Für gewöhnlich mache ich einen großen Bogen um Bücher dieser Art, da ich mich eher im Fantasy-Genre zu Hause fühle. "Drachenläufer" jedoch war Pflichtlektüre im Englischunterricht an meiner Schule und so kam ich nicht drum herum, dieses Buch zu lesen – Gott sei Dank. Hätte ich es nicht gelesen, wäre mir vermutlich eines der besten Bücher über Afghanistan entgangen und das wäre wirklich schade gewesen.
Dieses Buch behandelt nicht nur existenzielle Themen wie Schuld und Sühne, Freundschaft und Verrat, Loyalität über den Tod hinaus, Verzeihen und Wiedergutmachung, sondern spiegelt die verheerende Politik im Afghanistan der letzten 30 Jahre wider. So bekommen wir einen Einblick in die politische Lage dieses Landes, ohne dass zu viele Details verwendet werden, denn das kann schnell langweilig werden.
Ein interessanter Aspekt des Buches ist die Schilderung des Flüchtlings-Schicksals von Amir und dessen Vater. Einem Mann, der in seiner Heimat ein hochangesehenes Mitglied der Gesellschaft war und der plötzlich in der Fremde gezwungen ist, niedrige Arbeiten zu verrichten. Der es als Schande empfindet, von Almosen leben zu müssen. Man versteht plötzlich ein wenig besser, warum Menschen, die weit von zu Hause leben müssen, sich dennoch an ihre Traditionen klammern, die ein Teil ihrer Identität sind.
Hosseini schaffte mit diesem Buch einen vordergründig leichten und flüssig zu lesenden Roman, der unbedingt als exzellente Unterhaltung zu werten ist. Scheinbar mühelos verbindet er schwierigste Themen miteinander und lädt dabei zum Nachdenken an. Der Leser sollte sich dabei nicht an einer leicht konstruiert wirkenden Geschichte und der gelegentlichen Neigung zu dem Klischee von Gut und Böse stören.
So entdecken wir in dem erst 12-jährigen Hassan einen Menschen, der, ungeachtet allen Leides und aller Demütigungen, in sich ruht. Hassan empfindet keinen Neid, fordert keine Vergeltung für seine Peiniger. In seiner tiefen Religiosität, seiner unendlichen Loyalität Amir gegenüber, ist er das personifizierte Gute in diesem Roman. Ihm gegenüber tritt das Böse inGestalt des Jugendlichen Assef. Dieser, sadistisch, ohne Mitleid und Respekt vor dem Leben und der Würde anderer, repräsentiert den blanken Terror. Sein zweiter Auftritt in diesem Buch ist - leider - sehr vorhersehbar und keine echte Überraschung mehr. Die Wirkung wird dadurch aber nicht geschmälert.
Ebenso gefällt mir der Blick in das Leben von Amir und seinem ewigen Ringen um die Aufmerksamkeit seines Vaters. Irgendwann im Laufe der Erzählung bekam ich das Gefühl, eins mit dem Erzähler zu werden, ich litt mit ihm und ich freute mich mit ihm. Ich hoffte und bangte und gab die Hoffnung nie auf. Es passiert sicher nicht oft, dass ein Buch seine Leser emotional so stark berührt, und es ist eine Meisterleistung eines Schriftstellers, diese Wirkung durch einen seiner Romane zu erzeugen.
Fazit
"Eine Geschichte, die wohl kaum einen Leser unberührt lassen wird" schreibt die Neue Züricher Zeitung ... und genau so ist es auch!