Unterhaltsame, interessante „Familiensaga“ in denen Werte wie Zusammenhalt, Freundschaft und Liebe großgeschrieben werden
Holstein 1922:
Stella lebt bei ihrem Vater, der als Verwalter auf dem Gut Friederkamp arbeitet. Da ihre Mutter bereits bei ihrer Geburt starb, war es stattdessen die resolute Köchin Florentine, die sich ...
Holstein 1922:
Stella lebt bei ihrem Vater, der als Verwalter auf dem Gut Friederkamp arbeitet. Da ihre Mutter bereits bei ihrer Geburt starb, war es stattdessen die resolute Köchin Florentine, die sich um das kleine blasse, an Asthma erkrankte Kind kümmerte. Der Sohn des Gutsherren, Carsten, wurde zu einem Spielkameraden und Vertrauten. Vor allem, nachdem sich Stellas Vater, verbittert durch eine Verwundung im Krieg, immer mehr von ihr zurückzog. Ihr Verhältnis, das früher sehr liebevoll war, ist mittlerweile getrübt. Doch ihre Trauer ist dennoch groß, als er, als Stella gerade eine junge Erwachsene ist, nach einem Unfall an einem Herzinfarkt stirbt.
Auf der Trauerfeier steht plötzlich ein junges Fräulein mit dunkler Hautfarbe vor ihr, die behauptet, ihre Halbschwester Luna aus Hamburg zu sein. Stella fällt aus allen Wolken, denn Luna behauptet Ungeheuerliches- ihre totgeglaubte Mutter würde noch leben! Diese sei jedoch schwer krank und hätte den Wunsch geäußert, noch einmal Stella sehen zu wollen. Zwar ist Stella hin und hergerissen, würde am liebsten auf dem Gut bleiben, weil sie Carsten insgeheim liebt, lässt sie sich dann aber doch zu einer Fahrt nach Hamburg überreden. Und mehr noch, nachdem sie erfahren hat, dass Carsten sich mit einer anderen verlobt hat, bleibt sie in Hamburg, bei Luna, die einen kleinen Lebensmittelladen betreibt und nutzt die wenige Zeit, die sie vermutlich noch mit ihrer Mutter hat. In Hamburg lernt sie aber auch die Hausbewohner kennen, die einer völlig anderen Welt entstammen, ihr jedoch zeigen, wie wichtig der Zusammenhalt ist. Gerade in politisch so brisanten Zeiten- egal welche Nationalität sie besitzen, welchem Beruf sie auch nachgehen mögen oder wen sie lieben.
Besonders schließt Stella den Italiener Rosario ins Herz, der eine Art Vaterfigur für sie wird. Als dann wenig später sein Neffe Lorenzo aus seinem Heimatland flüchten muss und ebenfalls nach Hamburg kommt, sind sich Stella und Lorenzo nicht sofort grün, denn Lorenzo, der Koch werden will, wagt es tatsächlich an ihrem Essen herumzumäkeln. Während Stella und Lorenzo sich ständig über das Essen streiten, hat Luna ganz andere Sorgen. Ihr Freund, ihre große Liebe hat sie geschwängert. Doch sie fürchtet, dass das Kind womöglich eine ebenso dunkle Hautfarbe wie sie geerbt haben könnte.
Und Lorenzo glaubt langsam, nachdem er bereits mehrere Arbeitsstellen verloren hat, nie Fuß fassen zu können in Deutschland. Dabei hatte er seiner Verlobten Giuseppina in der fernen Heimat versprochen, als gemachter Mann zurückzukehren…
Nach dem Lesen des Klappentextes vermutete ich zunächst, „Bella Stella“, wäre lediglich eine dargebotene Liebesgeschichte zwischen einer Deutschen und einem jungen Italiener. Doch im Grunde ist der Roman doch so viel mehr. Die Autorin Brigitte Pasini, alias Brigitte Kanitz, deren humoriger Kriminalroman „Mord mit Schnucke“, mir in guter Erinnerung geblieben ist den ich vor einiger Zeit las, erzählt stattdessen die Geschichte einer ungewöhnlichen Hausgemeinschaft im Hamburg der zwanziger Jahre. Sehr bildhaft und auf unterhaltsame Art und Weise schildert sie den Alltag der einfachen Leute- berichtet über deren Träume, Hoffnungen, Fehlschläge und ihrer Not- besonders in den Jahren der Entbehrung. So ist „Bella Stella“ also eher eine Art Familiensaga, wenn man denn Stellas neue Freunde als Familienmitglieder ansieht. Man erfährt, wie existentiell es in Zeiten der Not ist, sich auf andere blind verlassen zu können und wie schön es sein kann, auch Zeiten des Glücks miteinander zu teilen. Die Autorin lässt die zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts sehr realistisch vor dem Auge ihrer Leser entstehen und ihre Figuren sind vielschichtig.
Zugegeben, ausgerechnet Stella und Lorenzo, machten es mir es eine Weile schwer sie ins Leserherz schließen zu können, da beide anfangs noch recht naiv und halsstarrig wirkten. Doch die noch sehr jungen Romanfiguren benötigten halt eine Weile, um aus ihren Fehlern lernen zu können und zudem wird der Roman ja auch von anderen wichtigen Figuren getragen, wie beispielsweise Stellas Schwester Luna, die resolut und offen durchs Leben geht, sich nicht in die Enge treiben lässt oder etwa der kleinwüchsige Prostituierten Pepita, die mit ihrer kleinen Tochter Sarah in dem Mietshaus lebt. Und nicht zu vergessen, auch die Jüdin Verena van Houten, ist eine interessante Romanfigur, die sich für ihre Freunde in dem Mietshaus sehr oft als Retterin in der Not erweist.
Der Roman ist in drei Teile untergliedert und umfasst die Jahre 1922-1928. Natürlich versäumt es die Autorin nicht, die politischen Unruhen jener Zeit zu erwähnen und den Leser hineinzuführen in die Gedankenwelt der Menschen. Und erschreckenderweise stellt man beim Lesen fest, dass sie den Menschen unserer Zeitepoche gar nicht so unähnlich sind; noch immer finden Propaganda und blinde Vorurteile Nährboden, selbst in unseren „aufgeklärten Zeiten“
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Ich mochte „Bella Stella“ sehr und hoffe, dass es vielleicht irgendwann weitergeht und die Autorin Stella, Luna und ihre Freunde neue Abenteuer erleben lässt. Abgerundet wird dieser Roman von Lorenzos köstlich klingenden Kochrezepten, die man auf den letzten Seiten dieses Buches zum Nachkochen vorfindet.
Kurz gefasst: Unterhaltsame, interessante „Familiensaga“ in denen Werte wie Zusammenhalt, Freundschaft und Liebe großgeschrieben werden.