Dystopischer Unterdrückungsstaat
Der Roman mit dem orientalischen Cover, das aus 1001 Nacht zu stammen scheint, lässt sich nicht so einfach bewerten. Er ist nicht leicht in eine simple Kategorie Gut oder Schlecht, Spannend oder Langweilig ...
Der Roman mit dem orientalischen Cover, das aus 1001 Nacht zu stammen scheint, lässt sich nicht so einfach bewerten. Er ist nicht leicht in eine simple Kategorie Gut oder Schlecht, Spannend oder Langweilig einzuordnen, die Beurteilung muss vielschichtiger ausfallen. Wie schon das abgebildete, riesige, fast goldene Tor mit dem durchscheinenden Licht und den Menschenmassen davor beim Leser Erwartungen hinsichtlich Lokalität und Kultur im Roman erzeugt, so weckt das Warten vor dem Tor mitten in der Masse Hoffnung bei den Protagonisten.
Sehr intensiv widmet sich Basma Abdel Aziz der Warteschlange mit ihren Wartenden, die vor sogenannten Tor anstehen, um eine Genehmigung zu beantragen. Staatliche Genehmigungen benötigt man seit der Niederschlagung der Revolution für alles Mögliche: zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit, zum Kaufen eines Brotes oder zur Planung einer lebensnotwendigen Operation. Die Entstehung eines Genehmigungsbedarfs erscheint willkürlich, ein falsches Wort, eine falsche Tat, ein falscher Blick. So stehen die Leute tagein tagaus in der Schlange und hoffen auf Stattgabe ihrer Anträge. Der Mikrokosmos Schlange bringt bald viele lebensnotwendige Dinge hervor, wie Nachrichtenservices oder eine Teestube, aber bewegen tut er sich nicht, sondern wird nur stetig länger.
Trotz der detailreichen Beschreibungen blieben mir die meisten Wartenden fremd. Die Schicksale der Hauptfiguren, Yahya und Amani, haben mich berührt, jedoch eher im Sinne von Mitleid. Gleichzeitig konnte man unter den Charakteren unterschiedliche Gruppierungen ausmachen, was wieder sehr interessant war. Neben Geheimdienstmitarbeitern gab es Rebellen, Überlebenskünstler, aber auch Anpassungsfähige. Daran gefallen hat mir das innere Ringen der Charaktere mit sich selbst.
Der dystopische Staat und die Revolution werden im Roman nur soweit charakterisiert wie es für die Einbettung der Geschichte unbedingt notwendig ist. Das ist für den Leser schade, der gern noch tiefer eingestiegen wäre, denn so bleibt das Setting recht blass. Wir haben lediglich einen vom Militär dominierten Staat, der nur noch staatsfreundliche Medien zulässt und alle Kritiker unterdrückt.
Das beste am Roman ist die vermittelte Stimmung, diese elende, trostlose Stimmung, wo alle hoffen, „Heute geht das Tor bestimmt auf“, und dann doch wieder nichts passiert. Die Menschen leben in der Warteschlange bzw. sie vegetieren dahin. Abgeschnitten sind sie von allen wirtschaftlichen Möglichkeiten. Beim Lesen nimmt man wahr, wie die Charaktere nach und nach innerlich zerbrechen, wie sie aufgeben. Man fühlt sich wie mittendrin und ist doch froh, in Mitteleuropa dieser Welt geboren zu sein.
Mir hat „Das Tor“ ganz gut gefallen. Der Roman war anspruchsvoll, zeitweise emotional schwer auszuhalten.