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Veröffentlicht am 24.03.2019

Muschelglück

Honigduft und Meeresbrise (Neuauflage)
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Nachdem ihre beste Freundin Mona durch einen Unfall ums Leben kam und auch ihr Opa verstarb, ist die Webdesignerin Anna in ein Loch gefallen. Sie nimmt sich zwei Wochen Urlaub, um ihren gewohnten Lebensraum, ...

Nachdem ihre beste Freundin Mona durch einen Unfall ums Leben kam und auch ihr Opa verstarb, ist die Webdesignerin Anna in ein Loch gefallen. Sie nimmt sich zwei Wochen Urlaub, um ihren gewohnten Lebensraum, den sie mit Freund Jens in Dortmund teilt, mit Lüdinghausen zu tauschen, wo ihre Oma lebt und sich als Imkerin betätigt. Diese Auszeit hat Anna auch bitter nötig, denn die Beziehung zu Jens ist nicht mehr das Gelbe vom Ei und so richtig zufrieden ist sie mit ihrem Leben auch nicht. Als Oma Johanna einen Brief überbracht bekommt, der 80 Jahre mit der Post unterwegs war und eigentlich an Annas Uroma Martha adressiert ist, wird Anna neugierig. Was hat ihre Uroma in Ahrenshoop gemacht? Auch Johanna weiß nichts von den damaligen Geschichten, so reisen die beiden für einige Tage an die Ostsee, um der Sache auf den Grund zu gehen. Dabei erfahren sie nicht nur völlig neue Dinge über ihre eigene Familie, sondern Anna trifft auch einige Entscheidungen für ihre Zukunft…
Anne Barns hat mit ihrem neuen Buch „Honigduft und Meeresbrise“ wieder einmal ein absolutes Wohlfühlbuch hingelegt. Der Schreibstil ist flüssig, gefühlvoll, hat einen tollen unterschwelligen Humor und ist bildgewaltig. Der Leser taucht mit den ersten Silben direkt in die Handlung ein und klebt sich wie ein siamesischer Zwilling an Annas Seite, deren Gedanken- und Gefühlswelt jederzeit ein offenes Buch sind. Annas Trauer ist gut nachvollziehbar, denn sie muss gerade Abschied von vielen geliebten Menschen nehmen, die ihr Leben auf die eine oder andere Art geprägt haben. Das Schwelgen in Erinnerungen ist dabei ebenso wichtig wie Offenheit gegenüber neuen Bekanntschaften. Alte Zöpfe werden abgeschnitten, so dass neue wachsen können. Die Autorin hält die Handlung durch überraschende Wendungen immer wieder aufs Neue lebendig und lässt den Leser gleichzeitig miträtseln, was die Auflösung des Familiengeheimnisses betrifft. Wunderbar gelungen sind die Landschaftsbeschreibungen mit dem Haus an der Ostsee, das tolle Bilder in den Kopf zaubert. Und die Gemälde, die Oma Johanna von sich hat machen lassen, treiben einem die Lachtränen in die Augen. Aber auch die Arbeit mit den Bienen und die Gewinnung des Honigs sind sehr interessant beschrieben, aus ihm werden Köstlichkeiten gezaubert, die einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Die tollen Rezepte findet man am Ende des Buches zum Ausprobieren – toll!
Die Protagonisten sind liebevoll erschaffen und mit Herz und Seele ausstaffiert. Sie glänzen mit ihren individuellen Eigenschaften und schleichen sich still und leise immer mehr in das Leserherz, so dass der Abschied am Ende richtig schwer fällt. Anna ist eine patente Frau, mit der man sich sofort wohl fühlt. Sie ist selbstbewusst, ehrlich, hilfsbereit und offen. Sie hat ein inniges Verhältnis zu Oma Johanna, es wirkt fast so, als wäre sie ihr Elternersatz, da sich Vater und Mutter getrennt haben. Johanna ist eine tolle ältere Dame, sie besitzt Witz und Schlagfertigkeit, ist unternehmungslustig, ebenso umtriebig und hat ein großes Herz. Monas Freund Tom ist Lehrer und ein alter Freund von Anna. Er ist ein liebenswerter Mann. Peggy ist eine alte Freundin aus der Vergangenheit, die Anna eine gute Stütze ist und gleichzeitig Hilfe benötigt. Auch Jens und Josephine tragen dazu bei, dass die Geschichte immer in Bewegung bleibt und sehr kurzweilig ist.
„Honigduft und Meeresbrise“ ist ein durch und durch wunderschöner Roman über die Familie, Trauer, die Liebe, die Freundschaft und neue Chancen. Herrlich erzählt mit einem wunderbaren Kopfkino während der Lektüre. Besser kann man sich eine absolute Leseempfehlung nicht verdienen - Chapeau!

