Eine monströse Definition von Liebe
„Du springst hart mit mir um, aber du bist auch gut für mich, ich brauche Härte, weil ich nicht gut für mich selbst bin und du mich zwingst zu tun, was ich tun will, aber nicht für mich tun kann; und trotzdem, ...
„Du springst hart mit mir um, aber du bist auch gut für mich, ich brauche Härte, weil ich nicht gut für mich selbst bin und du mich zwingst zu tun, was ich tun will, aber nicht für mich tun kann; und trotzdem, und trotzdem …“
Inhalt
Martin Alveston lebt mit seiner Tochter Turtle abgeschieden in einem verwahrlosten Haus im Wald, in einer seltsamen Kakophonie aus Abhängigkeit, Zwang und Elternliebe, die sich wie ein böswilliges Insekt in die Haut der Beteiligten frisst. Jeden Tag bringt er sie zum Bus, überwacht argwöhnisch ihre Schulleistungen und holt sie abends fluchend in sein Bett, um sich an ihr zu vergehen. Turtle spürt die große Kraft hinter der Ohnmacht ihrer Gefühle, die zwischen abgrundtiefen Hass und verbotener Lust schwanken. Manchmal wartet sie regelrecht auf Martin, dann reißt sie wieder aus, um Abstand zu gewinnen. Erst als sie den gleichaltrigen Jacob kennenlernt und ein paar Stunden in der Normalität einer Freundschaft verbringt, ahnt sie, dass sie ihrem Vater irgendwie entkommen muss, weil dieses Verhältnis verdorben und schlecht für sie ist. Doch Martin sieht den neuen Schwarm seiner Tochter als echte Bedrohung, möchte er doch der einzige Mann für seine Tochter sein. Er reagiert mit Gewalt und erschüttert den Glauben von Turtle an das Gute in ihm, doch dann ist er plötzlich verschwunden, um viele Wochen später mit einem fremden Mädchen zurückzukehren. Dieses ist fast noch ein Kind und Turtle weiß, dass es nun nicht mehr um ihr eigenes Leben geht, sondern auch um das der Fremden. Nur Martins Grenzen kennt sie nicht ausreichend …
Meinung
Angelockt von der äußerst vielversprechenden Geschichte, die mich vor allem inhaltlich interessiert hat, habe ich ungeachtet anderer Lesermeinungen bzw. einer Leseprobe kurzentschlossen zu diesem Roman gegriffen und mich auf eine wie von der Presse angekündigte „überwältigende“ Lektüre gefreut. Ja, gelogen ist das nicht, sie hat mich förmlich überfahren und geplättet – allerdings nicht so, wie ich es erhofft habe, eher dahingehend, dass ich ununterbrochen kopfschüttelnd die Zeilen verfolgte und mich über fast 500 Seiten gefragt habe: „Was will uns diese Geschichte sagen?“
Der junge amerikanische Autor Gabriel Tallent spaltet mit seinem eindrucksvollen Debütroman wahrscheinlich seine Leserschaft, einerseits ein ungewöhnliches, erschreckendes Buch über Misshandlung und den Gebrauch von Waffen, je fast einer unsagbaren Liebesgeschichte zwischen Gewaltverherrlichung und seelischer Abhängigkeit. Und andererseits ein vollkommen abstruses, unverständliches Geschehen hinsichtlich Emotionalität und Menschsein, fernab von Nachvollziehbarkeit und ansprechender Erzählung. Schade nur, dass ich die Genialität des Textes ganz und gar nicht nachvollziehen konnte.
Tatsächlich zähle ich mich zu den Lesern, die der Geschichte kaum etwas abgewinnen können, die Ursachen sind vielschichtig und ausufernd, so dass ich mich auf zwei Dinge konzentrieren möchte, die eine für mich sehr ungewöhnlich schlechte Bewertung rechtfertigen. Zum einen ist es die Banalität der Erzählung, die gerade im ersten Teil des Buches schon an Langeweile grenzt. Minutiös werden Abenteuertrips durch den Urwald geschildert, angefangen von einer ausufernden Naturbeschreibung, bis hin zu ekligen Erlebnissen, wie dem Verspeisen von lebenden Skorpionen. Ganze Seiten werden mit dem Erleben der Flora und Fauna gefüllt, ohne die Handlung in irgendeiner Weise vorwärts zu bringen.
Ebenso uninteressant war der ständige Gebrauch von Waffen, die Dominanz der Bewaffnung an sich, die Beschreibung wie und wann ein Gewehr zu Laden, zu Reinigen und zu Gebrauchen ist. Der zweite elementare Fehltritt des Buches besteht für mich in der gewählten Sprache, die sich in erster Linie mit Flüchen, Verwünschungen und Schimpfwörtern füllt, vor allem in der wörtlichen Rede. Mag sein, dass das die Umgangssprache der Protagonisten ist, mir gibt das nichts.
Und nicht zuletzt sind es die fehlenden psychologischen Aspekte, die mich maßlos enttäuscht haben. Der Leser wird ins Geschehen hineinversetzt und fühlt sich ebenso hilflos wie Turtle, nur mit dem Unterschied, dass ich mir gewünscht hätte, das Mädchen auch nur ansatzweise zu verstehen. Leider blieb mir ihr Handeln und die inneren Beweggründe ebenso fremd, wie der Rest des Buches. Keine Erklärung, keine Emotionen, kein Ausweg – retten kann dich nur der Tod.
Fazit
Es wird nicht mehr als ein Lesestern für dieses bizarre, schockierende Buch an der Grenze zur menschenverachtenden Betrachtung des Lebens. Willkür, Gewalt, Unverständnis, fehlende Kommunikation und das Verwischen der Grenzen zwischen Liebe und monströsen Auswüchsen war hier allzu präsent. Und hätte ich das Buch nicht für eine Challenge gelesen, dann wäre spätestens nach 100 Seiten Schluss gewesen. Meine Empfehlung an alle interessierten Leser, bildet Euch auf Grund der Leseprobe einen ersten Eindruck, danach kann man sicherlich besser abschätzen, ob sich diese Investition lohnt. Für mich trägt das Buch nun den Stempel „Flop des Jahres 2018“.