Abenteuer Sprache
Als ich „Stürzen Liegen Stehen“ von Jon McGregor aufschlug, erwartete ich einen anspruchsvollen Abenteuerroman. Bekommen habe ich einen facettenreichen Roman über ein menschliches Unglück an einem unwirtlichen ...
Als ich „Stürzen Liegen Stehen“ von Jon McGregor aufschlug, erwartete ich einen anspruchsvollen Abenteuerroman. Bekommen habe ich einen facettenreichen Roman über ein menschliches Unglück an einem unwirtlichen Ort, die Geschichte eines Menschen, der durch eine Schlaganfall die Sprache und Teile seiner Motorik verliert, einer Ehefrau, die sich ihr Leben ganz anders vorgestellt hat und nun zur häuslich-pflegenden Angehörigen wird und den Kampf aller Beteiligten zurück in ein nun neues, aber lebenswertes Leben.
Für mich stellt „die Sprache“ das eigentliche Abenteuer des vorliegenden Romans dar. Mit anbetungswürdigem Können nutzt McGregor Sprache, um nicht nur einen Defekt des Gehirns authentisch darzustellen, sondern auch, um Ereignisse von verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten, Beziehungen punktgenau mit nur wenigen Worten auszuleuchten und unvorstellbare Belastungen herauszuarbeiten. In jedem der drei Abschnitte des Buches (logisch: Stürzen /, Liegen _, Stehen | ) verwendet der Autor verschiedene personale Erzählperspektiven, um die verschiedenen Persönlichkeiten in ihren Eigenarten sowie unterschiedliche Wahrnehmungen von ein und derselben Situation darzustellen. Das überrascht von Kapitel zu Kapitel und hält stets die Spannung und das Interesse am Plot hoch. Allein im letzten Abschnitt waren es mir ein bisschen zu viele neue Figuren, zu viele personale Erzählperspektivwechsel, was der beeindruckenden Gesamtlektüre jedoch keinen Abbruch tut.
Die Recherchearbeit, die hinter diesem Roman steckt, muss enorm gewesen sein und ich finde, McGregor hat es im besten Sinne hinbekommen, dass man trotzdem als Leser:in nur so in den Roman hinein gezogen wird. Äußerst nah an der Realität bewegt sich der Autor gekonnt zwischen den angesprochenen Themengebieten hindurch. Von Antarktismission mit katastrophalen Folgen, über medizinische Behandlung und Diagnostik, zu häuslicher Pflegesituation, hin zu dem ganz individuellen Kampf zurück in ein anderes, neues Leben. Besonders die häusliche Pflegesituation und daraus unweigerlich entstehende Überforderung war für mich besonders aufwühlend dargestellt. Auch hier sprachlich in ganz eigener Art und Weise.
Meines Erachtens sollte an dieser Stelle die Übersetzung von Anke Caroline Burger gesondert hervorgehoben werden. Wie sie mit der Vorlage des Autors umgegangen ist, könnte man virtuos nennen.
Wer also bei diesem Buch allein einen Abenteuerroman erwartet, wird keineswegs enttäuscht mindestens überrascht, nein, sogar begeistert mitgerissen werden in eine zunächst ungewöhnliche und später sehr menschlich tiefgründige Geschichte. Meine Begeisterung für diesen Roman ist so groß, dass ich eine Lektüre nur dringend empfehlen kann.