Veröffentlicht am 24.03.2019

Abenteuerlicher Neuanfang im 18. Jahrhundert

Das Haus hinter den Magnolienblüten
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1792. Nachdem ihre Eltern gestorben sind, macht sich Kiera Young mit ihren jüngeren Schwestern Amelia und Megan von Irland auf die Reise nach Amerika, dort soll sie sich mit Pierre Le Bonne verheiraten, ...

1792. Nachdem ihre Eltern gestorben sind, macht sich Kiera Young mit ihren jüngeren Schwestern Amelia und Megan von Irland auf die Reise nach Amerika, dort soll sie sich mit Pierre Le Bonne verheiraten, wie es ihr Schwager George arrangiert hat. Doch schon bei ihrer Ankunft in Natchez muss Kiera feststellen, dass Le Bonne ein Bordell betreibt und die drei jungen Frauen schon dafür eingeplant hat. Da kommt ihnen der Ire Quinn O’Shea zur Hilfe, der mit seinen beiden jüngeren Brüdern ebenfalls die Überfahrt von Irland angetreten ist, um den ihren ältesten Bruder Connor auf dessen Plantage Breeze Hill zu besuchen. Kiera und ihre Schwestern nimmt er einfach mit dorthin, um sie vor Le Bonne in Sicherheit zu bringen, doch dieser lässt sich so schnell nichts wegnehmen und macht sich auf den Weg, sich sein Eigentum zurückzuholen…
Pam Hillman hat mit ihrem Buch „Das Haus hinter den Magnolienblüten“ einen spannenden historischen Roman vorgelegt. Der flüssige und bildhafte Schreibstil fesselt den Leser ab der ersten Zeile und lässt ihn gedanklich in das 18. Jahrhundert zurückreisen, um dort an der Seite von Kiera und Quinn eine aufregende Reise von Irland nach Amerika zurückzulegen und dort einige abenteuerliche Ereignisse mit ihnen gemeinsam zu erleben. Die Lektüre gleicht einem Kinofilm, denn die Erzählweise ist so lebendig, dass man als Leser das Gefühl hat, alles direkt vor Augen zu sehen. Die Autorin schneidet in ihrer Geschichte gleich mehrere Themen an, da geht es nicht nur um eine zur damaligen Zeit noch gefährliche Überfahrt per Schiff, sondern auch um den Verkauf von Menschen, die ihr Ticket nicht bezahlen können und dafür in die Sklaverei rutschen, um so ihre Schulden für viele Jahre abzuarbeiten. Der Anfang eines neuen Lebens wurde vielen damals fast unmöglich gemacht. Die örtlichen Beschreibungen sind farbenfroh und lassen die Plantage vor dem inneren Auge des Lesers erscheinen. Ebenso gibt die Autorin ein schönes Abbild von den Lebensumständen und gesellschaftlichen Normen der damaligen Zeit. Der Spannungspegel ist in dieser Geschichte durchgängig sehr hoch, die Autorin steigert diese immer wieder durch überraschende Wendungen.
Der christliche Aspekt ist in diesem Buch durch viele Bibelzitate vertreten, die immer wunderbar zur jeweiligen Situation passen, dem Leser aber auch die Möglichkeit zum Nachdenken geben. Glauben und Hoffen sind in dieser Geschichte ebenso wichtig wie das Vertrauen in Gott. Dabei wirkt alles sehr natürlich und nicht aufdoktriniert.
Die Charaktere sind liebevoll und detailliert ausgearbeitet und bestechen durch Individuelle Eigenschaften und Authentizität. Dem Leser wird ein bunter Strauß an verschiedenen Protagonisten geboten, so dass er seine Sympathien gerecht verteilen, sich in sie hineinversetzen und mit ihnen fühlen, hoffen und bangen kann. Kiera hat in ihrem jungen Alter schon eine große Verantwortung, sich um ihre jüngeren Schwestern zu kümmern. Sie ist mutig, stark, offen, ehrlich und sich für keine harte Arbeit zu schade. Aufgrund ihres einnehmenden Wesens und ihrer Hilfsbereitschaft gewinnt sie die Herzen schnell für sich. Quinn ist ein rechtschaffender Mann, der Unrecht nicht ausstehen kann. Er hat eine beschützende Art und nimmt seine Verantwortung sehr ernst. Le Bonne ist ein widerlicher Kerl, der nur auf seinen Profit aus ist und dafür über Leichen geht. Amelie ist eine kleine Egoistin, die nicht nachdenkt, sondern nur ihren Willen durchsetzen will. Caruthers ist ein Mann, der viele Schicksalsschläge einstecken musste. Er ist so gebrochen, dass ihm alles egal ist, auch, dass er andere in Gefahr bringt. Auch Isabella, Connor oder Weston spielen eine große Rolle innerhalb der Geschichte und machen sie durchgängig zu einem Genuß.
„Das Haus hinter den Magnolienblüten“ ist ein wunderbar gelungener Roman über Neuanfänge, Familie, Hoffnungen, Träume und die Liebe, schön arrangiert vor historischem Hintergrund. Die Geschichte erinnert ein wenig an „Vom Winde verweht“ und fasziniert von der ersten Seite. Absolute Leseempfehlung für einen wahren Pageturner! Einfach herrlich!

