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Veröffentlicht am 11.07.2021

Ein Hof im Wandel der Zeit

Wildtriebe
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Lisbeth ist eine echte Bethches. So heißen seit jeher die Frauen des Bethches-Hof, den es schon seit vielen Generationen gibt und der stets einer der angesehensten Höfe der Gegend war. Lisbeth hat den ...

Lisbeth ist eine echte Bethches. So heißen seit jeher die Frauen des Bethches-Hof, den es schon seit vielen Generationen gibt und der stets einer der angesehensten Höfe der Gegend war. Lisbeth hat den Hof schon früh übernehmen müssen und weiß daher, wie man anpackt, dreht sich doch ihr ganzes Leben um die Leitung des Hofes. Alles, was sie tut, tut sie genau so, wie sie es von ihrer Mutter und den anderen Frauen gelernt hat, und diese wiederum haben all das alte Wissen von ihren Müttern geerbt. So werden über Generationen und über die Jahre hinweg Traditionen bewahrt, bis Lisbeth im Alter eines Tages feststellen muss - irgendwie ist heute nichts mehr so, wie es früher mal war. Auf dem Hof gibt es längst nur noch einige wenige Tiere, auf dem Feld kommt statt dem von Pferd und Ochse gezogenen Pflug der Traktor zum Einsatz, und überhaupt steht die traditionelle Lebensweise ebenso auf wackligen Beinen wie die eigentlich doch gut funktionierende Rollenaufteilung zwischen Mann und Frau. Das merkt Lisbeth vor allem, als ihr Sohn mit Marlies eine Frau heiratet, die sich in ihren Augen so gar nicht in ebendiese ihr zugeschriebene Rolle einzufügen vermag.

Marlies hingegen leidet unter Lisbeth, die sie mit ihren Blicken immer zu verurteilen scheint, der sie es auch nach Jahren noch nicht recht machen kann, obwohl sie sich so viel Mühe gibt. Was kann sie denn dafür, dass sie ihrem Job in der Stadt hinterhertrauert, dass sie ihre Erfüllung einfach nicht im Kinderkriegen und Haushalt-Schmeißen sieht?

So treffen zwei Frauen aufeinander, grundverschieden, mit ihren ganz persönlichen, individuellen Sorgen, die doch zugleich ganz beispielhaft den typischen Konflikt zwischen Jung und Alt, zwischen Tradition und Wandel illustrieren.


Anfangs hat mir das Buch tatsächlich sehr gut gefallen, ich konnte mir den Hof problemlos vorstellen und habe mich auch sowohl Lisbeth als auch Marlies schnell verbunden gefühlt. Ute Mank gelingt es, sich nicht auf die eine oder andere Seite zu schlagen und dabei die jeweils andere als Ursache allen Übels darzustellen. Stattdessen werden die Standpunkte beider Frauen gut dargestellt: der von Marlies, die mit den festgefahrenen, teils rückständigen Ansichten Lisbeths zu kämpfen hat, und der Lisbeths, welche wiederum nicht verstehen kann, weshalb plötzlich ihre ganze Welt kopfsteht und Dinge, die sie schon so kennt seit sie denken kann, sich auf einmal ändern sollten.

Die Atmosphäre empfand ich als sehr gut eingefangen und den Alltag auf dem Hof mit allen anfallenden Aufgaben im Haus eindrücklich und sehr detailliert beschrieben.

Mit der Zeit hat mir die Handlung dann jedoch einfach zu sehr stagniert. Ich brauche in einem Buch nicht unbedingt große Action, es gibt auch viele sehr gute Bücher, in denen de facto kaum etwas passiert. Aber dieses hier tritt mir dann leider über weite Strecken doch etwas zu sehr auf der Stelle. Irgendwann hat man als Leser einfach begriffen, dass die Situation zwischen Marlies und Lisbeth angespannt ist, und auch, woran das liegt.

Was mich außerdem gestört hat, sind die vielen Ellipsen. An und für sich mochte ich den Schreibstil wirklich sehr, und mal hier und da ein ausgelassenes Wort wäre ja auch gar kein Problem. Aber irgendwie ist in "Wildtriebe" der Anteil an Sätzen ohne Verb überdurchschnittlich hoch. Nicht auf jeder Seite natürlich, vermutlich nicht mal auf jeder sechsten oder siebten, aber doch so, dass es auffällt. Meistens lässt sich ganz gut erschließen welches Verb da hingehört, aber - warum schreibt man es dann nicht einfach? Das ist mir unverständlich und hat mich mit der Zeit leider auch etwas genervt.


