Hannah Arendt - ein Porträt
Kein einfaches Thema, an das sich Hildegard E. Keller hier rantraut. Aber schon ein Blick auf den Klappentext verrät, dies ist ein spannendes und lesenswertes Buch. Ein Stück dunkler deutscher und europäischer ...
Kein einfaches Thema, an das sich Hildegard E. Keller hier rantraut. Aber schon ein Blick auf den Klappentext verrät, dies ist ein spannendes und lesenswertes Buch. Ein Stück dunkler deutscher und europäischer Geschichte und ein Porträt dieser großen Denkerin.
Das Buch wird in Rückblenden erzählt. Während ihres letzten Urlaubs in Tegna, im Tessin, lässt Hannah Arendt ihr Leben Revue passieren, die Menschen die sie manche länger, manche nur kurz, begleitet und einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Ihr Aufenthalt in der Casa Barbaté (gibt es heute noch, ein Besuch wäre lobenswert) ist für Hannah Arendt aber auch die Gelegenheit neue Freundschaften zu schließen. Was einen wahren Denker charakterisiert, Hannah Arendt hat es: sie begegnet den Menschen auf Augenhöhe, ob alt oder jung, ob gebildet oder nicht, für die Denkerin zählt allein das Menschsein. Auch im Alter ist sie geistig rege und aufgeschlossen geblieben. Allergisch reagiert sie eher auf Borniertheit, auf politische Mitläufer, denen sie zuhauf während der NS Zeit begegnet ist, auf totalitäre Strukturen, auf die Bereitwilligkeit der Deutschen den Krieg schnell zu vergessen: „All die Tatsachen, an die sich niemand erinnern kann, all die Toten, die niemand vergast haben will.“ (S. 123)
Einen zentralen Platz im Buch nimmt der Eichmann Prozess, der 1961 in Jerusalem stattfand. Als Prozessbeobachterin und Gerichtsreporterin für den New Yorker saß sie im Gerichtssaal oder im Presseraum und empfand tiefste Verachtung für Adolf Eichmann. Wenn einer einen Menschen tötet, ist er ein Mörder. Wenn er zehn oder zwanzig Menschen tötet, ist er ein Serienmörder. Aber wenn er sechs Millionen Menschen tötet? Was ist er dann? Dafür gibt es keinen richtigen Namen, der das Entsetzen und die Abscheu vor solch einer Tat ausdrücken kann. Verbrechen gegen die Menschheit? Ja, das käme in die Nähe. Was Arendt da sah, war ein serviles Phrasen dreschendes Wesen, das den Richter zu überzeugen versuchte, er habe bloß Befehle ausgeführt und die Tragweite seiner Handlungen nicht erfasst. Er hat „die Judenfrage“, man bemerke, nicht „das Judenproblem“ oder „die Ermordung der europäischen Juden“, nein, die harmlose „Endlösung der Judenfrage“ zur Zufriedenheit des Führers und seiner Handlanger zu erfüllen versucht. Eichmann haftete nichts Dämonisches an sich, alles an ihm war klein, erbärmlich und böse. Hannah Arendt weigerte sich, in Eichmann einen Höllenfürst zu sehen, er war ein Verwalter des Todes. Effizient weil es seinem eigenen politischen und sozialen Fortkommen in der NS Zeit diente und sich dann der Verantwortung in Argentinien zu entziehen versuchte. Hannah Arendt prägt dafür aus heutiger Sicht, den perfekten Begriff: „Die Banalität des Bösen“. Dafür ist sie heftig angegriffen und kritisiert worden. Aber sie hat sich nicht beirren lassen, nichts widerrufen. Was sah sie? Sie sah einen dürren Mann im Anzug in einem Glaskasten sitzend, der vor dem Richter höfliche Bücklinge machte und sich überaus beflissen zeigte. Eichmann hatte keine Größe, keinen Schneid. „Die Banalität des Bösen“ beschreibt ihn perfekt.
Außer dem Eichmann Prozess werden im Buch auch andere Stationen aus Hannah Arendts Leben kurz beleuchtet, die Probleme und Gefahren in denen sie sich dabei befand, werden nur gestreift, sind trotzdem präsent: Verhaftung durch die Gestapo in Berlin, Internierung in Paris, Ehe mit Günther Stern/Anders, zweite Ehe mit Heinrich Blücher, der ihr treuer Lebensbegleiter bis zu seinem Tod wird, die nur gestreifte Affäre mit Martin Heidegger und die tiefe Freundschaft mit ihrem Doktorvater Karl Jaspers, die Bekanntschaft mit dem Zionisten Kurt Blumenfeld noch während ihrer Studienjahre, mit Walter Benjamin in Paris, mit Ingeborg Bachmann in New York, und die vielen Aufenthalte in der Schweiz, in Paris, auf der Flucht vor den Nazis. Das sind Zeugen eines sehr bewegten und doch gradlinigen Lebens. Hanna Arendt bleibt sich immer und in allen Lebenslagen selbst treu.
Das Buch liest sich leicht, obwohl die Themen so vielfältig und schwerwiegend sind. Hildegard Keller lässt Hannah Arendt vor unseren Augen lebendig werden, Koseworte mit ihrem Mann Heinrich austauschen, lässt sie rauchen wie einen Altbundeskanzler, ironische, sarkastische und oft auch humorvolle Kommentare abgeben, ein denkender und liebender Mensch, ohne Allüren, mit einer fantastischen Bildung des Geistes und des Herzens.
Danke, Hildegard E. Keller.