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Veröffentlicht am 16.05.2018

Prickelnde Hassliebe mit dem gemeinsten aller Bad Boys

Vicious Love
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„Vicious Love“ ist der Auftakt der „Sinners of Saint“ Reihe von L. J. Shen. In dieser Reihe geht es in jedem Teil um einen Jungen beziehungsweise Mann der „Four HotHoles“, eine Clique der All Saints Highschool. ...

„Vicious Love“ ist der Auftakt der „Sinners of Saint“ Reihe von L. J. Shen. In dieser Reihe geht es in jedem Teil um einen Jungen beziehungsweise Mann der „Four HotHoles“, eine Clique der All Saints Highschool. Was sie gemeinsam haben: Sie sind alle sehr attraktiv, Frauenhelden und unfassbar gemeine Typen, „***holes“.
Im ersten Teil geht es um Baron „Vicious“ (dt.: bösartig) Spencer. Zu Highschool-Zeiten tyrannisiert er die Tochter seiner Hausangestellten, Emilia, die auf seine Schule geht. Zehn Jahre nachdem er sie aus der Stadt vertrieben hat, leitet Vicious mit seinen Freunden ein erfolgreiches Unternehmen, während Emilia sich und ihre kranke Schwester gerade so über Wasser halten kann. Als Vicious und Emilia sich wiedertreffen, sind beide immer noch voller Hass, aber zugleich lieben sie sich auch. Eine ungesunde Kombination.

Das Buch ist im Wechsel aus den Perspektiven von Emilia und Vicious geschrieben. Zu Beginn gibt es außerdem einige Rückblenden in ihre Highschool-Zeit. Je weiter die Geschichte in der Gegenwart voranschreitet, desto seltener werden die Rückblenden. Das ist schade, weil man durch sie Stück für Stück erfährt, was sich damals ereignet hat. So steuert nicht nur die aktuelle Geschichte, sondern auch die damalige auf einen Höhepunkt zu. Der Verlauf der Handlung in der Gegenwart ist natürlich genre-bedingt recht vorhersehbar, aber dadurch, dass man immer mehr über die Vergangenheit, sowie über Vicious Gefühlswelt erfährt, bleibt die Geschichte noch relativ spannend.

Zu den Charakteren: Vicious macht seinem Spitznamen wirklich alle Ehre. Ich habe bereits einige Geschichten rund um Bad Boys gelesen und dieses Genre bietet auch sehr viele davon. Aber noch nie ist mir einer untergekommen, der wirklich so abscheulich gemein war. Gegen ihn wirken alle anderen Bad Boys harmlos, sie könnten von ihm noch etwas lernen. Natürlich merkt man irgendwann, dass der auch eine weiche Seite hat, aber diese liegt so tief unter der Oberfläche, dass es wirklich lange dauert, bis man als Leser auch nur ansatzweise verstehen kann, woher Emilias zwiespältige Gefühle für ihn kommen. Hier ist es der Autorin wirklich hervorragend gelungen, einen Charakter zu kreieren, der aus dem Meer von bösen Jungs heraussticht.

Emilia ist das komplette Gegenteil. Sie ist immer nett zu allen Menschen und kümmert sich fürsorglich um ihre kranke Schwester Rosie. Sie ist der Inbegriff von „aufopferungsvoll“ und bei ihr fällt es wiederum gar nicht schwer zu verstehen, warum man sich in sie verlieben kann. Trotzdem hat man nicht das Gefühl, als wäre hier das aufgebrauchte Schema „Gegensätze ziehen sich an“ verewigt. Ihre beiden Charakter sind so weit voneinander entfernt, dass man gar nicht glauben kann, sie könnten überhaupt nebeneinander existieren.

Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich mit der Liebesgeschichte nicht ganz warm geworden bin. Nach und nach verstehe ich Vicious Motive für sein Verhalten, aber dennoch gibt es kein Erlebnis wo ich beginne, mich in ihn zu verlieben. Emilias Liebe bleibt für mich unverständlich und es scheint wohl die Art Beziehung zu sein, die durch einen Blick oder eine ganz besondere Aura entsteht, die das Buch mir einfach nicht rüberbringen konnte. Das mag jetzt sehr vernichtend klingen, aber es ist einfach nur keine typische Liebesgeschichte für mich gewesen, was ich gar nicht so schlimm finde. Lediglich meine Erwartungen gingen eher in Richtung einer großen Romanze. Aber das, was Shen hier aufbietet ist vielleicht sehr viel näher an der Realität, als die gefühlvollen, schmachtenden Werke ihrer Kolleginnen.

Einen großen Minuspunkt gibt es für mich allerdings: das Finale. Das Ende ist einfach zu perfekt. Alle Träume und Wünsche gehen in Erfüllung und jedes Opfer, was gebracht wurde, wird wieder aufgehoben, sodass man gar nicht das Gefühl hat, jemand hätte wirklich etwas opfern müssen. Sogar einige Nebencharaktere kriegen ihr eigenes Happy End. Rund 30 (Ebook-)Seiten vor Ende habe ich mich schon gefragt, was da noch kommt. Vielleicht eine Leseprobe zu Teil zwei? Es gab einfach genügend Stellen, an denen die Autorin hätte aufhören können. Aber sie musste immer noch einen draufsetzen. Dies passt wiederum gar nicht zu der von mir zuvor angepriesenen unverklärten, dafür realistischeren Liebe.

Für dieses Ende ziehe ich einen Punkt ab. Es verbleibt ein echter Bad Boy mit vielen Geheimnissen und eine prickelnde Hassliebe zwischen den Protagonisten, die ich vielleicht nicht verstehen kann, die sich aber richtig und echt anfühlt. Somit komme ich zu 4 von 5 Sternen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Figuren
  • Gefühl
  • Geschichte
Veröffentlicht am 27.04.2018

Starke Protagonistinnen, Nebencharakteren fehlt etwas Tiefe

Iron Flowers – Die Rebellinnen
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„Iron Flowers – Die Rebellinnen“ ist der erste Teil der dystopischen Iron Flowers – Reihe von Tracy Banghart. Es geht um die beiden ungleichen Schwestern Nomi und Serina, die in dem Königreich Viridia ...

„Iron Flowers – Die Rebellinnen“ ist der erste Teil der dystopischen Iron Flowers – Reihe von Tracy Banghart. Es geht um die beiden ungleichen Schwestern Nomi und Serina, die in dem Königreich Viridia leben. Dort haben Frauen keinerlei Rechte. Beginnend mit dem Verbot lesen zu lernen bis zu dem absoluten Gehorsam gegenüber Männern, werden sie vollständig unterdrückt.
Der Regent des Landes - und jetzt nach ihm erstmals sein ältester Sohn und Thronfolger – wählt alle drei Jahre drei Frauen aus, um mit ihm im Palast zu leben, die sogenannten Graces. Serina reist als Anwärterin auf diese Position begleitet von Nomi in die Hauptstadt. Doch es kommt ganz anders und die Schwestern werden grausam getrennt. Es beginnt ein Kampf füreinander, für das eigene Leben und um die Rechte aller Frauen im Königreich.

Die Kapitel werden immer abwechselnd aus der Sicht von Nomi und Serina im personalen Erzählstil geschildert. Zu Beginn ist dies für den Leser sehr interessant, um die ganz verschiedenen Charaktere der beiden Schwester zu erkennen. Später ist es aber elementar wichtig, da nach der Trennung der beiden zwei vollkommen unterschiedliche Geschichten erzählt werden.

Beide Protagonistinnen machen im Laufe des Romans eine beeindruckende Entwicklung durch. Sie wachsen über sich hinaus, ohne dass es übertrieben wirkt. Besonders charmant daran ist, dass sie Eigenschaften entwickeln müssen, die nur die jeweils andere besitzt und die sie an dieser vorher zuweilen verteufelt haben. Diese Entwicklung mitzuerleben ist für den Leser sehr interessant. Ihre Sorgen und Probleme, sowie ihre Motive werden eingehend beleuchtet, sodass man sich mit beiden verbunden fühlt.

