„Vielleicht verwechseln wir Liebe mit Gewohnheit und Bequemlichkeit, Ritualen und Routinen?“ (S. 24) Caro ist nicht mehr glücklich mit Mann Olaf. Ihre Tochter hat gerade das Abi gemacht und wird ausziehen und Olaf interessiert nur, ob das Essen auf dem Tisch steht, das Haus sauber ist und seine Hemden aus der Reinigung geholt wurden. Dabei arbeitet Caro als Lehrerin genau so viel wie er. Ihre beste Freundin Matti ist seit 4 Jahren geschieden und Lehrerin an der gleichen Schule. Ihre beiden Töchter sind ebenfalls beste Freundinnen und werden den Sommer mit einer Interrail-Tour verbringen. Die wollten Caro und Matti vor 30 Jahren eigentlich auch machen, doch dann kam ihnen das Leben dazwischen. Also holen sie die Reise jetzt kurzerhand endlich nach.
Franka Blooms Bücher sind für mich ein Garant für beste Unterhaltung. Amüsant und gleichzeitig zum Nachdenken anregend erzählt sie von zwei Freundinnen in den besten Jahren, die seit Jahrzehnten alle Hochs und Tiefs teilen und sich jetzt endlich eine Auszeit von der Routine gönnen wollen. Nicht immer nur Ostsee, sondern auch mal die Welt (oder zumindest Europa) sehen. Ein bisschen Abenteuerlust steckt nämlich noch in ihnen. Als zusätzliches Highlight vereinbaren sie, dass Matti ihre große Liebe Jean-Luc in Paris wiedertreffen darf und Cora ihren ersten Freund Angelos in Griechenland. Und Olaf? Tja, der fährt mit Mops Günther wie immer an die Ostsee, wo er von Antje, der Hüterin der Ferienhaussiedlung, umsorgt wird ...
Der Reiz der Geschichte und ihrer Freundschaft beruht auch auf der Gegensätzlichkeit von Cora und Matti. Matti sucht verzweifelt nach den neuen großen Liebe für den Rest ihres Lebens und wird immer wieder enttäuscht: „Ich komme mir vor wie ein Spieler, der bei jeder Gelegenheit auf den Jackpot hofft und einfach nicht schlauer wird.“ (S. 124)
Cora hingegen will endlich frei sein und Olaf am liebsten verlassen. Trotzdem hat sie ein schlechtes Gewissen, ihn allein gelassen zu haben – bis zu seinem ersten Anruf, weil er nicht weiß, wie er die Wäsche waschen soll und welcher Pizzadienst der beste ist.
Die beiden streiten auf der Reise oft und vertragen sich zum Glück auch immer wieder. „Wie eine Verrückte jagst du deiner Jugend nach um etwas nachzuholen, was nicht nachzuholen ist. Aber das begreifst du ja nicht.“ (S. 259) Sie sind schonungslos ehrlich und verraten sich Geheimnisse, die sie bisher für sich behalten haben. Am Ende ist ihre Freundschaft noch tiefer und ihr Verständnis für einander noch besser.
„Anfang Sommer – alles offen“ hat meine Erwartungen sogar übertroffen. Statt einer vorhersehbaren Liebesgeschichte serviert Franka Bloom eine sehr unterhaltsame Geschichte über Freundschaft, Selbstfindung und Selbstverwirklichung.
Allerdings bin ich mir nach dem Lesen nicht sicher, ob ich selbst so eine Tour machen würde: Die Freundinnen werden ausgeraubt und überfallen. Die Züge und ihre Mitreisenden sind zum Teil sehr fragwürdig. Sie erleben Horrornächte in miesen Absteigen und romantische Stunden unter Sternen. Sie sehen alte Freunde wieder und lernen viele neue kennen.
Mein Fazit: Sommer, Sonne, Franka Bloom!