Insgesamt hat mir der Roman dennoch gut gefallen, einfach weil ich die Umsetzung so gelungen fand. Man wird nicht von vorneherein dazu gedrängt, sich auf die Seite von Lisbeth oder Marlies, Alt der Jung, Tradition oder Fortschritt zu stellen, sondern lernt die positiven und negativen Aspekte beider Sichtweisen kennen. Trotz einiger Längen habe ich das Lesen genießen können.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.06.2021

Ein ehrlicher Reisebericht

Happy Road
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Sarah, Pressereferentin im Bundestag, und Mathias, österreichischer Skilehrer, kennen sich eigentlich erst seit kurzem - und doch wagen sie sich gemeinsam an ein großes Abenteuer, das sie weit öfter als ...

Sarah, Pressereferentin im Bundestag, und Mathias, österreichischer Skilehrer, kennen sich eigentlich erst seit kurzem - und doch wagen sie sich gemeinsam an ein großes Abenteuer, das sie weit öfter als einmal auf die Probe stellen und an ihre Grenze bringen wird. In einem ausgebauten Campervan wollen sie quer durch Europa reisen, monatelang, nur mit dem Nötigsten ausgestattet.

Dabei fahren sie durch die osteuropäischen Länder über den Balkan nach Skandinavien bis ganz hinauf zum Nordkap. Wechselnde klimatische Bedingungen, ein etwas knapp kalkulierter Wassertank und die alltägliche Stellplatzsuche sind dabei wohl mit die größten Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen haben. Doch neben skurrilen Begegnungen und den wunderschönen Aussichten, mit denen sie belohnt werden, bringt das Leben auf drei Quadratmetern vor allem auch eines mit sich: Man lernt den Reisepartner auf jeden Fall gut kennen, gibt es doch kaum eine Möglichkeit, sich an schwierigen Tagen mal aus dem Weg zu gehen.

Von der Aufmachung her hat mir das Buch sehr gut gefallen. Es enthält eine Karte mit der groben Reiseroute, die Kapitel haben mit etwa 10 Seiten Länge einen angenehmen Umfang und beginnen jeweils mit einem großen Foto und einem Zitat. Der Schreibstil ist unterhaltsam und oft humorvoll, gleichzeitig wird aber auch ein Einblick in Szenen gegeben, die in vergleichbaren Reiseberichten oft ausgelassen werden oder zumindest doch sehr kurz kommen: Was macht man, wenn weit und breit keine Toilette auffindbar ist? Wenn man seit Ewigkeiten durch die Pampa fährt und nirgendwo die dringend notwendige Gelegenheit zum Trinkwasserauffüllen findet? Wenn es mal dicke Luft gibt oder jemand krank wird, sodass die Weiterreise auf dem Spiel steht?

Auch die Reiseruote an sich hat mich sehr angesprochen, wenn sie auch, wie sich im Laufe des Buches herausstellt, einige Schwierigkeiten mit sich bringt. Einziger Kritikpunkt: Ein paar Bilder mehr hätten es für meinen Geschmack sein dürfen, denn die Gegend, durch die gereist wird, ist ja mit das Spannendste an solchen Berichten.

Ansonsten habe ich das Lesen aber sehr genossen!

Veröffentlicht am 18.06.2021

Erwachsenwerden im Suffolk der 1930er

Vom Ende eines Sommers
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In den 1930er Jahren wächst die kleine Edith, auch Edie genannt, auf der Farm ihrer Eltern in Suffolk auf. Der Alltag der Familie ist geprägt von der Arbeit auf dem Feld, immer gibt es etwas zu tun, immer ...