Dies trifft auf die Nebencharaktere leider nicht zu. Serina und Nomi beginnen jeweils ein völlig anderes Leben und treffen viele neue Menschen. Obwohl sie davon sprechen zu dieser oder jener Person eine Freundschaft aufzubauen, bleibt dies sehr plastisch. Der Leser fühlt diese Freundschaften nicht und kann somit auch seinerseits keine Verbindung zu diesen Personen aufnehmen. Die Konsequenz ist, dass man sie durch ihre Namen oder optische Auffälligkeiten unterscheidet, aber nicht durch die Gefühle, die man beim Lesen ihrer Namen empfindet. Hier ist leider sehr viel Potenzial liegengeblieben und ich hoffe, dass Tracy Banghart das im zweiten Teil wieder etwas wettmacht.

Die Geschichten der Mädchen sind jede auf ihre unterschiedliche Art sehr spannend. In der Mitte gab es eine kleine Länge, während der ich weder bei Serina noch bei Nomi weiterlesen wollte, aber im letzten Drittel wollte ich bei jedem neuen Kapitel lieber mehr von der anderen Schwester lesen. Das ist ein Gefühl, dass ein Buch mit wechselnden Perspektiven bei mir zwingend auslösen muss, um spannend und gut geschrieben zu sein. Da dies hier zum größten Teil der Fall war, sehe ich kaum Verbesserungsbedarf bei der Handlung.

Etwas schade ist, dass mir relativ früh klar, auf welche Wendung oder Plott Twist die Autorin hinarbeitet. Die von ihr angestrebte Überraschung blieb bei mir daher leider aus. Gelingt so eine Kehrtwende, ist das für mich immer ein ganz großer Pluspunkt für ein Buch. Wenn es umgekehrt aber nicht funktioniert, schlägt es nicht so negativ zu Buche, denn es ändert nichts daran, dass es für den Protagonist unerwartet ist und ihm den Boden unter den Füßen wegzureißen vermag. Daher ziehe ich für die Vorhersehbarkeit der Handlung nicht allzu viele Punkte ab.

Nach Lektüre des Klappentextes und der ersten paar Seiten habe ich zugegebenermaßen die Augen verdreht, musste ich - wie viele andere wohl auch – an die „Selection“ – Reihe von Kiera Cass denken. Ich war allerdings überrascht, wie schnell sich dieses Gefühl aufgelöst hat, denn die hier dargestellte Welt ist, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Palastes, sehr viel härter und düsterer. Daher möchte ich allen Interessierten, die Angst um diese Ähnlichkeit haben, sagen: Es ist nicht so. Angenehmerweise stehen auch Liebesbeziehungen eher im Hintergrund, sodass der Fokus hier – im Gegensatz zu Selection – von Anfang an vermehrt auf den Zuständen der Gesellschaft liegt.

Insgesamt liegt hier eine spannende Geschichte in einem tollen, dystopischen Setting vor. Für die etwas farblosen Nebencharaktere und Freundschaften muss ich aber einen ganzen Punkt abziehen, sodass ich zu 4 von 5 Sternen komme.
Ich freue mich schon sehr auf Teil zwei, denn es ist noch ganz viel inhaltlich zu klären und vielleicht versucht Tracy Banghart es ja noch mal mit einem Plott Twist und kann mich diesmal überraschen.

Veröffentlicht am 17.04.2018

Kein Vergleich zu ihren heutigen Thrillern

Sag niemals stirb
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„Sag niemals stirb“ (org.: „Never Say Die“) wurde zwar 2018 in einer neuen Auflage veröffentlicht, ist aber 1992 erstmals erschienen und somit eins der äußerst frühen Werke von Tess Gerritsen. Als großer ...

