„Die Witwe“ hatte mich mit der Erzählweise sofort am Haken und ich war bis zum Ende sehr angetan. Die Geschichte wird auf verschiedenen Zeitebenen und aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt, nach und nach erkennt man, daß nicht alles so ist, wie es scheint.
Da haben wir nun also die Witwe, der Mann bei einem Verkehrsunfall verstorben, und da er in Verdacht stand, ein kleines Kind entführt zu haben, geifert die Presse vor der Türe der Witwe. Aus diesem Anfang entwickelt sich dann eine unglaublich komplexe Geschichte. Wir erfahren von der skrupellosen Reporterin Kate, die sich geschickt Einlaß bei der Witwe, Jean, verschafft und durch Vorheucheln von Mitgefühl ein Exklusivinterview ergattern möchte. Dies ist einer der Themenfäden, die sich durch das Buch ziehen: Journalisten, die das Elend anderer als willkommenen Baustein für ihre Karriere sehen; Medien, die sich begeistert auf Leid stürzen und nur daran denken, was für eine „tolle Story“ dieses Leid doch ist. Aber auch Menschen, die durchaus Gefallen daran finden, durch ihr Leid berühmt zu werden und beim Medienzirkus mitmachen.
Die erste Zeitebene, 2010, beschäftigt sich vorwiegend mit Jean und Kate. Jeans Kapitel werden als einzige aus der Ich-Perspektive geschrieben und geben uns nach und nach mehr Informationen über sie, ihren Ehemann Glen, das ihm vorgeworfene Verbrechen und auch über die Ehe der beiden, ihr ganzes Leben. Schicht für Schicht werden die Hüllen des ersten Eindrucks weggepellt, ständig ändert sich die Situation. Auch Jean bleibt, obwohl sie uns als Einzige direkten Einblick in ihre Gedanken gewährt, geheimnisvoll. Das ist ausgesprochen spannend und gut gemacht. Bis zum Ende war ich nicht sicher, was nun eigentlich stimmt und was nicht.
Die zweite Zeitebene beginnt 2006 mit dem Verschwinden der zweijährigen Bella und der Ermittlung. Hier wird viel aus der Sicht des Ermittlers geschrieben, aber auch andere Personen, wie Bellas Mutter, werden behandelt. Jedes Kapitel beginnt mit einer Zeitangabe und der Person, aus dessen Sicht es geschrieben ist. So ist es trotz der Zeit- und Personensprünge alles übersichtlich. Die Geschichte aus so vielen Perspektiven zu erzählen und dadurch immer wieder neue Gesichtspunkte einzubringen, neue Informationen aufzudecken, ist meisterhaft gemacht! Ein Kompliment an die Autorin, die eine solch komplexe Aufgabe so geschickt und spannend umgesetzt hat.
Nach und nach begleiten wir die Ermittlungen, immer im Wechsel mit der ersten Zeitebene, bis wir diese, also 2010, erreicht haben. Die Verdachtsmomente um Bellas Entführer werden bemerkenswert gut gemischt und es gibt viele mögliche Lösungen. Es liest sich fast durchweg spannend und ich konnte es immer kaum abwarten, welche neuen Informationen sich durch den nächsten Perspektivwechsel ergeben würden. Selten habe ich einen Krimi so gebannt gelesen!