In den 1930er Jahren wächst die kleine Edith, auch Edie genannt, auf der Farm ihrer Eltern in Suffolk auf. Der Alltag der Familie ist geprägt von der Arbeit auf dem Feld, immer gibt es etwas zu tun, immer gilt es, irgendwo mitanzupacken. Dabei verbringt Edie ihre Zeit viel lieber irgendwo in der Natur mit einem guten Buch in der Hand. Als dann eines Tages die Londonerin Constanze in dem kleinen Dörfchen auftaucht, änder sich vieles - für Edie, aber auch für alle anderen. Edie bewundert diese Frau, die in Männerkleidung herumläuft, den Einwohnern Fragen zu ihrem alltäglichen Leben stellt um darüber schreiben zu können, und die auch sonst so ganz anders ist als die Menschen, die Edie kennt. Doch das ist noch nicht alles, denn Constanze bringt neben ihrer Neugierde auch eine fragwürdige politische Meinung mit ins Dorf...

Ich fand das Buch insgesamt gut, sehe allerdings noch etwas Luft nach oben. Die Geschichte ist sehr ruhig erzählt, wer große Action oder Spannung erwartet, ist hier falsch, darauf kommt es hier auch gar nicht an. Aus der Sicht der etwa vierzehnjährigen Protagonistin erhält man einen Einblick in das Landleben zu jener Zeit. Edie berichtet von ihren Aufgaben und Pflichten, davon, was als Mädchen von ihr erwartet wird, aber auch, was ihr verboten ist. Das Bild der kleinen Familie, bestehend aus ihren Eltern, ihren Geschwistern und den Arbeitern, ist sehr authentisch und nachvollziehbar und Edie als Hauptfigur war mir sympathisch, wenn ich ihr Handeln auch nicht immer ganz verstanden habe und sie manchmal etwas sehr blauäugig durchs Leben geht.

Noch ausbaufähig fand ich zum Beispiel Constanze als Charakter, der Ansatz ist gut, allerdings hat mir hier irgendwie noch etwas gefehlt, ich fand sie nicht wirklich greifbar. Damit einhergehend hätte der Roman für mein Empfinden auch noch etwas mehr Tiefe gut vertragen. Dass Connie eine eher antisemitische Haltung vertritt, wird zwar durchaus angesprochen, bis auf wenige Stellen wird dies aber gar nicht so deutlich, und wie die verschiedenen Dorfbewohner zu diesen Ansichten stehen hätte auch noch deutlich vertieft werden können. Dementsprechend bleibt das Thema Antisemitismus eher oberflächlich behandelt, was ich schade finde, weil ich denke, dass es sich gut in den Roman hätte einfügen können, noch näher darauf einzugehen. Bei einem anderen Thema, das ich hier nicht nennen möchte um nichts vorwegzunehmen, hätte ich mir sogar noch mehr einige zusätzliche Details gewünscht.

Fazit: Ein ruhiges, schön erzähltes und auch etwas trauriges Buch übers Erwachsenwerden zu einer Zeit großer politischer Umwälzungen, von dem ich mir jedoch etwas mehr Tiefe gewünscht hätte!

Veröffentlicht am 11.06.2021

Wirkt extrem konstruiert und bleibt zu oberflächlich

Nelkenblatt
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Elsa wird bald sterben. Um sie rund um die Uhr umsorgen zu können, stellt ihre Tochter die junge Migrantin Pina als Pflegekraft ein. Pina musste aus politischen Gründen aus ihrer Heimat fliehen und wagt ...

Elsa wird bald sterben. Um sie rund um die Uhr umsorgen zu können, stellt ihre Tochter die junge Migrantin Pina als Pflegekraft ein. Pina musste aus politischen Gründen aus ihrer Heimat fliehen und wagt nun einen Neuanfang. Die beiden Frauen verstehen sich trotz all ihrer Verschiedenheit gut und erzählen sich viele Geschichten aus ihrem jeweiligen Leben.

Das Buch lässt mich zwiegespalten zurück. Eigentlich wollte ich diese Geschichte mögen, allerdings kam ich mit dem Schreibstil nicht wirklich zurecht. Ein Großteil des Buches besteht aus Gesprächen zwischen Pina und Elsa, was vollkommen in Ordnung wäre, würden diese nicht so unfassbar gestelzt und konstruiert auf mich wirken. Selten hat es sich beim Lesen für mich so angefühlt, als könnte eine solche Unterhaltung tatsächlich so stattfinden, meist wirkte es auf mich viel zu absichtlich genau so konzipiert. Darunter leiden für mein Empfinden auch die Charaktere, zu denen ich nicht wirklich eine Bindung aufbauen konnte und die mir merkwürdig fremd blieben, obwohl mich gerade Pinas Vergangenheit eigentlich sehr interessiert hat. Dazu kommt auch noch, dass mir die Sprache an vielen Stellen zu abstrakt war (etwa wenn vollkommen ernsthaft gefragt wird, ob Granatapfelbäume lachen können, und das dann ebenso ernsthaft bejaht wird; oder, wenn der Dunst über den Bergspitzen plötzlich Rumi zitiert), sodass mir bei einigen Abschnitten wirklich einfach nicht klargeworden ist, was mir das jetzt sagen soll.

