Liebe, Krankheit, Literatur
Katja Oskamp, 1970 in Leipzig geboren, hatte schon drei Bücher veröffentlicht, bevor sie mit ihren Erzählungen über den Alltag einer Fußpflegerin, „ Marzahn, mon amour“, 2019 einen Riesenerfolg landete. ...
Katja Oskamp, 1970 in Leipzig geboren, hatte schon drei Bücher veröffentlicht, bevor sie mit ihren Erzählungen über den Alltag einer Fußpflegerin, „ Marzahn, mon amour“, 2019 einen Riesenerfolg landete. Darin versammelt sie die Geschichten ihrer Marzahner Kundschaft, Portraits von ganz normalen Menschen.
Ihre Bücher sind allesamt autobiografisch begründet, so auch ihr neuestes „ Die vorletzte Frau“ . Darin geht es um ihre Liebesbeziehung zum Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann, im Buch kurz „ Tosch“ genannt.
Sie, die dreißigjährige Ich- Erzählerin, lernt ihn am Leipziger Literaturinstitut kennen. Er, ein arrivierter Schweizer Schriftsteller, ist als Gastdozent ihr Lehrer. Die Schülerin bewundert den neunzehn Jahre älteren Mann. Beide stecken in unglücklichen Beziehungen fest und sehen im anderen die Rettung. „ Tosch sagte: Bevor ich dich traf, war ich tot. Mein Schwanz war tot.“ „ Ich sagte: Ich war toter als du, Tosch.“
Es beginnt eine leidenschaftliche Beziehung, aber keine des Alltags. Es gibt getrennte Wohnungen; in der einen lebt die Ich- Erzählerin mit ihrer Tochter, in der anderen der Schriftsteller, der einen ganz anderen Lebensrhythmus braucht. Die Begegnungen finden meist an den Wochenenden statt, im sog. „ Lotterbett“.
Sexualität ist von Beginn an elementar für die beiden. Voller Leidenschaft und ohne Tabus, das ist ihnen wichtig. Aber die zweite Säule der Beziehung ist die literarische Arbeit. Tosch ist Lehrer und Mentor; er unterstützt, berät, korrigiert und ermutigt. Kein Text von Katja Oskamp, der nicht durch seine Hände geht. „ Sex und Text“ nennen sie folgerichtig ihr Miteinander. „ Tosch liebte meine Texte und meinen Hintern. Ich liebte Toschs Pranken und sein Lektorat.“
Aber als Tosch die Diagnose „ Prostatakrebs“ erhält, ändert sich beinahe alles. Die Krankheit stellt die Partnerschaft auf eine harte Probe. Aus der Geliebten wird die Pflegerin. Auch hier kennt die Autorin keine Tabus. Sie beschreibt gnadenlos ehrlich, ohne jegliche Rührseligkeit, wie eine tödliche Krankheit das Leben verändert. Dabei geht es nicht nur um die emotionale Verfassung, sondern um ganz konkrete körperliche Probleme und Handgriffe.
Da kommt das anfangs gegebene Versprechen erneut zum Tragen. „ Ich mute mich dir zu. Du mutest dich mir zu.“ Ging es damals um Geständnisse, was die eigenen Schwächen und Macken betrifft, so bekommt es hier noch eine viel tiefere Dimension.
Tosch kämpft um sein Leben, die Ich- Erzählerin ist für ihn da. Doch dabei bleibt sie selbst auf der Strecke. Beruflich in einer Sackgasse, die Tochter flügge und aus dem Haus. Das ist der Zeitpunkt, in dem Katja Oskamp beschließt, eine Ausbildung zur Fußpflegerin zu machen. Tosch unterstützt den Vorschlag. Obwohl beiden bewusst ist, dass sie dann nicht mehr immer zur Verfügung stehen wird.
Der Schweizer Schriftsteller ist zu diesem Zeitpunkt bereits zurück in seine Heimat gezogen. Dort ist sein Arztfreund, dort kann er zwischen den Krankenhausaufenthalten arbeiten. Die Beziehung geht ihrem Ende zu; ohne großen Szenen, ohne Knall. „ Eine Trennung in Häppchen, in Loopings, in Etappen. Ein warmer Entzug.“ Bald stellt sich ihre Nachfolgerin ein; sie selbst ist mal wieder „ die vorletzte Frau“.
Neunzehn Jahre betrug der Altersunterschied, neunzehn Jahre dauerte die Beziehung. „ Im ersten Fall galt neunzehn als viel, im zweiten als wenig.“ Gleich auf der ersten Seite stellt sich die Autorin die Frage, „ ob alles so gekommen wäre, wie es gekommen war, wenn Tosch während der neunzehn Jahre nicht krank und ich während der neunzehn Jahre nicht alt geworden wäre.“
Katja Oskamps Roman ist nicht nur die Liebesgeschichte zwischen einer jüngeren Frau und einem älteren Mann. Der Altersunterschied ist nicht der einzige Gegensatz zwischen ihnen. Er entstammt dem Schweizer Bürgertum. Mit einem Politikervater und einer eleganten und kühlen Mutter weiß er sich in den sog. „ besseren Kreisen“ zu bewegen. Sie dagegen kommt aus dem Osten Deutschlands, lebt mit der kleinen Tochter in einem Reihenhaus . Da der erfolgreiche Großschriftsteller, sie die Studentin mit ersten Schreibversuchen.
Doch Katja Oskamp leidet nicht unter dem Gefälle. Sie war gern unten, wie sie freimütig bekennt. Das wird ihr so richtig wieder bewusst, als sie als Fußpflegerin arbeitet. „ Mein Job war das Gegenteil von dem, was er oberste Liga nannte. Ich war unten im doppelten Sinn: anatomisch ( bei den Füßen) und sozial ( als geringfügig Beschäftigte mit Mindestlohn).“
Und sie neidet Tosch nicht seine schriftstellerischen Erfolge, denn sie ist sich bewusst, wie viel sie bei ihm gelernt hat.
So liest sich das Buch nicht nur als Geschichte einer Liebe und nicht nur als Krankheitsgeschichte, sondern erzählt gleichsam von der Entwicklung einer Frau zur Schriftstellerin.
Katja Oskamp ist zu bewundern für ihren Mut und ihre Offenheit. Aufrichtig und ohne sich und andere zu schonen schreibt sie von Sexualität und Krankheit. Auch wenn man sich fragen mag, ob man das immer so genau wissen will. Doch wovon sie schreibt, das gehört zum Leben und will benannt und angenommen werden.
Ihr Schilderungen sind lakonisch, voller Selbstironie und Witz, dabei ergreifend und zu Herzen gehend. Klug und reflektiert seziert sie Liebe und Krankheit, so dass man das Gelesene noch lange in Erinnerung behält.