Viele Unstimmigkeiten, Widersprüche und teilweise sogar mit toxischen Anklängen...
Mit "Finde mich. Jetzt" von Kathinka Engel ist vor Weihnachten ein Trilogie-Auftakt bei mir eingezogen, dessen Folgebände ich schon gelesen habe. Fragt mich nicht, wieso, aber bei Kathinkas ersten zwei ...
Mit "Finde mich. Jetzt" von Kathinka Engel ist vor Weihnachten ein Trilogie-Auftakt bei mir eingezogen, dessen Folgebände ich schon gelesen habe. Fragt mich nicht, wieso, aber bei Kathinkas ersten zwei Reihen habe ich es einfach nie geschafft, mit Band 1 anzufangen und bin immer erst später und in komplett falscher Reihenfolge in die Reihe eingestiegen. Da mich in "Halte mich. Hier" Maliks und Zeldas Liebesgeschichte und in "Liebe mich. Für immer" die von Sam und Amy überzeugen konnte, stand es für mich nicht zur Debatte, dass ich auch herausfinden musste, wie Tamsin und Rhys zusammengekommen sind. Da Sofia von @Sofiasworldofbooks die Geschichte auch noch nicht gelesen hat, haben wir kurzerhand einen Buddyread draus gemacht. Leider waren wir uns ziemlich schnell einig: man merkt "Finde mich. Jetzt" leider an mehreren Stellen an, dass es der Debütroman der Autorin ist und die Geschichte entwickelt leider nicht den magisch-verträumten Sog, mit dem Kathinka Engels Romane mich normalerweise bezirzen...
Bevor ich versuche, meine Kritik wertschätzend auszudrücken und zu erklären, was mir in "Finde mich. Jetzt" nicht gefallen hat, will ich wie immer noch kurz einige Worte zur Gestaltung sagen. Die Cover der "Believe In Second Chances"-Trilogie sind aufeinander abgestimmt, sodass die drei Bände nebeneinander liegend zusammen ein Unendlichkeitszeichen ergeben. Dazu passend sind auch die Titel so gewählt, dass sie in Kombination zueinander passen und "Finde mich. Halte mich. Liebe mich. Jetzt. Hier. Für immer" ergeben. Wenn man jedoch nur ein Einzelband ohne die anderen Teile betrachtet, wirken Titel und Cover etwas seltsam - eben unvollständig. Ich finde die Idee grundsätzlich wirklich klasse - als Einzelwerk, wenn man sich nicht auf den Gesamteindruck konzentriert, sind mir die glitzernde Bögen und der bunte, Wasserfarbenverlauf im Hintergrund aber zu kitschig und nichtssagend. Sehr nett finde ich wiederum die kurzen Steckbriefe zu den zwei Hauptprotagonisten in den Leselaschen und die kleinen Unendlichkeitszeichen inklusive Name an den Kapitelanfängen, welche angeben, aus welcher Perspektive gerade erzählt wird. Auch wenn ich das Cover an sich also nicht unbedingt umwerfend finde, ist die Gestaltung des Piper Verlags als Ganzes wirklich sehr detailgetreu und liebevoll ausgearbeitet!