Die Rüchblenden auf die Vergangenheit der beiden Frauen blieben mir zu oberflächlich, die angedeuteten Themen wie etwa Gleichstellung von Mann und Frau werden nicht weiter ausgeführt, wodurch zur Abstraktheit des Textes leider auch immer mehr das Gefühl von Belanglosikeit kam.

Man lernt die Protagonistinnen nicht richtig kennen, obwohl sich viel unterhalten wird mangelt es dabei an Tiefe; dazu die Schwierigkeiten, die ich mit dem Schreibstil hatte, das macht dann am Ende leider nur noch 2 Sterne. Schade, ich hatte mir mehr erhofft!

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Veröffentlicht am 11.06.2021

Ein ruhiger, atmosphärischer Roman nach einer wahren Begebenheit

Derborence
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Derborence, das ist ein kleines Tal in den Waadtländer Alpen. Hierhin ziehen die Männer der umgebenden Dörfer jedes Jahr im Sommer mit ihren Kühen und Ziegen und bleiben einige Monate dort. Eigentlich, ...

Derborence, das ist ein kleines Tal in den Waadtländer Alpen. Hierhin ziehen die Männer der umgebenden Dörfer jedes Jahr im Sommer mit ihren Kühen und Ziegen und bleiben einige Monate dort. Eigentlich, denn dieses Jahr wird ihnen der Aufenthalt schon nach wenigen Tagen zum Verhängnis, als sich große Teile eines Berges lösen und ins Tal hinabstürzen. Auf seinem Weg begräbt der Fels nicht nur Bäume und Bäche unter sich, sondern auch die Hütten der Männer und ihre Tiere.

Im Mittelpunkt steht der junge Antoine, der erst vor kurzem Thérèse geheiratet hat und nun vor Sehnsucht nach ihr kaum auf der Alm ausharren kann. Auch er wird, wie die anderen knapp 20 Männer, unter den Bergmassen begraben, überlebt jedoch in einem kleinen Hohlraum. Seine Frau Thérèse weiß davon nichts, überhaupt hält man das laute Knacken und Donnern, das sich mitten in der Nacht im Dorf vernehmen lässt, erst für ein Gewitter und wundert sich, dass der Sternenhimmel so klar ist. Als sich am nächsten Tag das Unglück erahnen lässt, das hier geschehen ist, ist man entsetzt von der gnadenlosen Macht der Natur, die so viele Menschen das Leben gekostet hat - denn dass es keine Überlebenden geben kann, darin ist man sich sicher. Bei Antoine selbst machen sich die Folgen des Ereinisses nicht nur körperlich bemerkbar. Er hat Schwierigkeiten, sich an das Geschehene zu erinnern, sieben Wochen sind wie ausgelöscht aus seinem Gedächtnis.

In den Schreibstil musste ich mich anfangs erst einfühlen, denn er ist stellenweise recht assoziativ, erinnert in einzelnen Passagen beinahe an einen Bewusstseinsstrom und ist sicher nicht jedermanns Sache. Nach einigen Kapiteln empfand ich ihn dann aber als sehr gut zur Stimmung passend.

Die drohende Gefahr im Kontrast zur Idylle der Landschaft, die Verzweiflung und der Schmerz der Menschen, ihre Ohnmacht und die Angst davor, dass hier der Teufel seine Hand im Spiel hat - all diese Gefühle fängt der Autor eindrucksvoll ein und so ist es vor allem die Atmosphäre, von der dieses Buch lebt.

Ich habe diesen auf einer wahren Begebenheit beruhenden Roman am Stück gelesen - so sehr war ich nach wenigen Seiten von der Atmosphäre in den Bann gezogen. Ein starkes Buch, das ich gerne weiterempfehle!