„Sag niemals stirb“ (org.: „Never Say Die“) wurde zwar 2018 in einer neuen Auflage veröffentlicht, ist aber 1992 erstmals erschienen und somit eins der äußerst frühen Werke von Tess Gerritsen. Als großer Fan ihrer Medical Thriller inklusive der Rizzoli & Isles Reihe, war ich sehr gespannt darauf, einmal einen Blick auf Gerritsens Anfänge zu werfen.

Wilone „Willy“ Maitland kommt nach Vietnam, um herauszufinden, was mit ihrem Vater geschah, der seit einem Flugzeugabsturz vor 20 Jahren als verschollen gilt. Guy Bernard, Paläontologe, der für die Regierung Überreste identifiziert, ist ebenfalls vor Ort, um den Verbleib des berüchtigten US-Piloten und Verräter Friar Tuck zu klären, der damals für die Vietnamesen flog. Während die beiden sich zusammenschließen, kommen Willy Zweifel, ob ihr Vater wirklich der Mann war, für den sie ihn hielt. Gleichzeitig ereignen sich zahlreiche Todesfällen unter den Personen, mit denen Willy und Guy für ihre Nachforschungen sprechen. Doch welche Organisation steckt dahinter und was dürfen die beiden nicht herausfinden?

Die Geschichte startet direkt sehr aufregend aus der Perspektive von Willys Vater zum Zeitpunkt des Flugzeugabsturzes. Es geht alles blitzschnell und der Leser kann selbst nicht sagen, ob er überlebt hat, oder nicht. Nach diesem Prolog wird die Geschichte in der 20 Jahre später angesiedelten Gegenwart erzählt. Dies geschieht überwiegend aus den Perspektiven von Guy und Willy. Die ersten paar Seiten sind hier etwas zäh, erfährt man zuerst nur etwas über die Motive der beiden und wie schwierig es für Willy ist, allgemein an Informationen zu kommen und insbesondere in Vietnam nicht vor verschlossenen Türen zu stehen. Da das Buch nur 300 Seiten umfasst, hätte ich mir hier einen etwas schnelleren Start gewünscht. Sobald es einmal losgeht, bleibt der Spannungsbogen allerdings hoch und die wichtigen Ereignisse reihen sich aneinander. Am Ende kann Gerritsen noch mit einer großen Überraschung aufwarten, die ich so nicht habe kommen sehen. Ich weiß nicht, ob ich den Roman als „Thriller“ oder auch nur „Krimi“ bezeichnen würde. Er ist zwar spannend geschrieben, aber die Bezeichnung „Abenteuerroman“, die ich bei anderen Lesern gesehen habe, finde ich sehr viel passender.

Nach einigen Kapiteln schwirrt dem Leser jedoch der Kopf vor lauter agierender (oder auch nur eventuell agierender) Organisationen, ihren Motiven und konkreten Anhängern. Es fällt schwer, „Gut“ und „Böse“ eindeutig zu trennen, was das Kriegsgeschehen aber vermutlich gut wiederspiegelt. Wie auch Willy traut der Leser niemandem und spätestens als die Morde beginnen, ist jeder verdächtig.

Sehr schade fand ich, dass Willy hier nicht die Rolle der starken Protagonistin einnimmt, die ich mir nach Lektüre des Klappentextes erhofft habe. Guy mit seiner Militärvergangenheit, den daraus resultierenden Kontakten und grundlegenden Sprachkenntnissen, ist natürlich prädestiniert dafür, die Nachforschungen voran zu treiben, aber sehr schnell läuft Willy einfach nur nebenher mit. Außerdem scheint sie alle Entwicklungen, sowohl ihren Vater als auch die Morde betreffend, so gut wegzustecken, dass es ihr etwas an Authentizität mangelt. Vielleicht wäre dies zu vermeiden gewesen, wenn sie einen größeren Anteil an dem Vorankommen der Geschichte gehabt hätte.

