Es wird immer etwas geben, wovor man im Leben Angst hat, außer, man findet den Mut, die Augen zu öffnen.
Meinung:
Ich glaube, jeder von uns kennt den Ehrgeiz, alles alleine schaffen zu wollen, die Anforderung an sich selbst, jede Hürde meistern zu können. Avery ist dieses Verhalten ganz klar anzumerken, ...
Meinung:
Ich glaube, jeder von uns kennt den Ehrgeiz, alles alleine schaffen zu wollen, die Anforderung an sich selbst, jede Hürde meistern zu können. Avery ist dieses Verhalten ganz klar anzumerken, denn sie sträubt sich nicht nur gegen jegliche Hilfe, sondern bei ihr habe ich auch das Gefühl, dass sie eine derartige Bitte ihrerseits als Schwäche ansehen würde.
Nick widerspricht Averys selbst auferlegten Regeln, niemanden an sich heranzulassen und fordert stattdessen nicht nur ihre Ehrlichkeit, sondern auch ihr Vertrauen und beides kann man nur in Verbindung zueinander geben. Doch wer macht den ersten Schritt und kommt dieser aus freien Stücken?
Avery hat Nick nicht wirklich angelogen, als sie ihm anfangs über sich berichtet hat, sondern die Dinge lediglich sehr oberflächlich beschrieben, wodurch sie bewusst viel Interpretationsspielraum gelassen hat, allerdings hat sie ihn gerade damit auch manipuliert und eine falsche Fährte gelegt, die man wahrscheinlich doch als Lüge auslegen könnte. Nichts desto trotz kann ich ihre Entscheidung sehr gut nachvollziehen, denn wer bindet einem anfangs fremden Menschen schon alle Details auf die Nase?
Die Antwort scheint mit "Ja" einfach beantwortet, doch was, wenn die Angst trotz des schlechten Gewissens, welches sichtlich an Avery nagt, doch zu groß ist? Weil man sich nicht vorstellen kann, jemanden zu verlieren, der einem das Gefühl innerer Ruhe und Ausgeglichenheit schenkt, die man für immer verloren geglaubt hat? Würden wir uns an ihrer Stelle in der Lage sehen, alles aufzuklären, wenn diese Offenheit ein aus von allem bedeuten könnte und damit eventuell den eigenen Anker kappen, der einem davor bewahrt abzutreiben?
Was hier sehr schön herausgearbeitet und von Nick verdeutlicht wurde, ist die Macht der Kunst. Avery hat ein Abbild der Dinge gezeichnet, die sie vor Augen hatte, doch Kunst ist eine eigene Interpretation. "Abmalen" kann jeder, doch seine eigenen Gefühle mit etwas zu verschmelzen und diese hervorzuheben ist nochmal was ganz anderes. Für Avery lange Zeit ein Ding der Unmöglichkeit, denn zu fühlen würde bedeuten, sich zu erinnern, den Schmerz zuzulassen und das Geschehene zu verarbeiten und dazu gehört vor allem Ehrlichkeit. Nicht nur zu Nick, sondern auch sich selbst gegenüber.
Ein unbekannter Anrufer stellt Averys Versprechen von Ehrlichkeit an Nick unmittelbar auf eine harte Probe. Wer ist der Unbekannte und wie groß ist die Gefahr, die von ihm ausgeht?
Charaktere:
Averys Miene strahlt Selbstvertrauen aus und liegt wie eine unverrückbare Maske auf ihrem Gesicht. Schon vor langer Zeit hat sie gelernt, dass Hilfe nie umsonst ist und seinen Preis hat, egal, ob man ihn sieht oder nicht. Und gerade die Leute, die behaupten, sich die größten Sorgen um einen zu machen, können sich im Bruchteil einer Sekunde gegen einen wenden. Geprägt von diesen Erfahrungen, wahrt sie Nick gegenüber immer Distanz. Sich ihm gefühlsmäßig zu nähern ist ein Risiko, welches sie nicht bereit ist einzugehen, allerdings macht es ihr Nick nicht gerade einfach, an diesen Vorsätzen festzuhalten, denn in ihm vereint sich all das, was Avery sich immer gewünscht hat.
