufkommen lässt. Charaktere bleiben unausgereift oder bedienen Stereotype. Viel primitiver ...
Meine Eindrücke in Kürze / Fazit: Ein einfacher Erzähl- und Sprachstil, der kaum Gefühle, Tiefgang und Spannung aufkommen lässt. Charaktere bleiben unausgereift oder bedienen Stereotype. Viel primitiver Humor. Nicht zu empfehlen für Leser, die einen anspruchsvollen Krimi mit kreativen Ideen suchen. Okay, wenn man bewusst kurzweilige Unterhaltung sucht.
Meine ausführlichen Einschätzungen:
Neugierde auf diesen Bestseller und darauf, was ihn so beliebt macht sowie das Bestreben, eine qualifizierte Rezension abzugeben, haben mich angetrieben, den Roman fertig zu lesen. Ich fühlte mich nicht gefesselt, streckenweise genervt. Zugegeben, ich habe mich über so manchen Dialog amüsiert. Aber - mit etwas Abstand betrachtet - fußt die Faszination letztendlich auf den gleichen Gründen, die auch Millionen Leute das Zurschaustellen minderbegabter Menschen bei ‚DSDS‘-Castings und ‚Schwiegertocher gesucht‘ sehen lässt. Das fand ich im Alter von 13 noch lustig, aber mit fast 30 bin ich darüber lange hinaus.
Hauptfigur Jan ist für mich ein farbloser Charakter geblieben. Er bezeichnet sich selbst als super Spürnase, was ich bis dato schwer nachvollziehen kann. Zwar hat der Autor versucht, Jans Betroffenheit aufgrund eines dramatischen privaten Ereignisses auszudrücken, aber leider haben mich diese Szenen emotional kaum erreicht. Es ist mir nicht gelungen, mit ihm zu sympathisieren oder Faszination zu empfinden.
Beim Ermittlerteam hat Alexander Hartung ganz tief in die Klischeeschublade gegriffen und dann noch ordentlich überzeichnet, wobei Logikbrüche auftreten:
Zoe ist nikotin- und koffeinabhängig, sieht wie ein Supermodel aus und wird auch angehimmelt, obwohl sie ihre Mitmenschen wie den letzten Dreck behandelt. Sie ist steinreich und kleidet sich entsprechend. Zum Spaß ist sie ausgerechnet Rechtsmedizinerin, dann aber nach dem Mithören eines Telefonats traumatisiert.
Max ist Hacker, angeblich hochintelligent und erfüllt alle Klischees eines Nerds: abgedunkelte verwahrloste Wohnung, ungepflegt, isst nur Fastfood vom Lieferdienst, keine echten sozialen Kontakte.
Chandu mit afrikanischem Migrationshintergrund ist im kriminellen Milieu daheim.
Es hagelt Verleumdungen, alle Ermittler zeigen starke Neigungen zur Selbstjustiz und die Lösung des Falls wird vorrangig vorangetrieben, indem sensible Daten mit ein paar Mausklicks entwendet werden, Erpressung und Gewalt ausgeübt und eingebrochen wird. Spätestens mit den Brutalitäten durch die angeblich Guten werden Grenzen überschritten, die nicht überschritten gehören. Aufgrund der Veranlagungen des Ermittlerteams wird es in Folgebänden voraussichtlich ähnlich laufen.
Von realistischen Arbeitsbeschreibungen kann keine Rede sein: unfähige und voreingenommene Polizisten kurz vorm Durchdrehen, Leichenidentifikation anhand von Schmuck, scharfes mexikanisches Essen kurz nach Operation, vermischte Schadensersatz- und Strafprozesse, wozu ein Alibi prüfen?, was ist Schweigepflicht?, …
Hoffentlich nimmt diese Falschdarstellungen niemand ernst.
Ich habe nichts gegen überzeichnete Charaktere und künstlerische Freiheiten, wenn hierdurch meine Stimmung aufgehellt wird, ich mag die Wiedergabe von anspruchsvollem Zynismus. Aber hier läuft sich die extrem flache, vulgäre Ausdrucksweise schnell tot und vermag nicht mehr zu überraschen. Kreative Ideen fehlen. Das hat man alles schon mal gesehen und ich hätte eigentlich gern mal einen Gegenentwurf erlebt.
Es klingt an, dass sich hinter den Figuren tiefgründigere Geschichten verbergen könnten (z. B. Chandus Familie), aber aufgrund der in Band 1 gewonnenen Erfahrungen muss ich bezweifeln, dass dies in Folgebänden fesselnd und glaubwürdig dargestellt wird.
Der Kriminalfall ist nicht neu. Er vermag Spannung zu erzeugen, wenn man nicht zu viel nachdenkt und sich an Logikfehlern nicht stört. Eine Vielzahl unglaubwürdiger Elemente erschwert effektives Miträtseln. Es treten keine nennenswerten Längen auf. Nervenkitzel habe ich aber nicht empfunden.
Verweis auf zwei andere Krimireihen:
Ich lasse mich gern auf eine emotionale Reise mitnehmen.
Ich empfehle Jack Daniels (bevorzugt frühe Bände), um sich von einer zynischen Serienheldin und bewusst überzeichneten und urkomischen Sidekicks im Kampf gegen psychopathische Mörder (inklusive verstörender Innenansichten) in einer Gefühlsachterbahn kurzweilig unterhalten zu lassen: Der Lebkuchenmann (Ein Jack-Daniels-Thriller 1).
Ich begleite gern Max Wolfe, wenn ich eine tiefgründige, sympathische Hauptfigur und gut recherchierte, vergleichsweise realistische Polizeiarbeit, aufgepeppt mit einigen spannenden Alleingängen, suche: Nachtschwärmer: Eine DC-Max-Wolfe-Kurzgeschichte. Kriminalroman.
Emotionen sind besser spürbar. Die Hauptfiguren sind intelligent und haben ein faszinierendes Privatleben und die Brüche zwischen realistischen und übertriebenen Darstellungen weisen eine höhere Treffsicherheit auf.