Erster Satz: "Heute ist ein Tag der Gegensätze"
Schon in den ersten Kapiteln habe ich feststellen müssen, dass mich die Geschichte von Tamsin und Rhys nur wenig abholen und mitreißen konnte. Natürlich muss ich dazu sagen, dass mir durch Band 2 und 3 die Grundzüge und der Endpunkt der Handlung des ersten Bandes schon bekannt waren. Gemeinsam mit der geringen Handlungsdichte und dem relativ langen durch die Erzählung abgedeckten Zeitraum sind das natürlich keine besonders guten Voraussetzungen für eine spannende Handlung. Es waren aber vielmehr die Atmosphäre und die Figuren als die Rahmenhandlung an sich, die für mich deutliche Schwächen aufwiesen und dafür gesorgt haben, dass ich "Finde mich. Jetzt" nicht so lieben konnte wie andere Bücher der Autorin. Trotz der ernsten Themen, die hier angesprochen werden und in den USA nochmals deutlich aktueller sind als hierzulande, handelt es sich um ein gemütliches Wohlfühlbuch, das nur wenig Tiefe erreicht. Wie aus ihren anderen Romanen gewohnt schreibt Kathinka Engel auch hier locker, leicht und auch wenn man bei ihrem Humor nicht schallend lacht, schafft sie es immer wieder, die ernste Stimmung aufzulockern. Rein stilistisch habe ich ihre Schreibweise aber leider kaum wiedererkannt. Zwar gibt es einige schöne Szenen, gerade zu Beginn sind die Sätze aber teilweise sehr kurz und beinahe abgehackt, sodass ich mich bald gefragt habe, ob "Finde mich. Jetzt" wirklich aus derselben Feder der Autorin stammt, die mich mit ihrer lebendig, ehrlich und emotionalen Schreibweise in der Shetland-Love-Reihe umgehauen hat.
Rhys: "Bei Tamsins Anblick habe ich das Gefühl, dass das Leben auch für mich selbst nicht vorbei sein muss. Und auch wenn Tamsin niemals Teil meines Lebens sein kann, ist sie doch in ihrer Unbefangenheit so etwas wie ein Fenster in eine farbenfrohe Welt."
Auch ihr Gespür für Figurenentwicklungen und die Einbindung feministischer Ideen habe ich hier komplett vermisst. Beide Hauptfiguren, die hier mal wieder abwechselnd aus der Ich-Perspektive erzählen, sind leider recht inkonsistent charakterisiert und weisen immer wieder Logiklücken auf. Ich hatte an unzähligen Stellen das Gefühl, eine Figur müsste als logische Konsequenz aus der vorangegangenen Handlung eine gewisse Reaktion zeigen und war dann überrascht, als sie das genaue Gegenteil gemacht hat. Beispiele dafür sind zum Beispiel, dass der verschlossene Rhys Tamsin gleich bei der ersten Gelegenheit von seiner Vergangenheit erzählt, oder dass Tamsin sofort mitlacht, als Sam sich über ihre erst kürzlich passierte, schmerzhafte Trennung lustig macht. Das waren beides Reaktionen, die ein Gefühl von Verwirrung und Irritation bei mir hinterlassen haben. Besonders dahingehend verwirrt hat mich Tamsin. Mit ihren ständigen Übersprunghandlungen, die nicht immer zu ihrer aktuellen Konstitution gepasst haben, machten sie es mir äußerst schwer, sie als Figur zufassen zu bekommen. Auch dass sie aus ihrer eigenen Perspektive zu Beginn wie eine ganz andere Person wirkte und sich für mich nur schwer mit Rhys Beschreibung von ihr in Einklang bringen ließ, hat mir der Zugang zu ihr, der durch ihre naive und weltfremde Art sowieso schon eingeschränkt war, noch zusätzlich erschwert.
Tamsin: "Oft fühle ich mich regelrecht heimatlos, wenn ich ein Buch zu Ende gelesen habe. Denn während ich lese, bin ich tatsächlich im Moskau des neunzehnten Jahrhunderts oder im Thronfield an der Seite von Jane Eyre zu Hause. Vielleicht bin ich also tatsächlich eine Kosmopolitin." Ich zuckte mit den Schultern. "Nur eben zwischen zwei Buchdeckeln."
