Ich habe so viele Fragen!
Lange habe ich mich auf Muse of Nightmares gefreut - quasi ab dem Moment, in dem ich Strange the Dreamer zu Ende gelesen hatte. Deshalb war ich froh, dass die Geschichte aber der ersten Seite direkt in ...
Lange habe ich mich auf Muse of Nightmares gefreut - quasi ab dem Moment, in dem ich Strange the Dreamer zu Ende gelesen hatte. Deshalb war ich froh, dass die Geschichte aber der ersten Seite direkt in Gang kommt und mich wieder nach Weep zieht, als wäre ich nie fort gewesen.
Eine kurze Bemerkung, bevor ich mich dem Buch inhaltlich widme: Ich finde es sehr schade, dass die zwei Originalbände für die deutsche Übersetzung jeweils in zwei kürzere Bücher unterteilt wurden. So wurde die Geschichte nicht geschrieben und deshalb wirkte der Schnitt zwischen Strange the Dreamer 1 und Strange the Dreamer 2 zu abrupt, zu willkürlich und nicht harmonisch, als gehöre er dort hin. Der Übergang von Strange the Dreamer 2 zu Muse of Nightmares 1 war wesentlich angenehmer zu lesen und ergab viel mehr Sinn. Diese deutsche Unterteilung in insgesamt 4 statt 2 Bände ist auch der Grund dafür, warum mich das Ende dieses Bandes nicht so begeistert hat. Meiner Meinung nach hätte man die Bücher so lassen sollen, wie sie ursprünglich waren: 2 Bände mit jeweils entsprechend größerem Umfang, aber ohne willkürlich gesetzte Schnitte.
Minya
"Muse of Nightmares. Das Geheimnis des Träumers" widmet sich verstärkt Minya. Das fand ich zuerst nicht so toll, weil Minya einfach ein unsympathischer Charakter ist. Mit der Zeit wurde allerdings immer deutlicher, warum es wichtig ist, diese Figur genauer zu beleuchten und zu verstehen, warum sie tut, was sie tut. Auch die kleinen Einblicke in die Vergangenheit der Mesarthim, an die sich außer Minya keiner erinnern kann, spielen später eine wichtige Rolle (jedenfalls habe ich diesen Eindruck gewonnen - genau kann man das erst nach dem Lesen des letzten deutschen Bandes, also der zweiten Hälfte von Muse of Nightmares, sagen). Minyas umsympathische Züge, ihr von Hass zerfressenes Leben wurde hervorragend geschrieben. Ich habe mich beim Lesen oft in einer Art Zwiespalt gesehen: einerseits kann ich Minya nicht leiden und was sie den anderen antut, was sie die Toten durchmachen lässt und wie sie vor allem mit Sarai und Lazlo umspringt, ist unfassbar gemein und bösartig. Andererseits verstehe ich durch die Rückblicke, warum sie geworden ist, wie sie ist, und was sie antreibt. Nicht, dass das besser macht, wie sie sich verhält, aber verstehen kann ich es.
Ruby, Sparrow, und Feral
Durch Minyas Handeln und dessen Konsequenzen ändern auch die anderen Mesarthim ihr Verhalten, sie wachen sozusagen auf und beginnen endlich, selbst nachzudenken. Das hatte ich mir von diesem Band erhofft, nachdem die Fügsamkeit und das naive Befolgen von Anweisungen aus dem ersten Bänden mich schon fast etwas genervt hatte. Feral, Sparrow und Ruby haben endlich angefangen, individuelle Entscheidungen zu treffen und für sich selbst einzustehen. Sie haben noch einen langen Weg vor sich, aber die ersten Schritte zur Loslösung von Minyas Übermacht sind getan. Ich kann es kaum erwarten zu lesen, wie sich diese drei entwickeln werden.
Sarai und Lazlo
Vor Sarais und Lazlos Zukunft fürchte ich mich allerdings. Minya hat sie in der Hand und ich rechne mir die Chancen für ein unblutiges Ende nicht sehr hoch aus ... Andererseits gab es eine Wendung gegen Ende, die ein kleines bisschen Hoffnung gibt. Ohne zu spoilern kann ich nicht genauer darauf eingehen, doch ich bin sehr gespannt, wie sich das weiterentwickelt. Dadurch, dass sich der Fokus in diesem Band auf Minya verschiebt, nimmt die Beziehung von Sarai und Lazlo nicht so viel Raum in der Geschichte ein. Das finde ich sehr angenehm, wenn auch überraschend. Die meisten Bücher haben wenige Hauptcharaktere, auf denen die ganze Zeit der Fokus liegt. Es ist also eine positive Überraschung, hier so geschickt die Protagonisten in den Hintergrund gerückt zu sehen, um anderen wichtigen Figuren die Bühne zu überlassen - allerdings, ohne selbst vollständig unwichtig zu werden. Für mich ist das ein Zeichen dafür, dass Laini Taylor genau weiß, was sie tut und wie sie es tun muss, um die gewünschten Effekte zu erzielen. Sie schreibt sehr wirkungsvoll und dieser Stil ist für mich das, was den großen Charme dieser Bücher ausmacht.