Nick hütet ebenso wie Avery Geheimnisse, die er unter Verschluss halten möchte. Er lässt nicht zu, dass andere Einblicke in sein Innerstes bekommen und versuchen sie es dennoch, lässt er denjenigen sofort fallen und verbannt diesen aus seinem Leben. Obwohl sich Avery Stück für Stück vorwagt und Fragen stellt, so verfährt er mit ihr ganz anders. Bei gewissen Themen setzt er eine eiserne und kühle Maske auf, die ihn schroff erscheinen lässt, doch auch er ist zu sehr von ihr fasziniert um einen Strich unter ihre Verbindung zu ziehen, die noch so viel mehr bereitzuhalten scheint.
Schreibstil:
Lara Adrian ermöglicht uns mit dem Start in die Geschichte direkt einen ehrlichen Blick auf den Gemütszustand unsere Protagonistin Avery - eine Mischung aus Angst, Hoffnung, Zuversicht und die gleichzeitige Hilflosigkeit - die mich gleich eine Verbindung zu der jungen Frau haben aufbauen lassen. Eine junge Frau, die trotz aller Hürden nicht den Mut verloren hat, für sich zu kämpfen. Sie verfolgt eine Auffassung, die ich bewundernswert finde: Sie möchte ihre Probleme selber bewältigen und nicht auf Hilfe anderer angewiesen sein. Ein hoher Anspruch, dem sie sich selber aussetzt und von Ehrgeiz zeugt, allerdings ist es keine Schande oder ein Zeichen von Schwäche, sich von Freunden oder Familie helfen zu lassen, zumal Avery ebenfalls jemand ist, der sofort alles stehen und liegen lässt um sich um ihre beste Freundin Tasha zu kümmern.
Die Autorin hat mit dem Kunstwerk "Schönheit" hier eine - wie ich finde - ganz besondere Symbolik geschaffen. Das Bild zeigt eine Frau, deren Körper sich in zahlreichen Glassplittern spiegelt. Eine Frau, die von ihrer Krankheit gezeichnet ist und die aufgrund ihrer erkennbaren Willenskraft und Stärke und trotz der durchschimmernden Angst in ihren Augen, eine Schönheit ausstrahlt, die eine Interpretation dieses Wortes zulässt, welche man wohl nie in Betracht gezogen hätte. Die Bruchstücke symbolisieren den inneren Aufruhr dieser Frau, während die Frau selbst nur eine Fassade erkennen lässt. Dieses Kunstwerk erlaubt uns, die Frau nicht nur äußerlich zu betrachten, sondern auch in ihr Innerstes zu blicken. Die bildhafte Beschreibung hat diese Wirkung für mich greifbar gemacht, so, als stünde ich selbst in der Galerie und würde dieses Bild auf mich wirken lassen.
Das Gefühl von Ruhe und Gelassenheit, welche Avery und Nick verspüren, wenn sie Zeit miteinander verbringen, nehmen beide lange Zeit gar nicht bewusst war, bis sie an den Punkt kommen, dass sich der Gedanke an eine Zeit ohne den anderen unvollständig anfühlt. Eine Symbolik, die mir sehr gut gefällt, denn wie oft im Leben habe ich selbst schon festgestellt, dass man erst realisiert, wie wichtig etwas oder jemand einem ist, wenn man ihn bereits verloren hat. Zu oft leben wir nur im Hier und Jetzt und übersehen die scheinbaren Kleinigkeiten, die für unsere Zukunft von großer Bedeutung sind und diese Wahrnehmung und Verlagerung der Umstände bekommen wir eindrucksvoll vor Augen geführt.
Lara Adrian gibt uns hier eine ganz wichtige Botschaft mit auf den Weg: Es wird immer etwas geben, wovor man im Leben Angst hat, außer, man findet den Mut, die Augen zu öffnen.
Ein wundervoller Reihenauftakt, dessen Fortsetzung ich voller Vorfreude entgegenfieber.