Lässt mich zwiegespalten zurück
Der Einstieg fiel mir sehr schwer. Hätte ich nicht gemeinsam mit Livia gelesen, hätte ich das Buch wieder zur Seite gelegt, so wie Jamie. Ich hatte das Gefühl auf der Stelle zu treten, denn Betty Smith ...
Der Einstieg fiel mir sehr schwer. Hätte ich nicht gemeinsam mit Livia gelesen, hätte ich das Buch wieder zur Seite gelegt, so wie Jamie. Ich hatte das Gefühl auf der Stelle zu treten, denn Betty Smith schreibt sehr detailverliebt und ausschweifend. Doch so schnell gab ich nicht auf und das war gut so!
Wir lernen die elfjährige Francie kennen, die in ärmlichen Verhältnissen in Brooklyn aufwächst. Nach diesen ersten 72 Seiten hatte ich trotzdem das Gefühl nicht wirklich mehr über das Mädchen erfahren zu haben.
Im zweiten Abschnitt fand ich dann endlich in die Geschichte. In einem Rückblick erfahren wir mehr über Katies deutschstämmige Einwandererfamilie und wie sich Francies Eltern Katie Rommely und Johnny Nolan kennenlernen. Die bildhaft erzählten Hintergründe und die sehr gute Beschreibung der beiden Charaktere haben mich in ihre Geschichte abtauchen lassen und ich hatte ein perfektes Bild der Figuren vor meinen Augen. Das Leben holt die beiden Turteltäubchen nach der Hochzeit sehr rasch ein. Katie wird schwanger und Johnny arbeitet als singender Kellner. Als Francie zur Welt kommt, ist Johnny nicht aufzufinden. Sein unregelmäßiges Einkommen und sein eher unruhiger Geist helfen nicht dazu bei regelmäßig Essen auf den Tisch zu bekommen. Johnny ist einen Tag himmelhoch jauchzend und am nächsten zu Tode betrübt. Die fehlende Perspektive und die unterschiedlichen Charaktere lassen schnell erkennen, dass sich die große Liebe bald abnützen wird. Katie weiß, dass sie zwar einen hübschen und liebenswerten Mann geheiratet hat, der aber charakterschwach ist und zum Trinker wird. Knapp ein Jahr nach Francie kommt Cornelius, genannt Neeley, zur Welt und es bleibt an Katie für die Beiden zu sorgen....
Betty Smith wurde 1944 mit diesem Roman für den Pulitzer Preis nominiert. Ich kann auf jeden Fall sagen, dass es der Autorin gelungen ist, ein hervorragendes Zeitbild der damaligen Lebensumstände zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Brooklyn darzustellen. Dazu hilft sicher auch, dass sie selbst zu dieser Zeit in diesem Teil New Yorks aufgewachsen ist. Sie versteht es aber auch hervorragend die Träume und Wünsche, Gedanken und Gefühle der Nolans wiederzugeben. Aus Francie wird ein Bücherwurm, der es an Freunden fehlt. Sie ist eine Außenseiterin, die bald die fixe Idee hat, einmal eine große Schriftstellerin zu werden. Neeley ähnelt äußerlich seinem Vater und hat keinerlei Schwierigkeiten Anschluss zu finden. Er hat den Charme von Johnny geerbt und ihm fliegt auch das Herz seiner Mutter zu. Katie ist streng und oftmals auch etwas unfair ihrer Erstgeborenen gegenüber. Sie will aus ihren Kindern anständige Menschen machen und legt dabei sehr viel Wert auf Bildung. Sie erkennt, dass diese der Schlüssel für ein besseres Leben ist. Doch Bildung kostet Geld.
Während Francie eine sehr gute Schülerin ist, erledigt Neeley nur das Notwendigste. Francie erfährt jedoch keinerlei Rückhalt und oftmals hatte ich das Gefühl sie aufmuntern und in die Arme nehmen zu müssen. Von ihr wird erwartet, dass sie auf viele Dinge verzichtet, denn sie sei stark genug. Die Stimmung des Buches fand ich häufig als erdrückend und wehmütig. Dann aber gab es auch wieder einge skurille Situationen, bei denen ich den Kopf schütteln, aber auch lauthals auflachen musste. Besonders Sissy, die Tante von Francie, die nie Lesen und Schreiben gelernt hat, und dennoch die Emanzipierteste von allen Rommelys ist, sorgt für Lacher. Trotzdem versucht auch sie für Francie und Neeley die Wichtigkeit von Büchern und Bildung zu vermitteln.
Die Charaktere sind sehr lebendig und äußert gelungen dargestellt. Ich finde, dass diese sehr anschauliche Darstellung der Figuren genau den Charme des Romanes ausmachen. Man fühlt sich inmitten der Nolans und erlebt alle guten und schlechten Zeiten hautnah mit.
Doch dann kam der letzte Abschnitt und dieser hat mich, genauso wie der Anfang, enttäuscht. Das Ende ist ein klein bisschen offen gelassen und das bei über 600 Seiten. Einiges wird nicht auserzählt, was ich sehr schade fand. Und wer mich kennt, der weiß auch, dass ein halb offenes Ende mich rasend macht und deshalb auch meine Bewertung herabschraubt. Sorry!
Fazit:
Ein Roman, den ich unbedingt lieben wollte, der mich aber etwas zwiespältig zurück lässt. Die Geschichte wird mir sicherlich in Erinnerung bleiben, denn die Autorin hat das Leben der Nolans sehr eindringlich und lebendig erzählt. Vorallem der Anfang war mir aber zu ausschweifend und das Ende hat michetwas enttäuscht zurück gelassen. Dazwischen fand ich eine oftmals zu Herzen gehende Geschichte, die mir trotzallem gut gefallen hat.