"Das Juwel – Die Gabe" von Amy Ewing ist nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich ein absolutes Schmuckstück. Das Cover ist mit vielen kleinen Glitzersteinen besetzt, wodurch es zu einem absoluten Hingucker wird. Doch auch der Inhalt ist wunderschön, obgleich auf eine gewisse Art und Weise absolut schrecklich und grausam. Der Roman ist wie eine gute Mischung aus "Der Report der Magd" von Margaret Atwood und "Selection" von Kiera Cass. Zwar ist dieses Buch in der Jugendbuchabteilung zu finden, allerdings können auch Erwachsene sofort in diese Geschichte eintauchen.
Obwohl Dystopien derzeitig den Buchmarkt förmlich überschwemmen, sicht "Das Juwel" inhaltlich sehr aus der Masse hervor. Violet ist eine Protagonistin, die einem sofort ans Herz wächst. Mit jedem geschriebenen Wort fühlt man sich in ihre Lage hineinversetzt, wodurch es leicht fällt, Mitleid für sie zu empfinden. Sie befindet sich in einer schrecklichen Situation, da sie keinerlei Rechte besitzt. Als wäre sie ein Gebrauchsgegenstand wird sie an den Meistbietenden versteigert, wodurch sie auch ihr letztes bisschen Würde verliert. Das Leben in einer solchen Welt ist erschreckend und absolut grausam, weshalb wir uns glücklich schätzen kkönnen, dass es so etwas in unserer Gesellschaft nicht gibt. Kann man es überhaupt "Leben" nennen, wenn man kein Mitspracherecht hat, wenn man noch nicht einmal über seinen eigenen Körper verfügen kann, wie es einem beliebt? All diese Schreckensszenarien muss Violet durchleben und das Schlimmste an ihrer Situation ist, dass sie keine Wahl hat. Sie hätte sich nicht gegen die Ausbildung zur Surrogat entscheiden können, denn es sollte eine Ehre sein, sein altes Leben den Rücken zu kehren und ein neues im Juwel zu beginnen. Violet muss viele grausame Dinge im Haus der Herzogin vom See über sich ergehen lassen. Widerspricht sie, so wird sie auf brutalste Weise bestraft. Weder darf sie unaufgefordert reden, noch Gefühle haben. So beginnt für Violet ein erbitternder Kampf mit sich selbst, als sie sich plötzlich verliebt – ein Gefühl, von dem sie niemals erwartet hätte es, jemals zu empfinden.
Die Liebesgeschichte von Violet und Ash spielt sich glücklicherweise über keinen allzu langen Zeitraum ab. Auch wenn mir die Harmonie der beiden Liebenden sehr gut gefällt, wäre es wünschenswert gewesen, hätte Ewing in diesem Buch auf die Romantik verzichtet, da sie für den Spannungsbogen nicht nötig ist. Schon allein die erbarmungslose Gesellschaft, in der Violet lebt, wirft den Leser aus der Bahn und erweckt starke Empathie in ihm. Deswegen hätte sich die Autorin mehr auf die Entwicklung ihres Charakters konzentrieren können, die langsam aber sicher zu einer unfassbar starken und unabhängigen Persönlichkeit wird. Genau diese Unabhängigkeit ist es, durch die man Violet so sehr ins Herz schließt. Durch ihre Liebesbeziehung mit Ash wird genau diese Unabhängigkeit mit den Füßen getreten; sie auf ihn angewiesen und von ihm abhängig. Violet trifft ihre Entscheidungen nur noch mit dem Gedanken an ihn im Hinterkopf. Ja, es ist irgendwo verständlich, da dies ihre einzige wirkliche Chance auf das große Glück sein könnte, allerdings gibt es im Juwel unendlich viele Gefahren, die sie alleine um einiges besser bestehen könnte. Aber vielleicht hat sich Ewing an dieser Stelle etwas ganz Besonderes für die Folgebände überlegt, wodurch sich meine Meinung bezüglich Ash noch ändern könnte. Schließlich ist auch er ein Opfer der Gesellschaft, da er ein Gefährte ist, der in Liebesdingen tun und lassen muss, was sein Käufer von ihm verlangt. Man kann auf jeden Fall gespannt sein, in welche Richtung sich das Techtelmechtel von Violet und Ash noch entwickeln wird.
Doch ist es nicht bloß Violet, die einem zum Nachdenken anregt, sondern ebenso ihre beste Freundin Raven, mit der sie ihre Ausbildung absolviert hat. Ab und zu bekommt man einen kleinen Einblick in ihr Leben und wie grausam sie von ihrer Herrscherin behandelt wird. War Raven zu Beginn noch viel stärker als Violet, so fällt ihre Mauer stückchenweise zusammen, bis Raven gebrochen ist. Es ist eine schrecklich mitleidserregende Entwicklung, die man in der Novelle "The House of the Stone" (bisher nur als englisches Ebook erhältlich) noch genauer mitverfolgen kann. Doch auch Violets Herrscherin ist erbarmungslos und bösartig. Sie hat zwei komplett verschiedene Gesichter, was sie unberechenbar macht, da man nie weiß, wie sie als nächstes handeln wird. Genau das ist einer der Hauptgründe, weshalb "Das Juwel" ein außerordentlich guter Roman geworden ist: Es bleibt spannend bis zum bitteren Ende. Gerade in den letzten Kapiteln gibt es noch unfassbar viele unerwartete Wendungen, die das Warten auf die Fortsetzung (unter dem Titel "The White Rose" bereits auf Englisch erschienen) unerträglich machen.
Fazit
Mit diesem Auftakt ist es Amy Ewing gelungen, einen fesselnden und zugleich überaus schockierenden Roman zu erschaffen, der absolut unter die Haut geht. Auch wenn man auf den romantischen Aspekt getrost hätte verzichten können, weiß "Das Juwel" doch den Leser komplett zu überzeugen.