Neue Zeitebene?
Ein weiteres neues Element, das ziemlich abrupt auftaucht, ist ein neuer Handlungsstrang mit neuen Figuren im Zentrum. Zwei Schwestern als Kernfiguren, Mesarthim und Götter, die völlig selbstverständlich an der Handlung teilhaben, eine Welt, in der Weep scheinbar nicht existiert - das hat mich zuerst ziemlich verwirrt, auch deshalb, weil es so aus dem Nichts kam. Ich dachte an eine parallel existierende Stadt oder sogar Welt. Später (so meine persönliche Interpretation, das ist keine feststehende Tatsache!) stellte sich heraus, dass es sich um eine frühere Zeit handelt und die Geschichte einer der Göttinnen erzählt wird, die beim Angriff durch Eril-Fane scheinbar umkam. Das nächste ist reine Spekulation und beinhaltet Spoiler, also wer das nicht lesen mag, der überspringe bitte den nächsten Absatz.
Ich glaube, dass Kora später zu Korako wird, die dafür verantwortlich war, dass der echte Name von Weep vergessen wurde. Und ich glaube, dass Korako nicht tot, sondern der weiße Vogel ist, der immer wieder auftaucht und irgendeine Verbindung zu Lazlo zu haben scheint. Dadurch, glaube ich, könnte es doch noch möglich sein, den Namen wiederherzustellen und das allgemeine Vergessen rückgängig zu machen.
Vergebung?
Eine der Kernfragen, die in diesem Band von Sarai und Lazlo immer wieder aufgegriffen wird, dreht sich um ein mögliches Zusammenleben von Menschen und Mesarthim. Der neue Handlungsstrang um die zwei Schwestern deutet an, dass das möglich sein könnte - allerdings ist da immer noch das Massaker. Und Minyas Hass, der Vergebung unmöglich macht. Ich finde es sehr spannend, wie die Autorin hier mit Vorurteilen, der Angst vor dem Unbekannten, lange währendem Hass und "das war schon immer so", mit dem Ausgrenzen von "den anderen" und so vielen weiteren Themen spielt, dass es mich unwillkürlich an heutige weltpolitische Themen denken lässt. Ob das beabsichtigt ist, kann ich nicht beurteilen. Der Effekt ist jedoch bemerkenswert.
Das Ende
Die Story entwickelt sich sehr authentisch weiter und es werden viele Fragen aufgegriffen, die ich mir beim Lesen der letzten Bände und auch dieses Teils selbst gestellt habe. Durch das abrupte Einführen des neuen Handlungsstrangs werden auch viele neue Fragen aufgeworfen, während gleichzeitig die Antworten auf andere Fragen angedeutet werden - so subtil, dass zum jetzigen Stand nichts anderes als Spekulationen möglich sind.
Ich bin begeistert von dieser Reihe und jeder weitere Band, den ich lese, lässt diese Begeisterung wachsen. Das Ende fand ich allerdings nicht so gut, wie ich oben schon erwähnt hatte. Durch den Schnitt, der in der deutschen Übersetzung platziert wurde, wirkt das Ende zu abrupt, zu unstimmig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man hier einen Band hätte enden lassen. Denn der Schnitt wird ja nicht dort platziert, wo es inhaltlich Sinn ergeben hätte (nämlich am jeweiligen Ende der zwei Originalbände, wo sie schon sind), sondern jeweils irgendwo in der Mitte, um vier etwa gleichlange Bücher zu bekommen. Dadurch werden Szenen unterbrochen und Handlungsstränge geteilt und das Gesamtpaket leidet meiner Ansicht nach sehr darunter. Diese Entscheidung des Verlags kann ich mir nur mit wirtschaftlichen Gründen erklären und ich hoffe, dass sie zukünftig nicht noch einmal diese Entscheidung treffen. Es tut dem Buch nicht gut.
Fazit
Ich freue mich riesig auf den letzten Band der Reihe. Werden meine Fragen beantwortet? Werden die losen Fäden zu einem schönen Gesamtbild zusammengefügt? Liege ich mit meinen Spekulationen richtig? Wie entwickelt sich Sarais und Lazlos Beziehung? Wie entwickeln sich Ruby, Sparrow und Feral - und was wird aus Minya? Wird es eine heile Familie für Sarai und Eril-Fane geben? Was wird aus der Statue, die am Himmel schwebt? Was aus den Menschen, mit denen Lazlo nach Weep gekommen ist? Und, das ist die Frage, die uns alle wohl am meisten interessiert: Wie lautet der eigentliche Name von Weep?