Was mich allerdings am meisten gestört hat, ist die eingebundene Liebesgeschichte. Diese ist nicht nur überflüssig, sondern auch kein bisschen authentisch. Willy hat – ganz nach Klischee – ein Problem Männern zu vertrauen. Guy hingegen – ebenfalls nach Drehbuch – hat eine dunkle Vergangenheit. Zunächst misstraut Willy ihm, was auch Sinn macht. Dann ereignet sich eine Begebenheit und von jetzt auf gleich weiß sie, dass sie ihm ihr Leben anvertrauen kann (indirektes Zitat!). Nicht nur, dass diese Reaktion überhaupt nicht zu dem stattgefunden Ereignis im Verhältnis steht, auch ist es absolut unglaubhaft und übertrieben, dass binnen einer Sekunde jegliche Vorbehalte entfallen. Natürlich ist es für die Geschichte sehr bequem.
Danach kämpfen die beiden nicht nur gegen Bösewichte, sondern auch gegen das sexuelle Verlangen, dass sie fortwährend umgibt, weil es falsch wäre, sich diesem hinzugeben. Warum es falsch wäre, ist dem Leser nicht einleuchtend.
Ich habe grundsätzlich nichts dagegen, wenn eine Liebesgeschichte in ein anderes Genre eingeflochten wird. Aufgrund des geringen Umfangs des Buches, verdrängt diese aber hier viel zu viel vom Hauptstrang der Geschichte. Außerdem reicht der Platz nicht aus, um die Story individuell und glaubwürdig zu machen, daher wäre es meiner Meinung nach besser gewesen, darauf zu verzichten.

Insgesamt hat mir die Grundidee gut gefallen. Das Thema ist unverbraucht und das Setting in Vietnam interessant. Nach einem gemächlichen Start liegt durchaus eine spannende Story vor, allerdings bei weitem nicht so ein Pageturner, wie man es heute von der Autorin kennt. Für den Charakter und die Verwendung von Willy, sowie die unnötige und klischeehafte Liebesgeschichte ziehe ich jeweils einen Punkt ab, sodass ich zu 3 von 5 Sternen komme.

Veröffentlicht am 06.04.2018

Spannend bis zum Schluss, Protagonistin zu perfekt

Die steinerne Schlange
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In „Die steinerne Schlange“ von Iny Lorentz geht es um die Germanin Gerhild, die mit ihrem Stamm vor dem Limes, der Grenze zum römischen Reich, lebt. Sie gelten als Freunde der Römer, doch diese wollen ...

In „Die steinerne Schlange“ von Iny Lorentz geht es um die Germanin Gerhild, die mit ihrem Stamm vor dem Limes, der Grenze zum römischen Reich, lebt. Sie gelten als Freunde der Römer, doch diese wollen mehr Land ihr Eigen nennen und der machtgierige Anführer der römischen Truppen, Quintus, will außerdem Gerhild als seine Geliebte. Sie widersetzt sich, aber nach dieser Blamage sinnt er auf Rache. Nicht nur die verstreuten germanischen Stämme kämpfen um ihr Bestehen gegen die römische Übermacht, auch Gerhild muss fortan auf der Hut vor ihrem neuen Feind sein.

Gut gefallen hat mir zunächst die Ausstattung: Im hinteren Teil des Buches befindet sich ein Personenverzeichnis, zum einen der handelnden, sowie aber auch der historischen Personen. Es gibt einen kleinen Glossar mit den wichtigsten Begriffen – für mich vor allem wichtig für die Bezeichnungen, der römischen Einheiten, um deren Größe einschätzen zu können. Zuletzt folgen noch eine Karte der Umgebung und ein Nachwort zum historischen Hintergrund. Letzteres ist mir in historischen Roman immer außerordentlich wichtig, um ein Gefühl dafür zu kriegen, ob es sich theoretisch tatsächlich so hätte abspielen können, wie in dem Roman geschildert. Auch über eine Karte freue mich immer sehr, vor allem, wenn – wie hier – einige Orte vorkommen, die viele Tagesreisen auseinander liegen. Diesmal fand ich die Karte allerdings außerordentlich unübersichtlich. Der Limes ist eingezeichnet, sowie haufenweise römische Kastelle, Flüsse und große Städte. So ziemlich keine der bezeichneten Ortschaften hatte für den Roman allerdings eine Bedeutung, während die vielen Schauplätze der Geschichte auf der Karte nicht zu finden sind. Der Sinn dessen hat sich mir noch nicht ganz erschlossen.

