Mit ihrem Debütroman "Die honigsüßen Hände" hat mich Marion Johanning bereits vor zwei Jahren begeistern können.
Nun durfte ich ihren neuen Roman um die junge Lioba lesen, die bei ihrem Vater, der Stiefmutter und ihrem jüngeren Halbbruder Fiedi auf einem Bauernhof wohnt. Lioba liebt es im Wald nach Kräutern zu suchen. Ihre Mutter und Stiefgroßmutter, selbst kräuterkundige Frauen, haben ihr einiges an Heilkunde beigebracht. Eines Tages findet sie im Wald einen schwer verletzten jungen Mann, der augenscheinlich überfallen wurde. Er wird ins Dorf zum Pastor gebracht und Lioba behandelt heimlich seine Wunden. Der Mann überlebt, hat aber keinerlei Erinnerungen an sein früheres Leben. Der Pastor gibt ihm den Namen Thomans, da er am Tag des heiligen Thomas gefunden wurde. Da Lioba ihm das Leben gerettet hat, befiehlt die Gutsherrin ihn als Taglöhner am Bauernhof ihrer Eltern arbeiten zu lassen. Es ist die Zeit der Ernte und jede helfende Hand ist nützlich. Lioba und Thomas mögen sich, doch viel zu schnell wird seine wahre Identität herausgefunden. Thomas ist ein Ritter und heißt Otto von Linn. Er hat sich kurz vor dem Überfall für den Kreuzzug nach Jerusalem verpflichtet....
Der Aberglaube trägt zu dieser Zeit reichlich Blüten, die auch die katholische Kirche unterstützt. Die Menschen sehen in jedem Unwetter, jedem Mal auf der Haut oder in zu großer Schönheit oder Hässlichkeit das Werk des Teufels. So hat es auch Lioba nicht leicht, deren Mutter als Hexe von den Dörflern ertränkt wurde. Ihre Stiefmutter hasst sie ebenso, wie der Pastor. Ihr Vater ist zu schwach und geht den Weg des geringsten Widerstandes. Als Lioba ebenfalls als Hexe beschimpft wird, muss sie aus dem Dorf fliehen, um ihr Leben zu retten. Doch nicht nur die Dörfler trachten Lioba nach dem Leben....
Im zweiten Handlungsstrang erzählt die Autorin von Ottos Schicksal. Es ist das Jahr 1188 - die Zeit der ersten großen Kreuzzüge ins Heilige Land. Unter Kaiser Friedrich I., auch Barbarossa genannt, bricht auch Otto Richtung Jerusalem auf. Er hat ein Dekret unterschrieben, mit dem er sich für die Rückeroberung Jerusalems verpflichtet hat. Gemeinsam mit seinem Onkel und den beiden Vettern tritt er die Reise ins Ungewisse an. Hier hat die Autorin sehr gut recherchiert und viele Begebenheiten des dritten Kreuzzuges, die bekannt sind, in die Handlung einbezogen.
Die Liebesgeschichte steht in diesem Roman nicht wirklich im Vordergrund, vorallem deswegen, weil sich die Wege der Beiden sehr schnell trennen - und das für lange Zeit. Die Handlung ist dicht, der Roman spannend geschrieben und ich konnte ihn nur schwer aus der Hand legen. Erschüttert hat mich Liobas Schicksal, die den Anfeindungen aus dem Dorf und ihrer eigenen Familie ausgeliefert ist. Missgunst, Neid oder einfach Dummheit bringen das Mädchen immer wieder in Gefahr, genauso wie ihre Unschuld und Schönheit. Bis sie zu ihrer eigenen Stärke findet, dauert es einige Zeit.
Thomas oder Otto ist anfangs sehr sympathisch, verändert sich aber nachdem er sein Gedächtnis wiederfindet und auch während des Kreuzzuges. Das hat einige Sympathiepunkte gekostet.
Relindis, eine kräuterkundige Frau, auf die Lioba während des Romans trifft und Christina, ihre beste Freundin vom Nachbarhof, sind weitere sympathische Figuren, die für Lioba sehr wichtig sind.
Überraschende Wendungen ließen mich kurz nach Luft schnappen und hoben die Spannung. Besonders im letzten Drittel ist man völlig in der Geschichte gefangen, bis es zum finalen Showdown kommt.
Schreibstil:
Marion Johanning beschreibt ihre Figuren sehr detailreich und bildhaft. Sie sind wunderbar lebendig und ich konnte mit Lioba weinen und hoffen. Das mittelalterliche Ambiente und der Aberglaube der Menschen wird sehr eindrucksvoll geschildert. Der Schreibstil ist einnehmend und passt zur Zeit, die Geschichte kurzweilig.
Der Roman ist in vier Teile geteilt, die Kapitel haben eine angenehm Länge. Am Ende findet man ein Glossar zu den mittelalterlichen Begriffen.
Fazit:
Ein spannender historischer Roman mit einer sympathichen Protagonistin und überraschenden Wendungen. Der lebendige Schreibstil lässt einem in die Geschichte völlig eintauchen, die Seiten flogen nur so dahin. Diesen historischen Roman kann ich auf für Einsteiger in das Genre empfehlen!