Gelungenes Debüt - ein kosmopolitischer Familienroman!
Sie sind Töchter, sie sind Kosmopolitinnen und sie reisen für ihr Leben gern: Kiko, Yoko und Yumi Yang. Sie tingeln durch die ganze Welt, switchen dabei spielend leicht zwischen verschiedenen Sprachen. ...
Sie sind Töchter, sie sind Kosmopolitinnen und sie reisen für ihr Leben gern: Kiko, Yoko und Yumi Yang. Sie tingeln durch die ganze Welt, switchen dabei spielend leicht zwischen verschiedenen Sprachen. Wir folgen ihnen durch die Berg-und-Tal-Bahn des Lebens, es geht auf und ab, Glück und Unglück liegen meist nicht weit entfernt, macht uns die Autorin Juli Min bewusst mit „Shanghai Story“. Doch der eigentliche Clou des Buches ist seine Erzählweise, denn sie erfolgt: Rückwärts!
Aber bevor wir zu der eigentlichen Geschichte kommen, möchte ich Euch noch etwas über den Werdegang der Autorin Juli Min erzählen, denn dieser hat mich besonders beeindruckt. Sie wurde in Seoul in Südkorea geboren, ist in den USA in New Jersey aufgewachsen, hat in Harvard studiert, war Mitgründerin der Shanghai Literary Review (eine unabhängige Literaturzeitschrift) und lebt nun in Shanghai in China. Dort spielt auch ihr Debüt Roman „Shanghai Story“. Ein internationales Flair versprüht das Buch vor allem durch seine Protagonisten. Leo Yang, ein wohlhabender Immobilien-Investor bringt seine Ehefrau und seinen ältesten zwei Töchter in Shanghai zum Flughafen. Sie gehen in Boston zur Schule bzw. aufs College und seine Frau fliegt weiter nach Paris im Jahre 2040. Sie bewegen sich nicht nur mühelos zwischen den Orten, sondern auch zwischen den Sprachen und wechseln mal eben von Chinesisch, Französisch oder Englisch zu Japanisch. Mit fortschreitenden Kapiteln erfahren wir mehr über die Familie und ihren Beziehungen untereinander. Sehr sorgsam strukturiert erzählt Juli Min rückwärts, zuerst Jahr für Jahr - dann werden die Sprünge größer - und wir erfahren immer mehr Details bis hin zum Kennenlernen der Eltern. Vor allem die Story der jüngeren Tochter hat mich zutiefst berührt und bestürzt, denn wir lernen sie zu Mitte des Buches als unbescholtenes, smartes, mutiges Elfjähriges Mädchen mit gesundem Selbstbewusstsein kennen, wissen zu diesem Zeitpunkt aber bereits (aufgrund des Rückwärtserzählens), dass sie später Sex mit einem älteren Mann für Geld haben und weinend in einem Bett liegen wird. Das hat mich sehr traurig gestimmt.
Aber warum heißt denn das Buch nun eigentlich „Shanghai Story“?
So ganz klar ist mir das auch nicht, denn für mich ist es mehr Familienroman, als eine Geschichte über die Stadt Shanghai und lediglich der Schauplatz zu Beginn des Buches und der Ort mit dem der Vater Leo sehr verbunden ist, da es sein Herkunftsort ist. Ansonsten würde ich sagen, ist es für die Familie eine Stadt unter vielen in der Welt, in denen sie verkehren, die Yangs sind der Inbegriff von Weltbürgertum.
Asiatische Literatur hat bei mir ja meist von vornherein einen Pluspunkt - bin einfach ein Fan! Was mich aber an „Shanghai Story“ vor allem überzeugt hat, ist die Leichtigkeit mit der Juli Min schreibt, die auch den Lebensstil der Familie widerspiegelt. Alle Familienmitglieder sind Getriebene, sie sind auf der Suche nach etwas im Leben, dabei oft orientierungslos. Dadurch, dass die Geschichte so locker und leicht erzählt wird, fehlte es mir an mancher Stelle etwas an Tiefe bezüglich der Figurenzeichnung. Aber da es Juli Mins‘ Debütroman ist, will ich da mal nicht so streng sein und wünsche mir an dieser Stelle einen Teil 2 des Buches, der die Geschichte der Familie Yang und damit der Figuren weiterentwickelt und uns tiefer in deren Leben und Psyche eindringen lässt. Ein gelungener Anfang - danke Juli Min, ich bin gespannt, wie es weitergeht!