Skisport für alle - zwei Frauen stehen dafür ein
Auf diesen historischen Roman wurde ich aufgrund der Teilnahme der Autorin an der lit.Love aufmerksam. Das Thema und das tolle und passende Cover des Romans - Skifahren in den Anfängen - hat mich neugierig ...
Auf diesen historischen Roman wurde ich aufgrund der Teilnahme der Autorin an der lit.Love aufmerksam. Das Thema und das tolle und passende Cover des Romans - Skifahren in den Anfängen - hat mich neugierig gemacht, darüber habe ich noch nie in einem Roman gelesen.
Da ich mit vielen Bergen ringsherum aufgewachsen bin und schon als kleines Kind auf den Skiern stand, Skifahren am schulfreien Nachmittag unsere Winterbeschäftigung war, wollte ich gerne mehr darüber wissen, wie das war, wenn man um die Jahrhundertwende Skifahren wollte.
Für Männer war Wandern, Bergsteigen oder Skifahren ein sehr seltener Sport. Erst recht für die Frauen. Skifahren konnte man höchstens, wenn man in den Bergen und in einem fortschrittlichen Haushalt lebte. So wie Lotte Seidl, die von ihrem Vater, einem Lehrer, jeglichen Bergsport erlernte. Nach seinem Tod hält Lotte nicht viel in Mürzzuschlag und reist mit der Adresse eines Sportladens in der Tasche nach Wien.
Eigentlich wird dort keine neue Verkäuferin gesucht, doch Lotte mischt sich in ein Verkaufsgespräch ein - und hat den Job in der Tasche. Doch so einfach ist weder das Leben in Wien noch die Arbeit. Lottes Chefin Mizzi Langer-Kauba, ein historisches Vorbild übrigens, ist streng und meistens unnahbar, hat aber fortschrittliche Ideen. Mizzi merkt schnell, dass Lotte die Person ist, die ihr helfen kann, den Skisport in ihrem Geschäft und in Wien gesellschaftstauglich zu machen. Lotte punktet durch ihr Wissen und ihre Erfahrung ("in Röcken Skifahren ist zu gefährlich - auch Frauen brauchen Hosen"), doch das bringt auch Neider auf den Plan. Mizzi Langer-Kauba erwartet viel von ihren Angestellten, von denen ihr nicht alle wohlgesonnen sind.
Lotte lernt nicht nur den Bettlerjungen Fritz kennen, sondern auch Jakob, einen jungen jüdischen Arzt, der sich für seine kleinen Patienten nach Sicht seines Chefs viel zu stark einsetzt. Jakob mag die unabhängige Lotte und beide kommen sich näher, doch er verschweigt ihr etwas.
Der Roman wird in zwei Ebenen erzählt. In der einen geht es um Lotte und alles was mit dem Bergsportgeschäft und Skifahren zu tun hat. In der anderen begleiten die Leser Jakob zur Arbeit ins Kinderspital und nach Hause zu seiner reichen Familie.
Autorin Beate Maly hat in "Lottes Träume" viel reingepackt. Sie schildert lebendig die Gesellschaftsordnung im beginnenden 20. Jahrhundert und so begegnen die Leser Waisen- und Bettlerkinder, Fabrikarbeiterinnen, Hausangestellten, Verkäuferinnen, Ärzten und Unternehmern. Man bekommt die Sorgen und Ängste der Figuren aus allen Schichten hautnah mit und spürt leider auch den langsam aufkommenden Judenhass, der aber mit tollen Gesprächen über verschiedene Religionen und ihre Feste und Traditionen einhergeht.
Die Charaktere sind ebenso vielfältig wie die verarbeiteten Themen: Jakobs Schwester zum Beispiel versucht sich als Künstlerin, versucht ihr Leben unabhängig und nicht als wohl behütete Tochter zu leben; Mitzi Langer-Kauba war ihrer Zeit voraus, dennoch war sie mir oft zu tyrannisch; Klara, die all ihr hart verdientes Geld ihrer Familie bringt.
Während dem Lesen hatte ich die ganze Zeit Beate Malys Stimme mit Wiener Dialekt im Kopf. Ihre Lesung an der lit.Love war toll - und überzeugte mich definitiv zum Lesen ihres Romans. Seither denke ich, dass das einzige Buch, das ich jemals als Hörbuch hören könnte, "Lottes Träume" wäre, aber dann von ihr gesprochen! Ihr Schreibstil ist wie ihre Stimme: sympathisch und fesselnd.
Obwohl die Autorin sehr viele Themen in die 544 Seiten des Romans packt, wirkt die Geschichte nicht überladen. Im Gegenteil, alles passt perfekt und ungezwungen in die Geschichte hinein und überrascht immer wieder mit kleinen, teilweise zwar voraussehbaren, Twists und wird mit einer feinen Liebesgeschichte geschmückt.
Einzig der Titel hat einen Mangel, "Lottes Leben" wär treffender gewesen, denn Träume hat sie keine. Zumindest kommen keine zur Sprache, Lotte ist mit dem Leben an sich schon genug beschäftigt.
Mir hat es Spass gemacht, den Roman zu lesen und ich freue mich bereits jetzt auf mehr. Denn von "Lottes Träume" wird es einen zweiten Band geben. Ich kann das Buch nicht nur Skifans empfehlen, sondern auch allen die gerne spannende historische Romane lesen, die mit viel Wissenswertem gespickt sind.
Das Buch gehört im Winter gelesen, vielleicht sogar im Skiurlaub. Ein passenderes Winterbuch gibt es selten.
Fazit: Absolut empfehlenswerte Winterlektüre, die uns Wien um 1904 und die Anfänge des Skisports für jedermann näher bringt.
5 Punkte.