Vom gefeierten Schauspieler zum verehrten Widerstandskämpfer
Linges MissionREZENSION – Bereits vor drei Jahren erschien in Norwegen der Roman „Flammer og regn“ des Schriftstellers Øystein Wiik (68), den der Pendragon Verlag erst jetzt in der gelungenen Übersetzung von Maike Dörries ...
REZENSION – Bereits vor drei Jahren erschien in Norwegen der Roman „Flammer og regn“ des Schriftstellers Øystein Wiik (68), den der Pendragon Verlag erst jetzt in der gelungenen Übersetzung von Maike Dörries und Günther Frauenlob unter dem Titel „Linges Mission“ veröffentlichte. Hauptfigur ist der Schauspieler und Kompanie-Chef Martin Linge (1894-1941), der in Deutschland zwar eher unbekannt, in seiner norwegischen Heimat aber seit seinem frühen Tod beim Kampfeinsatz am 27. Dezember 1941 als Widerstandskämpfer und Kriegsheld verehrt wird.
Nach dem deutschen Überfall auf Norwegen im April 1940 meldete sich Reserve-Leutnant Martin Linge freiwillig zum Kriegsdienst. Nach der Landung britischer Truppen in dem noch unbesetzten Teil Norwegens wurde Linge als Verbindungsoffizier seines Regiments eingesetzt. Nach schwerer Verwundung bei einem deutschen Luftangriff wurde er ins Lazarett nach Großbritannien verlegt. Kaum entlassen, schlug er dem britischen Kriegsministerium vor, mit einer von ihm zu bildenden Partisanentruppe in Norwegen gegen die Deutschen zu kämpfen. Im August 1940 begann er, in Norwegen junge Männer zu rekrutieren, die in England ab März 1941 als Norwegian Independent Company 1 unter britischem Oberkommando für den Kriegseinsatz trainiert wurden. Nach erstem Einsatz auf den Lofoten (Operation Claymore) kam es am 27. Dezember 1941 zu einem Großangriff der britischen Kriegsmarine mit Linges Kompanie in Måløy (Operation Archery). Bei diesem Einsatz wurde der charismatische Partisanenführer erschossen. Die von ihm aufgebaute Truppe wurde ihm zu Ehren in „Kompanie Linge“ umbenannt.
Diese Fakten bilden die Grundlage zu Øystein Wiiks historisch interessanten und spannenden Roman, der 50 Jahre später (1991) beginnt: Bjørn Sjøvåg, ein 1941 noch minderjähriges [fiktives] Mitglied in Linges Partisanentruppe, soll als damaliger Augenzeuge das Osloer Theater bei den Proben eines neuen Theaterstücks über Martin Linges Heldentaten beraten. Während der gemeinsamen Arbeit mit Linges Londoner Geliebten Rosemary Reed verarbeitet Sjøvåg zugleich sein schweres Trauma, das er bei Linges Tod erlitten hatte.
In geschickter Verbindung der historischen Fakten mit fiktiven Elementen sowie der komplexen Charakterisierung seiner Figuren gelingt es dem Autor, die Arbeit Martin Linges beim Aufbau seiner Partisanentruppe sowie deren aktiven Kriegseinsatz lebendig werden zu lassen. Einen wesentlichen Beitrag haben dabei historisch reale Personen wie Trygve Lie, Außenminister der norwegischen Exilregierung in London, oder die britischen Offiziere John Durnford-Slater und Jack Churchill, der martialisch mit Langbogen und Breitschwert kämpfende „Mad Jack“.
Doch „Linges Mission“ ist weit mehr als ein Spionage- oder aktionsreicher Kriegsroman. Denn ausführlich geht der Autor auch auf das politisch schwierige Verhältnis der norwegischen Exilregierung zu ihren britischen Gastgebern und dem britischen Kriegsministerium ein. Ungeachtet norwegischer Interessen und ohne Rücksicht auf die Bewohner Norwegens greift Großbritannien das von Deutschen besetzte Land an. Wiederholt versucht Außenminister Trygve Lie, den unter britischem Kommando stehenden Martin Linge als Informanten zugewinnen. Linge lehnt ab, hat er doch selbst als von Winston Churchill bevorzugter Ausländer schon genug Probleme mit den gegen ihn gerichteten Intrigen mancher britischer Offiziere.
Den kapitelweisen Zeitenwechsel zwischen den Kriegsjahren 1940/1941 und der 50 Jahre späteren Rückschau nutzt der norwegische Autor, um das Handeln des im Land verehrten Kriegshelden moralisch zu hinterfragen. So ließ Linge seine Geliebte trotz gegenteiliger Versprechen in London zurück, um an der Spitze seiner Truppe zu kämpfen. War sein rücksichtslos scheinender Antrieb tatsächlich echte Vaterlandsliebe und heldenhafte Opferbereitschaft? Oder doch nur zügelloser Männlichkeitswahn und blindwütige Kampfeslust?
Der Autor setzt in „Linges Mission“ historische Kenntnis über den Zweiten Weltkrieg in Norwegen voraus. Doch ist diese Wissenslücke durch kurzes Studium anderer Quellen erst einmal überwunden, liest sich der Roman als spannendes Stück Zeitgeschichte, das vielleicht gerade deshalb interessant ist, weil es uns Deutschen eben nicht so geläufig ist.