Die Geschichte wird im personalen Erzählstil geschildert. Dabei wechseln die Perspektiven zwischen Gerhild und Quintus, sowie einigen anderen Personen hin und her. Dass hier Perspektiven von beiden verfeindeten Lagern aufgegriffen werden, hilft dem Leser jederzeit zu wissen und zu verstehen, wer was plant und welche – nach außen eventuell geheimen – Motive derjenige hat. Außerdem fiebert man stets mit, ob Gerhild rechtzeitig an diese Informationen gelangt und die Situation zu ihren Gunsten wenden kann.

Bis zur letzten Seite empfand ich die Handlung als sehr spannend. Zuerst hatte ich mich davor gedrückt, diese über 600 Seiten zu beginnen, doch man kommt so schnell vorwärts, weil man immer begierig darauf ist, zu erfahren, wie es weitergeht. Dazu kommen recht kurze Kapitel, die zu mehreren Teilen mit schicksalsträchtigen Überschriften zusammengefasst sind. Kaum beginnt ein neuer Teil, verweist die Überschrift auf spannende Ereignisse, die bevorstehen, sodass man nicht anders kann, als weiterzulesen. Auch hier ist der Perspektivwechsel sehr gelungen, da sich der Leser stets dort befindet, wo etwas Interessantes passiert. Für mich hatte das Buch so gut wie keine Längen, auch wenn ich zum Teil lieber weiter bei Gerhild bleiben wollte, als das Geschehen an einem anderen Ort zu besuchen.

Gerhild ist leider auch mein ganz großes Kritikpunkt. Sie hat alles und kann alles. Sie ist klug, mutig, schön, kann sehr gut reiten, hat eine hervorragende Orientierung, wird im Handumdrehen zu einer ausgezeichneten Schwertkämpferin, die es mit mehreren Soldanten gleichzeitig aufnehmen kann (weil sie natürlich als kleines Kind mit ihrem Vater geübt hat), ist eine perfekte Anführerin, Jägerin, Bogenschützin mit außerordentlicher Treffsicherheit, kann beruhigen, motivieren und ist dabei auch noch selbstlos und jeder, ob Mann, Frau, Kind oder Greis, liebt sie. Sie hat außerdem ein hervorragendes, scheinbar stummes, Pferd, welches sie nie durch ein Schnauben oder Wiehern verrät, immer die richtigen Bewegungen macht und fast unverwundbar zu sein scheint. Außerdem gelangt sie in den Besitz des mächtigsten Schwertes (an sich ein sehr schöner Handlungsstrang, aber in Kombination mit allem anderen einfach zu viel) und ihr Vorrat an Pfeilen scheint unendlich. Es wird schnell deutlich: Sie ist einfach zu perfekt. Sie hat keine Ecken und Kanten und auch wenn sich der Leser ihrem Bann nicht entziehen kann, sie einfach sympathisch finden muss, macht sie das etwas langweilig.

Die eingewobene Liebesgeschichte war natürlich von Anfang an abzusehen, aber das schlägt für mich nicht so negativ ins Gewicht. Bei dem Autorenpaar ist es bekannt und man weiß, worauf man sich einlässt. Das Happy End ist garantiert und jeder, wirklich jeder, der „Guten“ findet doch am Ende eine Person zum heiraten und alt werden. Etwas kitschig, aber wie gesagt, ich wusste, worauf ich mich einlasse.

Insgesamt liegt also ein Roman vor, der trotz seines Umfangs mit einer durchweg spannenden Handlung überzeugen kann. Für die zu perfekte Protagonistin ziehe ich einen Punkt ab, sodass ich zu 4 von 5 Sternen komme.

