Die pralle, verrückte, wunderbare Fülle des Seins
Ihr kennt sie alle, diese Geschichten, die recht harmlos beginnen und enden wie ein Paukenschlag, einen auf die wunderbarste Art gebrochen zurück lassen. So ein Buch war Maddie Mortimers „Atlas unserer ...
Ihr kennt sie alle, diese Geschichten, die recht harmlos beginnen und enden wie ein Paukenschlag, einen auf die wunderbarste Art gebrochen zurück lassen. So ein Buch war Maddie Mortimers „Atlas unserer spektakulären Körper“ für mich. Hochgelobt von ziemlich ausnahmslos allen, dachte ich bis zur Mitte noch „ja, das ist schon gut, aber nun auch kein Highlight, kein Herzensbuch“, nur um am Ende festzustellen, dass es genau das geworden ist.
Wir lernen Anne kennen, ihre Tochter Lia und deren Tochter Iris - und den Krebs, der neugierig durch Lias Körper wandert, zärtlich jeden Winkel erkundet und sich langsam ausbreitet. Der Autorin ist hier etwas wirklich Außergewöhnliches geglückt. Sie hat einer fiesen Krankheit eine Stimme gegeben, die gar nicht so fies, sondern vergnügt und fast sympathisch ist, mit Sinn für Humor und unserem Wesen, unseren Zellen gar nicht unähnlich. Höchst poetisch und mit großer Fantasie und Lust am Fabulieren, am Experimentieren erweckt Mortimer dieses Schreckgespenst zum Leben, lässt Verletzungen und Kummer, Liebe und Glück, die pralle, verrückte, wunderbare Fülle des Seins über die Seiten und darüber hinaus bis direkt in mein Herz purzeln.
Ich denke an meine verstorbene Mutter, sehe meine zauberhaften Töchter, und ganz deutlich spüre ich diese intensive Verbindung zur Welt, zum Universum, die Schönheit des Augenblicks, des Lebens im Angesicht des Todes und bin seltsam tief getröstet.
„Und genau dort wollte ich Iris am Ende des Romans haben: Sie sitzt am Küchentisch, das Gesicht der Morgensonne zugewandt, und erlebt keine »große Offenbarung«, aber ihr wird die Chance gegeben, daran zu glauben, dass es sie gab, wie Woolf es so treffend formulierte: »kleine tägliche Wunder, Erleuchtungen, unerwartet im Dunkeln entzündete Hölzchen; hier war eines davon.«“