Erschreckende Erkenntnisse
Blutwertlüge – das klingt erstmal provokant, fast schon nach Verschwörungstheorie. Doch bereits im Vorwort zur Neuauflage dieses Buchs wird klar: Hier schreibt jemand, der harte Fakten gesammelt und zu ...
Blutwertlüge – das klingt erstmal provokant, fast schon nach Verschwörungstheorie. Doch bereits im Vorwort zur Neuauflage dieses Buchs wird klar: Hier schreibt jemand, der harte Fakten gesammelt und zu einem fesselnden und erschreckenden Bericht zusammengeschrieben hat. Miryam Muhm ist freie Journalistin, die sich auf medizinische und naturwissenschaftliche Themen spezialisiert hat und unter anderem für die Süddeutsche Zeitung schrieb. Für ihr Buch „Die Blutwertlüge“ hat sie sich durch hunderte von Studien gekämpft und insgesamt über 500 davon ausgewählt, die bestimmte Kriterien erfüllen mussten: So fielen beispielsweise diejenigen raus, bei denen Interessenskonflikte bestanden oder die der Pharmaindustrie nutzten, also „gekauft“ wurden, um bestimmte Ergebnisse zu liefern.
Allein diese Erkenntnis – dass viele Studien von den Pharmariesen in Auftrag gegeben werden, um ganz bestimmte Ergebnisse zu liefern – wäre ein eigenes (und sicher erschreckendes) Buch wert, bedenkt man die Konsequenzen (überteuerte und wenig effiziente Behandlungen mit Medikamenten, die im schlimmsten Fall noch gravierende Nebenwirkungen machen). Aber Miryam Muhm konzentriert sich auf eine ganz andere Schwachstelle der Medizin: die Laborbefunde.
Bis zu 70% der Diagnosen werden anhand von Laborbefunden erstellt, oft auch als einziges Diagnosekriterium. Doch in den zahlreichen Studien, die die Autorin ausgewertet hat, wird eine erschreckende Tatsache deutlich: Die Referenzwerte, die Menschen in „gesund“ und „krank“ unterteilen, sind vielfach viel zu weit gefasst und müssten deutlich enger gesetzt werden, um Krankheiten schon in einem früheren Stadium zu erkennen und entsprechende präventive Maßnahmen zu ergreifen. Hinzu kommt noch: Die in der Medizin als so feste und stabile Säule wahrgenommenen Blutwerte sind extrem fehleranfällig. Schon bei der Blutabnahme können so grobe (unabsichtliche!) Fehler passieren, die die Werte völlig verfälsche und damit unbrauchbar machen. Mehr noch: Sie können gesunde Menschen als „krank“ einstufen, so dass fahrlässig unnötige Medikamente verschrieben werden.
In den 12 Kapiteln des Buchs wird dann schnell deutlich, dass dieses Thema uns alle betrifft, denn es sind die in Deutschland mit am häufigsten auftretenden Krankheiten, die viel früher erkannt werden könnten, wenn die Referenzbereiche anders lägen: Diabetes, Osteoporose, Schilddrüsenunterfunktion, Burnout, Depression, Demenz usw. Miryam Muhm schließt sich deshalb den vielen Ärzten und Wissenschaftlern an, die die Missstände aufzeigen und für neue Referenzwerte plädieren, zumindest aber für einen sensibleren Umgang mit Laborbefunden und einer Diagnostik, die sich stärker auch auf andere Verfahren konzentriert und die vor allem anhand der Symptomatik geschieht, nicht anhand der Blutwerte.
Im Zuge ihrer Ausführungen wird noch eine weitere erschreckende Erkenntnis deutlich: Viele der oben genannten Krankheiten können durch einfache Gaben von Vitaminen und Mineralstoffen (deren unerkannter Mangel häufig die wahre Ursache für die Beschwerden sind!) nicht nur verhindert, sondern auch deutlich in ihrer Symptomatik gemildert bzw. sogar geheilt werden. Doch weil die zu weit gefassten Referenzwerte einen Mangel nicht erkennen lassen, werden stattdessen in einem viel späteren Stadium der Krankheit Medikamente verschrieben, die häufig nur der Pharmaindustrie das Geld in die Tasche spielen und den Patienten mit Nebenwirkungen zurücklassen.
Angesichts dieser großen Ungerechtigkeit und des großen Leids, das diese nicht anerkannten Tatsachen vor allem denjenigen Patienten antut, die bereits jahrelang mit ihren Beschwerden von einem Arzt zum nächsten rennen und sich von der Medizin im Stich gelassen fühlen, sollte dieses Buch meiner Meinung nach jeder Patient gelesen haben, der seine eigene Gesundheit in die Hand nehmen will. Leider ist der teils recht fachspezifische Schreibstil nichts für absolute Laien auf diesem Gebiet, aber wer sich in der Thematik bereits ein bisschen auskennt, dem liefert das Buch konstruktive Informationen und macht vor allem wieder Mut.