Kann leider mit Teil 1 nicht mithalten
Der Kinderflüsterer Pietro Gerber wird zu einem neuen Fall hinzugezogen. Wie schon in »Haus der Stimmen« soll der Psychologe mittels Hypnose ein Kind, das Schreckliches erlebt hat, zum Sprechen bringen. ...
Der Kinderflüsterer Pietro Gerber wird zu einem neuen Fall hinzugezogen. Wie schon in »Haus der Stimmen« soll der Psychologe mittels Hypnose ein Kind, das Schreckliches erlebt hat, zum Sprechen bringen. Mitte in einem Wald des Valle dell’ Inferno wird der 12-jährige Nico gefunden, der vor einigen Monaten mit seiner Mutter verschwunden ist. Von ihr jedoch fehlt jede Spur. Nico ist verstört, zeigt aber keine Anzeichen von Verwahrlosung. Allerdings spricht er kein Wort. Was hat ihm so zugesetzt, das er nicht reden kann oder will? Gerber gelingt es, Nico in Trance zu versetzen, und das Geständnis des Jungen ist schockierend. Doch Gerber glaubt nicht, dass es der Wahrheit entspricht. Jemand hat Nico in einen hypnotischen Zustand versetzt und will nun seine eigene schreckliche Geschichte loswerden. Gerber geht auf die Bedingungen des »Geschichtenerzählers«, wie er ihn nennt, ein und muss schnell feststellen, dass auch er und sein Umfeld manipuliert werden. Doch er hat die Tür des vergessenen Zimmers längst aufgestoßen und ihm bleibt nicht viel Zeit, Nico zu retten.
Wie immer überzeugt Carrisi zu Beginn mit einem spannenden, vielversprechenden Plot. Es ist bereits der 2. Fall, in dem wir mit dem Gerber in die traumatisierte Psyche eines Kindes eintauchen. Inzwischen haben wir eine Ahnung davon, wie seine Arbeit funktioniert. Carrisi hat sich dafür tief in die Materie der Hypnose eingearbeitet und er ist ein Meister darin, mit unserer Wahrnehmung zu spielen, was mitunter einigen Schauer beim Lesen aufkommen lässt. Hier im 2. Teil gibt es etliche Anspielung zum Vorgänger, den man zwar nicht unbedingt gelesen haben muss, aber es ist durchaus von Vorteil, denn der Cliffhanger zu Teil 3 hat es in sich.
Carrisi ist einer der letzten Thillerautoren, der mich in den letzten 2 Jahren noch völlig überzeugt hat. Er liefert außergewöhnliche Plots, spielt mit unseren Ängsten, weil er Unmögliches wahr erscheinen lässt. Wenn ich es in einem Gefühl beschreiben soll, was ich beim Lesen seiner Bücher erlebe, dann ist das eine schleichende Dunkelheit, die nach mir greift. Er lässt uns am Abgrund balancieren und dann zieht er uns hinab. Zumindest ging es mir bei allen seinen vorigen Büchern so.
Carrisi setzt auch hier auf die psychologische Komponente, lässt uns nicht vom Haken, bis wir selbst nicht mehr wissen, was wir glauben sollen, was wahr ist oder Einbildung. Allerdings hat er sich so tief in das Thema Hypnose und Gedankenmanipulation eingearbeitet, dass es gerade im Mittelteil vieler Erklärungen bedarf, die zu einigen Längen führen. (Meinerseits auch zu Verwirrung, da ich nicht wirklich alles nachvollziehen konnte.) Andere Schritte des Kinderflüsterers erscheinen mir wie zufällig und konstruiert, es fehlt an glaubhaften Herleitungen. Im letzten Drittel gewinnt die Geschichte aber wieder an Stärke, was mich zumindest etwas versöhnt hat.
Etwas, das ich auch noch anmerken muss, ist die Tatsache, dass es für Carrisis Bücher keinen festen Übersetzer (oder Übersetzerin) gibt. Das führt in meinen Augen dazu, dass ihm eine eigene, deutsche Stimme fehlt. Und leider hat es in dieser Übersetzung streckenweise sehr geholpert, was mir das Lesen zusätzlich verleidet hat. Ein Blick in seine älteren Bücher hat gezeigt, dass die wesentlich flüssiger geschrieben sind.
Fazit: Sollte euch die Theorie der Gedankenmanipulation interessieren und nicht verwirren, dann ist er sicher interessant, mir war das leider an vielen Stellen zu abstrus.