Ein sozialkritischer Krimi in einer dystopischen Zukunft – unbedingt lesenwert!
Arthur Morgenroth ist Polizist im Jahr 2029 in Deutschland. Er lebt in einer Gesellschaft, in der die Einnahme von leistungssteigernden Medikamenten und Stimmungsaufhellern nicht nur gestattet, sondern ...
Arthur Morgenroth ist Polizist im Jahr 2029 in Deutschland. Er lebt in einer Gesellschaft, in der die Einnahme von leistungssteigernden Medikamenten und Stimmungsaufhellern nicht nur gestattet, sondern sogar gesellschaftlich erwünscht bzw. gefordert ist. Leistungserbringung ist ein absolutes Muss – und das ganz besonders, wenn ein Mord geschieht und die Ermittlungen ganz schnell gehen müssen. Das Opfer ist ein vielversprechender junger Forscher, Ben, der an der Entwicklung neuer Enhancer forscht, und der Hauptverdächtige zunächst die Organisation Liberty of Mind, die sich der Nutzung von Enhancern vehement in den Weg stellt.
„Betäubter Wille“ von Anna Lena Diel ist ein besonderes Buch: Der Genremix aus klassischem Kriminalfall und Dystopie, gemischt mit einer ordentlichen Portion Gesellschaftsdrama und einem guten Schuss Sozialkritik, funktioniert hervorragend. Arthur Morgenroth ist eine vielschichtige Person, der die aktuelle gesellschaftliche Lage ganz schön an die Nieren geht – mit dem Leistungsdruck und dem erwarteten Tablettenkonsum kommt er schlecht klar, zudem nagt der kürzliche Tod seiner Frau an ihm. Das Thema Depression wird hier am Rande gestreift und die schockierende Tatsache erläutert, dass Trauer in dieser leistungsorientierten neuen Realität nicht vorgesehen ist und mit Enhancern wegdosiert werden muss.
Leistung und Leistungsdruck sind die großen Themen, um die der Roman sich dreht, und so verwundert es nicht, dass jeder der Protagonistinnen auf ihre ganz eigene Weise an der Situation zu knabbern hat. Alle Beteiligten haben ihr Päckchen zu tragen: Irma, die Mutter des Ermordeten, die auf eigene Faust ermittelt; Charlotte, Arthurs Schwägerin und Kollegin, die sich mit Enhancern zudröhnt, um mit einem absurden Arbeitspensum den Tod ihrer Schwester zu überlagern; und Josefine, Bens Freundin, die wissenschaftliche Ambitionen hat, aber aus dem Schatten ihres brillanten Bruder sofort in den Schatten ihres brillanten Freundes hinübergeglitten ist. All sie eint ein stetiger Druck von außen und die Botschaft, sie seien allein, ohne Enhancer, nicht genug.
„Betäubter Wille“ ist ein starkes Buch, das an die Substanz geht. Denn die Anlagen zu dieser Gesellschaft liegen in der Gegenwart – und als Leserin lässt man sich nicht nur von dem spannenden Kriminalfall mitreißen, sondern empathisiert auch stark mit den Figuren, deren Kampf mit einer extrem leistungsorientierten Gesellschaft durchaus auf Resonanz im eigenen Leben stößt. Eine unbedingte Leseempfehlung!