Rhys hat mich da zu Beginn viel mehr angesprochen, da mich sehr interessiert hat, wie er sich nach sechs Jahren Haft mit seiner neuen Freiheit auseinandersetzt und sich selbst neu erfindet. Das Gefühl, dass die Welt ihm fremd ist und keinen Platz mehr für ihn hat, empfand ich als sehr beklemmend und gleichzeitig als interessanten Ausgangspunkt für die Handlung. Sehr schade ist bei ihm aber, dass sein Trauma sehr unglaubwürdig umgesetzt wird. Er hat aufgrund von Übergriffen im Gefängnis eine gestörte Wahrnehmung seines eigenen Körpers und reagiert sehr empfindlich auf Berührungen. Statt sich tatsächlich mit dieser Problematik auseinanderzusetzen und diese kontinuierlich weiterzuentwickeln, wird der Konflikt aber nur dann auf den Tisch gebracht, wenn es der Handlung förderlich ist und ansonsten weitgehend ignoriert. So kann es sein, dass Tamsin ihn am Anfang überraschend umarmt, ohne dass etwas passiert, er dann später wegen einer Kleinigkeit durchdreht und sie im Anschluss dann ohne Probleme Sex haben, bevor er wieder einen Zusammenbruch erleidet. Auch abseits von seinen Problemen mit Körperlichkeit bleibt er leider sehr blass und wir bekommen kaum etwas von seiner langsamen Annäherung an die Welt tatsächlich mit. Wie schlecht die ganze Entwicklung leider umgesetzt ist, sieht man auch daran, dass Rhys am Ende reflektiert, was er im letzten halben Jahr alles gelernt hat und ich mich nicht an eine einzige Szene erinnern konnte, in der er tatsächlich persönlich weitergekommen ist.
Rhys: "Die Welt sollte mich, Rhys Bolton, willkommen heißen. Aber die Welt ist nicht mehr das, was sie war, als ich mich mit fünfzehn von ihr verabschiedet habe. Sie will mich nicht, und ich weiß nichts über sie. Wir sind einander völlig fremd."
Auch die Beziehung der beiden konnte mich leider gar nicht überzeugen, da ich deren Nähe weder emotional nachvollziehen noch die inhaltlichen Aspekte ihres Umgangs akzeptieren konnte. So wirkte ihre Beziehung an manchen Stellen beinahe toxisch, wenn Tamsin sich die Schuld an seinem Zusammenbruch gibt, weil sie nicht da war (als wäre es ihre Aufgabe, 24/7 für seine geistige Gesundheit zu sorgen), Rhys feststellt, dass er ohne sie das Leben nicht als Wert an sich empfinden kann (emotionale Abhängigkeit lässt grüßen) oder Tamsin auf Offenbarungen seinerseits unpassend bagatellisierend reagiert und ihn und seine Komplexe sexualisiert. Sofia und ich haben uns beim Lesen besonders über eine Stelle aufgeregt, als Rhys ihr erzählt, dass er sich für seinen Oberkörper schämt, da er jenen infolge seines Traumas nicht als (akzeptablen) Teil seiner Selbst wahrnehmen kann (Christian Grey, is that you?). Anstatt verständnisvoll darauf einzugehen, antworte sie darauf ungelogen, dass das Gefühl der körperlichen Unzulänglichkeit für Frauen reserviert sei, dass er sich nicht so anstellen soll und als Krönung wirft sie ihm dann auch noch vor, dass seine Muskeln Menschen mit normalem Körperfettanteil unter Druck setzen würden.
Tamsin: "Und warum ist Pu der Bär auf deiner Liste", flüstere ich, weil ich, obwohl wir uns so nah sind, die Sehnsucht nach ihm kaum aushalte. "Weil im Hundert-Morgen-Wald jeder sein kann, wie er will. Selbst I-Ah muss sich nicht verstellen. Sie mögen ihn einfach als das, was er ist", sagt Rhys leise und drückt meine Hand erneut.
"Ich mag dich auch als das, was du bist", flüstere ich, "mit verschobenen Grenzen und allem."
"Und ich mag dich. Mit all deinen Verrücktheiten".
