Julie Kiblers Roman „Zu zweit tut das Herz nur halb so weh“ hat einen langen und weitaus sentimentaler anmutenden Titel als das amerikanische Original „Calling me home“, das laut deutschem Verlag erst im nächsten Jahr erscheinen soll. Gut dass ich mich nicht habe abschrecken lassen von dem Titel, denn obwohl die Handlung streckenweise sehr traurig ist kann man kaum von Sentimentalität sprechen, eher von einer stoischen Haltung gegenüber dem Schicksals das einem in diesem Leben auferlegt ist und von Akzeptanz, zu der Isabelle, die Hauptfigur, im Laufe ihres Lebens gelangt ist. Sie kämpft nicht mehr, sie lässt sich nur noch treiben vom Leben und löst Kreuzworträtsel – und das in dem Auto, das ihre Freundin Dorrie für sie steuert.
Dorrie ist eine 36jährige Friseurin im Bundesstaat Texas, dunkelhäutig und Mutter von zwei Kindern, vom Exmann getrennt und hoffend dem neuen Mann in ihrem Leben, Teague, vertrauen zu können. Die neunzigjährige Miss Isabelle ist eine treue Stammkundin von Dorrie, die sie bei ihr zu Hause jeden Montag frisiert. Miss Isabelle bittet Dorrie eines Tages sie zu einer Beerdingung nach Cincinnati zu fahren – Dorrie kommt diesem Wunsch nach.
Die Erzählhandlung läuft auf zwei Ebenen ab. Zum einen schildert Dorrie in der Ich-Perspektive die gegenwärtige Handlung, die aus der Reise mit Isabelle nach Cincinnati besteht. Auf dieser Ebene erfahren wir viel über Dorries Leben und Einstellungen und auch, wie die alte Isabelle heute ist: eine alte Dame die kein Blatt vor den Mund nimmt. Ihre Vergangenheit wird von ihr selbst erzählt: ihre Kindheit in Kentucky, aus einer Ärztefamilie stammend, die seit Generationen die von Sklaven abstammende Familie Prewitt als Bedienstete angestellt hat. Als Isabelle 17 ist verliebt sie sich in den ein Jahr älteren Sohn der Prewitts, Robert. Der wird von ihrem Vater in seinem Wunsch Arzt zu werden gefördert. Als auch er sich in Isabelle verliebt wird dem Leser schnell klar wie sehr Rassismus und Vorurteile im Amerika der 1940er Jahre an der Tagesordnung sind.
Das Buch ist ein Plädoyer für Toleranz indem es zeigt wie zerstörerisch Intoleranz sein kann. Es ist erschreckend wie das Südstaatenamerika in seinem rassistischen Denken bis weit ins 20. Jahrhundert verhaftet war. Die Geschichte von Isabelle und Robert geht ans Herz, auch wenn wir den jungen Mann nur durch den Filter von Isabelle geschildert bekommen. Gelegentlich hätte es mich interessiert noch mehr von seinen Gedanken und Gefühlen angesichts der verfahrenen Situation zu erfahren. Die Gegenwartsgeschichte mit den zwei Frauen, die starke Thematisierung von weiblichen Rollenbildern und die Tatsache, dass die Männer nur durch den weiblichen Blick gespiegelt werden machen diesen Roman zu einem „Frauenbuch“, wenn man das so pauschal denn sagen kann. Isabelle ist eine Frau mit emanzipativen und fortschrittlichen Gedanken in einer Zeit, die von patriarchaler Unterdrückung und der unüberwindbaren Mauer zwischen Menschen von heller und dunkler Hautfarbe geprägt ist. Indem sie gegen diese Barriere aufbegehrt benimmt sie sich also in zweifacher Hinsicht besonders. Traurig ist, dass die Zeit damals noch nicht reif war für diese Liebe, die den gesellschaftlichen Konventionen weitgehend widersprach. Demnach ist dies ein trauriges Buch, das rückblickend auch etwas sehr konstruiert wirkt. Ich habe es dennoch sehr gerne und sehr schnell gelesen. Die Erzählweise ist erstaunlich leichtfüßig – anders als ich es bei diesem doch eher schweren Thema erwartet hätte. Die Kraft und schonungslose Ehrlichkeit der neunzigjährigen Isabelle wirkt von Anfang an entwaffnend, so dass man zuweilen vergisst wie viel Schmerzen ihr in ihrem Leben zugefügt wurden.
Ein traurigschönes Buch, das sicher einige „unglaubwürdige“ Wendungen hat. Dennoch auf jeden Fall lesenswert vor allem für jene Leser und Leserinnen, die traurige Liebesgeschichten mögen. Manchmal war es für meinen Geschmack allerdings schon fast zu traurig und nihilistisch. Wenigsten ein kleines happy ending hätte ich mir gewünscht, aber wahrscheinlich hätte es nicht gepasst.