Das Phänomen "Lexington"
Geraldine Brooks ist gelungen, was ich kaum für möglich gehalten hätte: mich mit einem Roman zu überzeugen und zu fesseln, in dem es um Pferde, besser gesagt, um DAS Pferd geht. Ich finde es eher schwierig, ...
Geraldine Brooks ist gelungen, was ich kaum für möglich gehalten hätte: mich mit einem Roman zu überzeugen und zu fesseln, in dem es um Pferde, besser gesagt, um DAS Pferd geht. Ich finde es eher schwierig, einen Romantitel für die übersetzte Ausgabe zu ändern, muss aber gestehen: hätte btb den Titel aus dem Original übernommen – „Pferd“ – dann hätte ich vermutlich noch nicht einmal die Leseprobe in die Hand genommen. „Tierbücher“ sind einfach nicht mein Genre – aber, das was Geraldine Brooks, die mir bereits mit einem anderen Roman in sehr guter Erinnerung geblieben ist, hier geschaffen hat, ist wirklich wunderbare, gehobene Unterhaltungsliteratur: nicht hochanspruchsvoll, aber süffig, spannend, mitreißend und großartig inszeniert, aufwendig recherchiert und in perfektem Maße sehr elegant und innovativ an die verfügbaren historischen Fakten geknüpft.
Auf drei Zeitebenen und mittels fünf wesentlicher Figuren, deren Perspektive jeweils im Mittelpunkt der abwechslungsreichen Kapitel steht, nähert sich Brooks dem legendären amerikanischen Rennpferd Lexington an und setzt ihm und seinem fiktiven Trainer und Pfleger Jarrett ein Denkmal. Sie nutzt dabei verschieden Wege: neben der fiktiven Reimagination des Geschehens im Umfeld des amerikanischen Bürgerkriegs lässt sie auch wissenschaftliche Methoden und die Kunstgeschichte einfließen, um das Tier und das Phänomen Lexington für den Leser begreifbar zu machen. Diese wohlüberlegte Methode, sich dem Objekt ihres Romans zu widmen, betont die Verbindungslinien zwischen Vergangenheit und Gegenwart deutlich und schafft so Aktualität und Gegenwartsbezug.
Denn auch wenn die Renn- und Zuchtkarriere von Lexington auf den ersten Blick im Mittelpunkt des Romans stehen, wird doch rasch deutlich, dass das eigentliche Thema des Romans Rassismus (alter wie heutiger) und Vorurteile sind. In vielen kleinen Passagen und Szenen betrachtet Brooks Momente von Alltagsrassismus, strukturellem Rassismus und unbedachten, ignoranten, rassistisch unterlegten Äußerungen, die in ihrer „Naivität“ (in Ermangelung einer passenderen Bezeichnung) umso schmerzhafter sind. So ist „Das Gemälde“ vielmehr als nur das Porträt eines Ausnahmepferds, es ist vor allem auch ein Kommentar zur (Nicht-)Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft und ihrer mangelnden Aufarbeitung von Rassismus.
Ihre Figuren hat Brooks gut gewählt, besonders der Maler Scott und die Kunsthändlerin Martha Jackson, beides reale historische Figuren, bereichern das Geschehen enorm und weiten den Blick. Schwierig fand ich im Rahmen der Figurengestaltung jedoch die Tatsache, dass Brooks sich auf lediglich drei fast identische Gefühlslagen zu beschränken scheint. So empfinden Jarrett und Theo wahlweise immer wieder und ausschließlich Wut, Verärgerung oder Ärger. Das ist mir persönlich dann doch zu dünn und nicht vielschichtig genug oder um mich auf Brooks zu beziehen: angesichts dieser doch sehr oberflächlichen Figurengestaltung steigt Ärger in mir hoch, da wäre deutlich mehr möglich gewesen.
Dennoch kann ich den Roman sehr empfehlen. Angebunden an historische Fakten und eher unbekannte historische Persönlichkeiten bietet der Roman eine faszinierende und spannende Lektüre, in die man tief eintauchen kann, die nachdenklich stimmt und die ich unheimlich gern gelesen habe. Ich bin zwar immer noch kein „Pferdemädchen“, aber ein Fan von Lexington bin ich allemal.