Ich habe selten eine unsensiblere Art gesehen, auf mitgeteilte Ängste zu reagieren. Dieses Herunterspielen in die Richtung "jetzt hab dich Mal nicht so, andere haben ganz andere Probleme, du bist doch voll in Ordnung" hilft vielleicht bei gewöhnlichen leichten Komplexen. Da kann es manchmal hilfreich sein, klarzumachen, dass man seine Probleme im Kopf künstlich aufbauscht. Aber in dieser Situation? Fand ich es einfach nur toxisch. Stellt Euch nur mal vor, die Geschlechterrollen wären umgekehrt gewesen und der Typ hätte der Frau gesagt, sie solle sie doch nicht so anstellen, sie sehe ja heiß genug aus um von Männern gewollt zu werden. Sowas möchte ich in einem Roman von 2019 nicht mehr lesen. Leider tauchen auch andere Tropes wie zum Beispiel der "Du bist zu gut für mich Trope" und der "du bist anders als die anderen Mädchen"-Trope hier auf, von denen ich eigentlich dachte, dass wir schon 2016 beschlossen haben, dass wir diese nicht mehr in modernen New Adult Romanen lesen wollen, da sie die weibliche Integrität untergraben.
Auch diese Stelle kann man übrigens wunderbar heranziehen, um zu erläutern, was mein Problem mit der Entwicklung von Rhys´ Nähe-Problem ist. Statt sich wie von mir erwartet durch Tamsins unüberlegte Reaktion vor den Kopf gestoßen und verletzt zu fühlen, war es anscheinend genau das, was er hatte hören müssen. Daraufhin legt augenblicklich alle seine Probleme ab (Traumaheilung durch Gesprächstherapie geht normalerweise ein bisschen anders), sodass sie in den folgenden Kapitel wilden Sex haben können, von dem ich dachte, er würde am Ende den Endpunkt der Entwicklung darstellen. Damit überspringen die beiden gefühlt 100 Schritte der Entwicklung ihrer Beziehung und vor allem der Entwicklung von Rhys´ Näheproblem und ließen mich mit einer ganzen Menge Fragezeichen zurück.
Rhys: "Ich kann, ich darf, aber ich muss nicht. Zum ersten Mal wird mir bewusst, was Freiheit bedeutet."
Das Ende der Geschichte verläuft nach dem großen Drama dann recht leichtfüßig und alles in allem ganz nett. Um ein runder Abschluss zu sein, fehlte mir hier aber leider die Hälfte und sowohl auf Rhys´ als auch auf Tamsins Seite blieben einige Fäden lose und Fragen offen. Was macht Tamsin nun mit ihrer Familie? Der komplette Bruch ohne ihnen ihre Seite der Geschichte darzulegen ist ja nur der erste von vielen Schritten zu einem gesünderen Verhältnis... Und mit Sam hat sie sich auch nicht ausgesprochen, das ging ja einfach wieder in den Normalzustand über? Kann Rhys mit seiner Vergangenheit Frieden schließen? Wie empfindet er nun gegenüber seiner Mutter? Was passiert mit Don, bekommt er auch irgendwann noch seine Quittung? Und was ist mit dem Gefängnisschläger, der ja nun eine offensichtliche Bedrohung für Rhys darstellt, aber nie wieder vorkam? Im Endeffekt ist das Ende also ein perfektes Sinnbild für meine Beziehung zur gesamten Geschichte: auf den ersten Blick ist ein Unterhaltungswert der Geschichte nicht von der Hand zu weisen, die Struktur unter der netten Oberfläche passt aber vorne und hinten nicht zusammen.
Rückblickend bin ich also sehr froh, dass ich nicht ganz regulär mit dem ersten Teil der Reihe in die "Believe In Second Chances"-Trilogie eingestiegen bin und "Finde mich. Jetzt" als sechstes Buch von Kathinka Engel lese. Wäre das meine erste Begegnung mit der Autorin gewesen, wäre es wohl auch meine einzige geblieben...
Fazit:
Auch wenn ich "Finde mich. Jetzt" wirklich mögen wollte, sind mir zu viele Unstimmigkeiten, Widersprüche und teilweise sogar auch toxische Anklänge in der Geschichte ins Auge gesprungen, um sie weiterempfehlen zu können. Die zwei Sterne gibt es nur für die liebenswerten Nebenfiguren und die vereinzelten schönen Szenen, in denen das Talent von Kathinka Engel durchblitzt. Wer mehr von ihr lesen will, sollte sich aber eher an ihre "Love is", oder die "Shetland-Love"-Reihe halten!