Wenn aus lahmen Enten wilde Gänse werden....
Als Fan der ersten Stunde, die durch Zufall (oder auch durch 'vorablesen') Mick Herron mit seinen "Slow Horses", die Agententruppe des MI5, die es allesamt vermasselt haben und im 'Slow House' landeten ...
Als Fan der ersten Stunde, die durch Zufall (oder auch durch 'vorablesen') Mick Herron mit seinen "Slow Horses", die Agententruppe des MI5, die es allesamt vermasselt haben und im 'Slow House' landeten - auf unbestimmte Zeit (oder durch Eigenkündigung), bin ich auch vom nun vorliegenden 6. Band der Spionage-Krimireihe mehr als begeistert! Vielen Dank an dieser Stelle auch an Stefanie Schäfer, die auch Herron's (bzw. Jackson Lamb's "Frozzeleien" herrlich ins Deutsche übersetzt.
"Joe Country" von Mick Herron erschien im Diogenes-Verlag, Zürich (2023, Softcover, - hier mit hohem Wiedererkennungswert - , 476 Seiten. Inzwischen wurde Bd. 1 "Slow Horses" auch verfilmt und ist in Apple+ zu sehen.
Dieses Mal geleiten Erinnerungen (und keine guten) den Leser ins Slow House, in London-Finsbury, das einem faulen Zahn in einem schlechten Gebiss ähnelt; so heruntergekommen und verdreckt ist es dort. Hier agieren auf monotone Weise die "Abservierten" und es gibt ein Wiedersehen mit Jackson Lamb, der wiederum mit köstlichen Dialogen von seinen Slow Horses, die er dirigiert, gefürchtet wird, stets mit einem Verhalten glänzt, das an anderer Stelle unerträglich wäre: Dennoch hat Lamb, der seit Jahrzehnten dem MI5 angehört und bereits im Kalten Krieg eingesetzt war, Qualitäten, - im Gegensatz zu anderen auch menschliche, wie er im Falle Catherine zeigen sollte - die ihn hätten ganz nach oben bringen können. Wenn nicht alles schiefgelaufen wäre. Wenn nicht Lady Di (Diana Taverner) dort sitzen würde - und darüber sinnieren würde, wie sie ihn endgültig loswerden könnte...
Im Falle von Emma Flyte gelingt ihr dies (leider), die kurzerhand und unverschuldet ins Slow House "versetzt" wird - und daraufhin kündigt.
Ausser den bekannten Agenten (Catherine Standish, River Cartwright, Shirley Dander, Roddy Ho, Louisa Guy und J.K. Coe) gesellt sich hier ein weiterer hinzu, aus Gründen, die selbst dem IT-Genie Roderick Ho unergründlich bleiben, vom "Park" (Regent's Park, Sitz des MI5) ins Slow House 'verfrachtet': Lech Wicinsky, der lieber Alec genannt werden möchte und als Analytiker im Park etwas überprüft hat, das einigen Leuten weniger gefallen hat...
Was es damit auf sich hat, ist gar nicht weit hergeholt und unterstreicht, welche realistischen Ideen Mick Herron oftmals als Grundlage seiner Romane dienen.
Der alte O.B. (River's Großvater und eine Geheimdienstlegende) wird zu Grabe getragen und ein alter Ex-CIA-Spion, der Blut im Slow House hinterlassen hat , observiert die Trauergäste: Es wird nicht das letzte Mal sein, dass River hier auf ihn trifft (es ist sein Vater, der bereits lange auf kriminellen Abwegen wandelt). River sprintet über das Grab seines Großvaters (der ihn großzog), um Frank Harkness zu erwischen: Letzterer hat einen Auftrag angenommen, von dem noch niemand etwas weiß.
Louisa Guy trauert noch immer um Min Harper, als dessen Ex-Frau sich an sie wendet, da Lucas, der 17jährige Sohn, auf der Bildfläche verschwunden ist - und Clara Harper, nun Addison, sich große Sorgen macht. Louisa nimmt sich kurzerhand Urlaub und versucht, einiges herauszubekommen, wo Lucas sich aufhalten könnte. Eine große Hilfe ist wie immer Roddy Ho, der King des virtuellen Universums, der den Fitnesstracker von Lucas ausmachen kann: Die Spur führt nach Wales; ebenso wie die Spur des Ex-CIA-Agenten und dessen Helfershelfer: Wird es den Slow Horses - oder hier den "Lahmen Enten" gelingen, den Jungen zu finden? Was steckt dahinter, dass einige gut bezahlte Killer sich an dessen Fersen hefteten?
Meine Meinung:
Jede Seite dieses genialen, intelligenten und sehr stimmigen Spionagekrimis ist ein absoluter Lesegenuss: Inhaltlich wie sprachlich, da Mick Herron mit herrlichen Seitenhieben die heutige englische Gesellschaft und die weniger bekannten Aufgaben des MI5 (die nicht nur daraus bestehen, das Land zu beschützen) beschreibt, wobei eine hohe Sprachdichte, köstliche Dialoge, schwarzer Humor und Sarkasmus, die Atmosphäre sowohl im Slow House als auch im tief verschneiten Wales verbunden mit viel Spannung diese Reihe zu dem machen, was sie ist: Etwas ganz Besonderem!
Es gibt einige Rückblicke auf die Vorgängerbände, jedoch ist jeder einzelne Band der Reihe in sich abgeschlossen. Jeder Satz strotzt vor intelligenter und sprachlich gewitzter "Schnodderigkeit", was ich sehr mag - und auch zu den schrägen Figuren passt. Man empfindet Unmut bei Menschen wie Peter Judd, der wieder in die Politik zurückmöchte und fragwürdige Allianzen mit Lady Di, der Regentin des Parks schmieden möchte; bangt mit den Agenten, die in Wales allesamt ihr Leben riskieren, liest von finsteren internen Machenschaften von Personen, die über Leichen zu gehen bereit sind, um stets mit reiner Weste dazustehen. Hört vom "Fugue-Protokoll" des Parks, das Lady Di vorrangig dazu dienen soll, sich abzusichern.
Die letzten 60 Seiten bestehen aus sehr kurzen Abschnitten, die die Spannung in winterlicher Atmosphäre ins Unermessliche treiben und man im Showdown mit einigen der Agenten (River, Louisa, Emma und Coe); den "Joe Countrys", also Agenten im Außendienst, das Schlimmste befürchtet. Unter Einsatz ihres Lebens kämpfen sie um das Leben eines Jungen. Und erinnern hier eher an wilde Gänse als an "Lahme Enten", wenn auch nicht alle zurückkehren werden.
Am Ende hängen die ins Slow House Zurückgekehrten in der ein oder anderen Form ihren Erinnerungen nach, außer Roddy Ho, der im virtuellen Universum des MI5 auf Tauchgang geht - und Unglaubliches entdeckt!
Ich bin auf die nächste Folge (Band 7, im englischen gibt es bereits einige mehr) mehr als gespannt und hoffe, dass Lamb Lady Di einen gewaltigen Strich durch ihre (miese) Rechnung machen kann! Von mir eine absolute Leseempfehlung für Krimi- und Thrillerfans, die an dieser Reihe ihre helle Freude haben werden. Und das in jeglicher Hinsicht! 5* und: BUCHTIPP!