Nach dem tödlichen Unfall ihrer Eltern wuchs die heute dreiundzwanzigjährige Leni bei ihrem Bruder Leon auf. Gemeinsam mit dem Kneipenbesitzer Sam waren die beiden immer für sie Familie und in Sam war sie richtig verknallt. Heute arbeitet die gelernte Köchin in Sams Kneipe, in der hauptsächlich die rechte Szene ein- und ausgeht. Als Leni hört, dass Sam gemeinsam mit Leon und zwei weiteren Männern einen Anschlag auf ein Flüchtlingsheim planen, möchte Leni mit allen Mitteln verhindern, dass ihr Bruder fahrlässig handelt. Doch ihr Plan, die Männer von ihrer Tat abzuhalten, endet in einer schrecklichen Katastrophe und Leni muss ihr bisheriges Weltbild überdenken.
Meine Meinung
Das Cover finde ich gut gelungen und es macht neugierig, hier war es aber vor allem der Klappentext, der mich unheimlich gespannt auf das Buch machte.
Heike Bicher-Seidel erzählt klar und direkt und vor allem mit einer Mischung aus Details und Emotionen, die mich schon vom ersten Moment an in die Geschichte zogen.
Ich muss mich hier erst einmal sammeln, um all meine Gefühle und Gedanken in Worte zu fassen, denn die Autorin zeigt hier zunächst Hass und Brutalität und ich weiß zwar, dass all das so wirklich existiert, doch dieses Gedankengut mit den eigenen Werten zu verbinden und zu verarbeiten war durchaus eine Herausforderung. Die Geschichte liest sich allerdings so flüssig und mitreißend, dass es einfach schwer fällt, das Buch zur Seite zu legen.
Gleich zu Beginn wird man Zeuge des Attentats, verfolgt die Entführung des Medizinstudenten Djadi und auch Leni wird hier mehr oder weniger gezwungen, mitzuflüchten. Nach und nach stellt die Autorin dar, wie es dazu kam, dass Leni und ihr Bruder in die rechte Szene gerieten und wieso sie so voller Wut steckten. Djadi hingegen zeigt ihr, dass sie voller Vorurteile steckt, bringt sie zum Mit- aber auch Umdenken und doch ist es ein langer, absolut schwerer Weg, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Als Leser wird man hier durch viele Emotionen getrieben, man spürt die Angst, die Verzweiflung, hat Hoffnung und Wut. Gerade nach der Entführung benötigte ich einen Moment Pause, um all meine eigenen Gefühle und Gedanken zu dem Gelesenen zu ordnen.
Die Geschichte zwischen Leni und Djadi ist ein absolutes auf und ab und manchmal hätte ich die beiden packen und schütteln können. Ja, definitiv beide, dass näher zu erläutern würde allerdings zu sehr spoilern, lest es einfach selber.
Aus Lenis Sicht in der Ich-Form erlebt man die Geschichte. Dabei lernt man die Protagonistin sehr gut kennen und entwickelt auf eine gewisse Art auch Verständnis für ihr Handeln.
Leni hat alles andere als eine unbeschwerte Jugend hinter sich, angefangen bei der Arbeitslosigkeit des Vaters und dem damit verbundenen sozialen Abstieg ohne Chance, bis hin zu dem Unfall, bei dem die Eltern ums Leben kamen. Dabei rutscht sie gemeinsam mit dem Bruder in die falsche Szene, projiziert Bewunderung auf den falschen Mann und es wird ein Teufelskreis, aus dem sie allein nicht mehr herausfindet. Sie ist durchaus ein selbstständiger Mensch, nimmt aber nur ungern Hilfe an, was alles noch etwas schwieriger macht, auch die Beziehung zu Djadi. Die Entwicklung der Protagonistin wird sehr authentisch dargestellt und war absolut nachvollziehbar.
Djadi ist Medizinstudent und hatte eine privilegierte Kindheit, wuchs ohne Sorgen und Probleme auf, wobei auch er etwas schreckliches in seiner Kindheit erlebt hat, allerdings war er da noch so klein, dass ihm daran die Erinnerungen fehlen. Die Entführung hinterlässt auch bei Djadi Spuren und auch er muss lernen, weiterzuatmen.
Eine besonders wichtige Rolle spielt hier auch Chris, Djadis Freund und WG-Mitbewohner, dessen Gespräche mit Leni immer wieder bewegen und zum Mit- und Umdenken anregen. Alles in allem gab es hier so einige, sehr interessante Entwicklungen zwischen den Charakteren, aber auch in ihrem Denken und Handeln.
Mein Fazit
Eine Geschichte, bei der man gerne sagen würde, dass sie rein fiktiv ist. Doch leider sind viele der Ereignisse bereits Realität. Heike Bicher-Seidel bringt hier aber sehr viele Ansätze, die zumindest am Beispiel von Leni erklären, warum es soweit kommen kann. Mich hat die Autorin mit ihrer Geschichte fesseln können und auch wenn ich an mancher Stelle einfach am liebsten die Augen verschlossen hätte, um nicht “zusehen” zu müssen, konnte ich doch nicht anders als weiterlesen. Ein gelungener Roman, der nachdenklich macht und den ich gerne empfehle.