Veröffentlicht am 29.03.2018

Zäher Start, grandioses Finale

The Woman in the Window - Was hat sie wirklich gesehen?
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„The Woman in the Window“ von A. J. Finn ist Doktor Anna Fox. Sie leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, die sich in schwerer Agoraphobie – Platzangst - manifestiert. Sie kann seit Monaten ...

„The Woman in the Window“ von A. J. Finn ist Doktor Anna Fox. Sie leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, die sich in schwerer Agoraphobie – Platzangst - manifestiert. Sie kann seit Monaten das Haus nicht verlassen, nimmt viele Medikamente zu sich und genauso viel Alkohol. Zudem leidet sie sehr unter der Trennung von ihrem Mann und ihrer Tochter. Ihre Tage verbringt sie vor allem damit, ihre Nachbarn zu beobachten. Besonders die neue Familie gegenüber weckt ihr Interesse. Als sie dort eines Abends einen Mord beobachtet, will sie zu Hilfe eilen. Doch nachdem ihre Phobie sie vor dem Haus in die Ohnmacht zwingt, glaubt ihr niemand, was sie gesehen hat. Halluzinationen unter Medikamenten und Drogen, oder ist doch etwas Wahres an ihren Beobachtungen?

A. J. Finn schreibt die Geschichte aus Annas Ich-Perspektive. Der Leser erlebt so direkt mit, wie Annas Krankheit ihre Gedanken bestimmt und ihr Leben beherrscht. Zu Beginn ist noch nicht klar, was die posttraumatische Belastungsstörung ausgelöst hat und erst nach und nach wird durch Rückblicke aufgelöst, was genau passiert ist. Die Beschreibungen ihrer Gefühle und Gedanken sind für den Leser beklemmend, doch man wird auch sehr neugierig, wie es zu all dem kam. Früh manifestiert sich eine Ahnung, aber einige Details bleiben lange im Verborgenen, sodass dieser Erzählstrang seine Anziehungskraft nicht verliert.

Allgemein sind die Kapitel sehr kurz gehalten, was das Lesen sehr angenehm macht, kann man doch eben ein paar Seiten lesen und findet dann wieder eine gute Stelle zum Pausieren. Gerade am Anfang war dies wichtig, denn dort entwickelt sich die Handlung eher langsam weiter. Natürlich möchte man wissen, was Anna passiert ist, aber der Mord und die Frage, ob er real ist oder nicht, spielt zu Beginn noch keine Rolle. Auch nach dem Ereignis kommt die Aufklärung zunächst schleppend voran. Zum Ende hin nimmt die Spannung dann allerdings rasant Fahrt auf. Es gibt einige ungeahnte Wendungen, die in einem grandiosen Finale enden, sodass die letzten 50 Seiten nur so dahinfliegen. Insgesamt hätten es aber ruhig circa 100 Seiten weniger sein können.

Einen zu großen Teil nimmt auch Annas Leidenschaft, die schwarz-weiß Thriller, ein. Für Fans dieses Genres sicherlich ein interessanter Zusatz. Es werden allerdings so viele Szenen, Details und Dialoge aus diesen Filmen wiedergegeben, dass es für Leser, die damit weniger anfangen können, zwischendurch etwas mühsam verläuft. Man ertappt sich dabei, diese Szenen flüchtiger zu lesen, was nicht der Sinn in einem Roman sein kann.

Besonders gut gefallen hat mir, dass am Ende des Buches alle offenen Fragen beantwortet werden. Es gibt keine losen Enden und die vormals unstimmigen Punkte und Ungewissheiten fügen sich zu einem logischen Ganzen zusammen. Das ist ein Anspruch, den nicht immer alle Bücher für mich erfüllen können. Bei dieser Geschichte denkt der Leser am Ende aber, dass alles zusammenpasst und kann die Buchdeckel zufrieden zuklappen.

Insgesamt eine hervorragende, wenn auch nicht neue, Idee mit unvorhersehbaren Ereignissen. Der Spannungshöhepunkt am Ende kann allerdings nicht vollständig über den langsamen Start und die teils zähe Mitte hinwegtrösten. Daher 4 von 5 Sternen.