Unnahbare Protagonisten machen die Geschichte nur mittelmäßig
Nach dem Tod seiner Frau lebt der 80-jährige ehemalige Universitätsprofessor James Wentworth sehr zurückgezogen und benötigt tagsüber Hilfe, nachdem er auch noch unglücklich gestürzt ist. Für seine Kinder ...
Nach dem Tod seiner Frau lebt der 80-jährige ehemalige Universitätsprofessor James Wentworth sehr zurückgezogen und benötigt tagsüber Hilfe, nachdem er auch noch unglücklich gestürzt ist. Für seine Kinder mittleren Alters, Phoebe und Robert, ist das eine Mammutaufgabe, denn bisher haben alle Pflegekräfte nur ein kurzes Gastspiel gegeben. Doch mit der etwas unkonventionellen Mandy hofft Tochter Phoebe einen guten Griff getan zu haben. Bereits nach kurzer Zeit verstehen sich Mandy und James ausgesprochen gut, sie teilen anscheinend den gleichen Humor, schauen sich gemeinsam Fernsehserien an und unternehmen allerlei Ausflüge. James kommt immer mehr aus seinem Schneckenhaus, was seine Kinder zum einen erleichtert, andererseits haben sie weiterhin Vorbehalte gegenüber Mandy. Ist ihr Misstrauen begründet?
Deborah Moggach hat mit „Die Liebe einer Tochter“ einen netten Roman herausgebracht, der sich mit den zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb einer Familie in einer englischen Kleinstadt auseinandersetzt. Der Erzählstil ist flüssig und mit typisch-britischem Humor gespickt, der Leser wird von Beginn an in die Familie Wentworth hineingezogen und darf jeden von ihnen gut kennenlernen. Die Handlung wird durch wechselnde Perspektiven erzählt und unternimmt auch einen Ausblick in die Vergangenheit. Hauptsächlich kommen aber die Geschwister Phoebe und Robert zu Wort, von denen der Leser neben ihrer Sichtweise und ihren Gedanken auch einen guten Einblick in ihr jeweiliges Leben bekommt. Die schwierige Beziehung der beiden zu ihrem Vater wird hier ebenso deutlich wie auch der unterschwellige Kampf um seine Liebe, die ihnen bis heute vorbehalten blieb. Aber auch die Beziehung zwischen Phoebe und Robert gleicht einem Konkurrenzkampf und ist geprägt von vorgetäuschter Freundlichkeit, sie verhalten sich eher wie entfernte Bekannte als wie Geschwister, die an einem Strang ziehen sollten. Die Autorin teilt ihre ausgesprochen feinsinnige Beobachtungsgabe mit dem Leser, der hier auf Menschen trifft, die einerseits eng verbunden sein sollten, aber aufgrund ihres Lebensverlaufs wie Fremde miteinander umgehen.
Die Charaktere sind ausgesprochen fein gezeichnet, wirken mit ihren eigenwilligen Marotten wie mitten aus dem Leben gegriffen, doch bis auf eine Ausnahme sind sie leider auch nicht sehr sympathisch. Der Leser steht hier vor der Herausforderung, sich auf sie einzulassen und ihnen den Raum zu geben, sich zu entfalten. Phoebe ist unverheiratet und Künstlerin, sie kümmert sich um die Belange des Vaters, wirkt aber immer etwas genervt und unnahbar. Bruder Robert ist mit einer erfolgreichen Fernsehmoderatorin verheiratet. Er verlor seinen Job in Folge der Finanzkrise und versucht sich seitdem als Schriftsteller, wobei er mehr in den Tag hineinlebt und eine gewisse Apathie erkennen lässt. Vater James war neben seiner Tätigkeit als Universitätsprofessor für Teilchenphysik ein anerkannter Wissenschaftler. Die Lücke, die seine verstorbene Frau hinterlassen hat, konnte er bisher nicht füllen und hat sich abgekapselt von der Außenwelt. Pflegekraft Mandy ist lebensfroh, offen, laut und schrill. Sie bringt Leben in die Bude, ist vielseitig interessiert, wenn auch einfach gestrickt. Doch gerade ihre Sicht auf das Leben und Ihre unbändige Neugier auf alles und jedes, gepaart mit eigener Lebenserfahrung sorgt für frischen Wind in dieser so leblos wirkenden Familie.
„Die Liebe einer Tochter“ ist ein interessanter Roman über zwischenmenschliche Beziehungen innerhalb der Familie, bei dem die Autorin eine gute Beobachtungsgabe an den Tag legt. Die mangelnde Sympathie zu den meisten Protagonisten lässt den Leser während der Lektüre zum Zuschauer werden, ohne wirklich mitzufiebern. Deshalb gibt es hier nur eine eingeschränkte Leseempfehlung!