Großartig und Vielschichtig
"Das Leben ist nur ein langsamer Verlust all dessen, was man liebt."
"Menschliche Dinge" hat mich an den Roman "Ich habe einen Namen" von Chanel Miller, ebenfalls aus der Verlagsgruppe Ullstein, erinnert. ...
"Das Leben ist nur ein langsamer Verlust all dessen, was man liebt."
"Menschliche Dinge" hat mich an den Roman "Ich habe einen Namen" von Chanel Miller, ebenfalls aus der Verlagsgruppe Ullstein, erinnert. Chanel Miller wurde Opfer einer Vergewaltigung nachdem die Party einer Studentenverbindung der Stanford-Universität aus dem Ruder geriet und erzählt in ihrem Roman von der Zeit davor und danach. Täter war ein Student aus reichem und einflussreichem Elternhaus. Dieser Fall sorgte weltweit für Aufsehen. In dem Roman von Karine Tuil gibt es kein Gut oder Böse, es gibt zwei Aussagen, zwei Wahrheiten und diese stehen sich gegenüber ohne Wertung der Autorin. Im ersten Teil des Romans stellt die Autorin die einzelnen Charaktere vor, auch das vermeintliche Opfer, denn die junge Frau ist die Tochter von Claires neuem Partner. Der zweite Teil zeigt die Chronologie des langen Gerichtsprozesses, welcher klären soll, was am Abend der Verleihung geschehen ist. "Menschliche Dinge" splittet sich in ein Davor und ein Danach und zeigt die Zerbrechlichkeit menschlicher Beziehungen auf.
Auf den knapp 400 Seiten geschieht sehr viel, einerseits viele politische und religiöse Themen, andererseits viele moralische Fragen. Bemerkenswert wie die Autorin den Spagat zwischen all diesen Bereichen schafft, ein Page-Turner, wie man so schön sagt, ein absoluter Sog, die Suche nach dem Grau in dem Schwarz und Weiß. Die Charakterisierungen der Personen ist absolut gelungen. Im Rahmen des zweites Teils, welcher den Prozess gegen Alexandre zeigt, seziert sie die Personen bis ins kleinste Detail, bricht selbst die dunkelsten Ecken der Persönlichkeiten auf.
Der Schreibstil ist distanziert und zugleich eindringlich, die Sprache ausgezeichnet und hervorragend. Teils bin ich atemlos durch die Seiten geflogen.
"Das war vielleicht die einzige Lektion, die er aus den schweren Zeiten mitgenommen hatte: Alles, ausnahmslos alles im Leben konnte von einem Moment auf den anderen aus den Fugen geraten."
Ein großartiger und vielschichtiger Roman der die Fragilität dessen, an was wir glauben, was wir lieben und des Lebens an sich aufzeigt. Ein bestechender und unbedingt lesenswerter Roman.