Die Erzählung gibt der Nebensache zu viel Raum
Donna Tartt hat ein großes Talent, Figuren zu zeichnen und ihre Wesen, Charakter, Motivationen und Hintergründe lebendig werden zu lassen. Wer ist nicht von der zwölfjährigen Harriet Cleve begeistert, ...
Donna Tartt hat ein großes Talent, Figuren zu zeichnen und ihre Wesen, Charakter, Motivationen und Hintergründe lebendig werden zu lassen. Wer ist nicht von der zwölfjährigen Harriet Cleve begeistert, die in diesem Sommer beschließt, den mysteriösen Mord an ihrem Bruder vor neun Jahren aufzuklären? Wer verliebt sich nicht heimlich in Großmutter Eddies schroffe Herzlichkeit? Schreckt nicht vor der tumben Grobheit der Redneck-Familie Racliff zurück? Mich hat auch beeindruckt, wie es der Autorin gelingt, den us-amerikanischen Süden mit seinem offenen und verdeckten Rassismus auferstehen zu lassen und den Leser gleichzeitig in diese heiße Sommerlandschaft zu versetzen. Hinzu kommt der spannende Hintergrund von Robins Tod vor neun Jahren - erhängt im eigenen Garten, als alle Cleves anwesend waren, aber doch keiner etwas gemerkt hatte. Dieses Mysterium zu enträtseln ist meine Motivation gewesen, diesen Roman weiterzulesen, obwohl ich schon auf Seite 200 absolut keine Lust mehr dazu hatte.
Die Erzählung gibt der Nebensache zu viel Raum. Anfänglich werden so die Figuren aufgeschlossen, handelnd vorgeführt und lebendig. Doch irgendwann verkommt das dahinplätschernde Ding namens Handlung zur Masche, zum Rauschen. Ich kam mir mitunter vor wie bei einer Natur-Doku, bei der ich zwar einerseits dem glitzernden Bach beim Plätschern bestaunen durfte, andererseits dasselbe auch Stunden später immer noch tun musste; oder bei einer Reality-Doku, in der ich irgendeinem Menschenschlag durch sein fremdes Leben folge, aber leider auch die Bettzeiten in Echtzeit verfolgen sollte. Aus gähnender Langeweile wurde bei mir fast schon aggressive Ablehnung.
Erst recht bei der Auflösung des ganzen - die ich hier nicht einmal andeuten möchte. Aber wer den Roman bis zu seinem äachzenden Ende durchgehalten hat, wird meine bodenlose Enttäuschung nachvollziehen können.
Das kann Donna Tartt besser, wie sie im „Distelfinken“ gezeigt hat.