Sehr (!) hohes Anspruchsniveau, das Lesende (mich) überfordert
In "Antichristie" schickt Mithu Sanyal ihre Protagonistin Durga, eine indisch-deutsche Drehbuchautorin, auf eine verwirrende Reise durch Kolonialgeschichte und Gewaltfragen, die in eine unerwartete Zeitreise ...
In "Antichristie" schickt Mithu Sanyal ihre Protagonistin Durga, eine indisch-deutsche Drehbuchautorin, auf eine verwirrende Reise durch Kolonialgeschichte und Gewaltfragen, die in eine unerwartete Zeitreise mündet. Die Autorin, die auch als Kulturwissenschaftlerin und Journalistin tätig ist, hat sich mit Themen wie Sexualität und Verbrechen auseinandergesetzt und wurde für ihr Werk "Identitti" vielfach ausgezeichnet. Ihr neuester Roman ergründet Kolonialismus und die persönliche Verantwortung in einer ungerechten Welt.
Worum geht's genau?
In London im Jahr 2022 herrscht Trauer: Die Queen ist tot. Doch während das Land stillsteht, stürzt sich Durga, die Protagonistin, in ein filmisches Projekt, das die Werke Agatha Christies neu verfilmen soll. Kaum hat Durga ihre Gedanken in dieses Vorhaben investiert, wird sie ins Jahr 1906 zurück katapultiert, mitten in die hitzigen Debatten und Handlungen indischer Revolutionäre, die mit Gewalt für Freiheit kämpfen. In dieser ungewohnten Umgebung konfrontiert sie die Frage nach moralischem Widerstand und dem Gewicht historischer Verstrickungen.
Meine Meinung
Das Cover von "Antichristie" ist auffällig und hat mich sofort angesprochen, auch wenn der Klappentext zunächst nicht wirklich mein Interesse wecken konnte. Die Nominierung für den Deutschen Buchpreis 2024 hat mich dann aber doch neugierig gemacht, gerade auch weil ich noch nichts von ihr gelesen hab und ihr erstes Buch scheinbar recht gut ankam. Doch leider blieb es für mich beim Vorsatz: Ich musste das Buch nach etwa 100 Seiten abbrechen. Das lag an mehreren Aspekten, die es mir letztlich unmöglich machten, mich in die Geschichte hineinzufinden.
So setzt die Autorin bei den Lesenden sowohl ein großes intellektuelles Verständnis als auch umfangreiche historische Kenntnisse (zu britisch-indischer Kolonialgeschichte) voraus. Beides habe ich zumindest nicht im Maße, wie es für das Buch notwendig wäre, um es zu verstehen. Ich hatte oft das Gefühl, dass mir der geschichtliche Hintergrund zu einigen Themen fehlte. Ohne permanente Recherchen und Nachlesen wäre es mir nicht möglich gewesen, die Zusammenhänge wirklich zu verstehen, was den Lesefluss enorm stört und zeitintensiv ist. Zudem empfand ich den Aufbau des Romans als ausgesprochen verwirrend und strukturell schwer nachvollziehbar.
Ein weiterer Punkt war die Vielzahl der Charaktere, die schon zu Beginn auftauchen, ohne dass ich ein klares Bild von ihnen gewinnen konnte. Scheinbar gäbe es am Ende des Buches ein Glossar bei dem nochmal alle wichtigen Personen aufgelistet werden, vlt. hätte es geholfen, hätte ich davon gewusst. Die Figuren blieben für mich jedenfalls blass und ihre Beweggründe schwer greifbar, was das Eintauchen in die Geschichte erschwert. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass mir ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis fehlte.
So blieb mir nach den gelesenen Seiten vor allem Verwirrung. Es ist schade, denn Themen wie (britisch-indische) Kolonialgeschichte, deren Aufarbeitung und Erinnerungskultur finde ich prinzipiell sehr spannend und auch gesellschaftlich vor allem sehr wichtig. Doch bei aller Neugier auf die Handlung konnte ich keinen Gewinn für mich herausziehen und habe das Buch letztlich abgebrochen - es gibt einfach zu viele gute Bücher, als dass ich mich durch Bücher quälen möchte. Deshalb konnte ich mit gutem Gewissen auch abbrechen und AUCH wenn das bedeuten würde, eine vlt. doch noch spannende Geschichte verpasst zu haben.
Fazit
Leider hat mich "Antichristie" enttäuscht. Trotz der interessanten Thematik und eines ambitionierten Konzepts waren die verwirrende Struktur und der Anspruch an historische Kenntnisse hinderlich. Ich vergebe 1 von 5 Sternen, da zumindest ich aus den genannten Gründen keinen Zugang zum Buch gefunden habe und es mich letztlich eher frustriert als bereichert hat.