"Wir, im Fenster" erzählt die Geschichte von Linn und Leila, zwei Mädchen, die mehr als nur beste Freundinnen sind, sich im Strudel der Ereignisse aber verlieren. Ein zweiter, paralleler Handlungsstrang begleitet die erwachsene Linn bei ihrer Reise in die kindlichen Erinnerungen und den Wunsch, Leila wiederzusehen. So weit, so gut. Der Klappentext versprach außerdem noch den Aspekt des Settings: dem "rauen Berlin der Nachwendezeit" sowie "eindringliche Bilder". Beides konnte mich weder erreichen noch überzeugen.
Das begann schon damit, dass die beiden Handlungsstränge wild hin- und hersprangen, ohne trennende Elemente wie Kapitel, Seitenumbrüche oder Absätze. Zum überwiegenden Teil sind die Lesenden bei der jungen Linn, folgen ihr durch ihre Welt, plötzlich erzählt die erwachsene Linn weiter. Da ich nicht wirklich in die Geschichte eintauchen konnte (oder wollte, weil sie mir zu unangenehm war), brauchte ich teils etwas, bis ich die "Zeit" zuordnen konnte - zumal die Kombination Linn und Götz (ihr Vater, in jungen Jahren) und Linn und Georg (ihr Partner, in späteren Jahren) mich zusätzlich verwirrt hat.
Das "raue" Berlin ist das Viertel, in dem Linn, Leila, und die anderen Kinder der Nachbarschaft aufwachsen. Es ist schlicht und ergreifend ein "schlechtes" Viertel, die Kinder teilen sich den Spielplatz mit Junkies und ihren Überresten, in vielen Familien wird gestritten und wer-weiß-was, sprich: Harmonie sieht anders aus. Ob und inwieweit Linn und Leila das beeinflusst, sei dahingestellt. Sie (vor allem Linn) starten in die Pubertät, hängen mit ihrer Clique ab, spielen Flaschendrehen, rauchen erste Zigaretten, machen erste Schminkversuche - da waren durchaus einige Momente versteckt, die ich aus meiner eigenen Jugend wiedererkannt habe.
Eindringlich waren vor allem die Gerüche, Geschmäcker und Anblicke, die für mich eher in die Kategorie "unangenehm" fallen. Es riecht viel nach Schweiß, meist kindlich, es wird gerochen: an den Fusseln, die aus Zehennägeln gekratzt werden, an Fingern, die zwischen den Schenkeln liegen/lagen/kratzen. Es wird an Haaren geleckt und gelutscht, es werden auf- und blutig gekratzte Beine beobachtet, quaddlige Mückenstiche und vieles mehr. Es hängen Kotzekrümel in Haaren, es riecht abgestanden, es schmeckt sauer. Wie gesagt, alles sehr eindringlich, aber nicht wirklich schön, vor allem in der Menge.
Interessant angerissen, dann aber leider ins Leere laufend, fand ich den Aspekt der Gefühle der beiden Mädchen füreinander. Gerade am Anfang wird hier eine Beziehung angedeutet, die mehr als nur die üblichen "Doktorspielchen" bedeuten könnte, doch der Gedanke wird nicht konsequent weiter geführt. Zwar wird ein generelles Interesse von Linn an Frauen an anderer Stelle nochmals angedeutet, im "Jetzt" lebt sie aber hochschwanger von und mit ihrem Partner zusammen.
Ingesamt hatte ich mir irgendwie etwas komplett anderes von dem Buch versprochen. Lene Albrecht mag eine interessante Geschichte erdacht haben, für mich war die Umsetzung leider überhaupt nicht das Richtige. An vielen Stellen empfand ich die Schreibe als zu überzeichnet, zu gewollt literarisch, zu gezwungen metaphorisch, zu bemüht semi-philosphisch. Gut, ähnliches könnte man vielleicht auch einer anderen Debütantin des Jahres 2019, Helene Bukowski mit ihrem Roman Milchzähne, vorwerfen - aber dort hat mich die Stimmung eingefangen und stimmig durch den Roman geführt.
"Wir, im Fenster" konnte mich hingegen leider nicht berühren und hat mir schlussendlich einfach nicht gefallen. Irgendwie hat mich das Buch mit jeder weiteren Seite in eine unangenehme, genervte Grundstimmung geführt. Am Ende blieb nur die Erleichterung, es beendet zu haben - andere Lehren oder Erkenntnisse konnte ich nicht ziehen.