Dieses Staunen vor der betörenden Schönheit unserer Welt
Die 74jährige Alma verliert langsam ihr Gedächtnis, Stück für Stück gleiten die Erinnerungen davon und mit ihnen auch ihre eigene Geschichte. Eine sogenannte „Memory Wall“ soll diesem Verlust entgegenwirken, ...
Die 74jährige Alma verliert langsam ihr Gedächtnis, Stück für Stück gleiten die Erinnerungen davon und mit ihnen auch ihre eigene Geschichte. Eine sogenannte „Memory Wall“ soll diesem Verlust entgegenwirken, eine Sammlung zahlreicher Fotos und auf Disketten gespeicherter, bewegter Bildsequenzen aus ihrer Vergangenheit sollen der Vergessenheit trotzen und Alma helfen, sich in der Gegenwart zurechtzufinden, sich wieder in dieser zu verankern. Zur Seite steht der in Kapstadt lebenden alten Dame Pheko, ein treuer Hausangestellter und alleinerziehender Vater, dessen Leben fest mit dem ihren verknüpft und dessen Zukunft durch Almas Demenzerkrankung ebenfalls bedroht ist. Und dann sind da noch Luvo, ein 15jähriger Waisenjunge, und Roger, Kleinkriminelle, die regelmäßig in Almas Haus einbrechen und deren persönlichste Erinnerungen systematisch nach Hinweisen auf den geheimen Fundort eines wertvollen Fossils durchkämmen, ihrem Schlüssel zu einem besseren Leben.
Auf gerade einmal 135 Seiten lotet Doerr hier die Frage aus, welche Bedeutung Erinnerungen für uns haben; was wir sind ohne sie. Und wie könnte eine Welt aussehen, in der unsere Gedanken nicht mehr uns alleine gehören, intimsten Geheimnisse nicht mehr sicher und Erinnerungen allen frei zugänglich sind? Diese Novelle hat (natürlich) nicht die Dichte seiner umfangreicheren Werke, doch beweist Doerr auch hier wieder ein unglaubliches Erzähltalent mit Liebe zum Detail. Das Tempo ist flott, ebenso der Wechsel zwischen den Figuren, die samt und sonders mit einem solchen Einfühlungsvermögen beschrieben sind, dass man sie sofort ins Herz schließen muss. Und immer steckt in Doerrs Geschichten auch diese große Ehrfurcht vor der Natur, dieses Staunen vor der betörenden Schönheit unserer Welt.