Veröffentlicht am 23.03.2019

Die Macht und die Gier der Pharmaindustrie

Tödliche Nebenwirkung
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Die Anwältin Kate Sullivan wird als Leiterin des Prozessausschusses bestimmt, der mit einer Sammelklage gegen den weltweit operierenden Pharmakonzern MPC vorgeht. Kates Mandanten haben aufgrund eines Medikaments ...

Die Anwältin Kate Sullivan wird als Leiterin des Prozessausschusses bestimmt, der mit einer Sammelklage gegen den weltweit operierenden Pharmakonzern MPC vorgeht. Kates Mandanten haben aufgrund eines Medikaments entweder ihr Leben lassen müssen oder werden durch ihre Angehörigen vertreten, da sie schon verstorben sind. Schnell stellt Kate in ihrer Kanzlei ihr Team zusammen, um sich für den Prozess vorzubereiten. Ihr Gegenspieler ist ausgerechnet ihr alter Studienfreund Ethan, der MPC vertreten wird. Als erst eine leitende Wissenschaftlerin von MPC ermordet wird, nachdem sie sich mit Kate in Verbindung gesetzt hat, schaltet Kate den Privatdetektiv Landon James ein, einen ehemaligen Soldaten und Ranger, der für Kate recherchieren soll. Doch als es zu Drohungen und Überfällen auf Kate und merkwürdigen Vorfällen in ihrem Büro kommt, bei denen Akten verschwinden, wird Kate erst richtig klar, wie brisant die von ihr angestrebte Klage ist. Jemand will den Prozess auf jeden Fall verhindern und scheut keinerlei Mittel und Wege, um Kate aufzuhalten. Wird es Landon gelingen, die Übeltäter rechtzeitig zu entlarven?
Rachel Dylan hat mit ihrem Buch „Tödliche Nebenwirkung“ einen sehr spannenden und fesselnden Thriller vorgelegt, der den Leser von der ersten Seite an völlig in den Bann zieht. Der Schreibstil ist flüssig und packend zugleich, die Spannung wird schon in den ersten Kapiteln auf ein sehr hohes Niveau gelegt und schraubt sich während der Handlung immer weiter in die Höhe bis zum finalen Showdown. Der Leser darf von Beginn an an Kates Seite stehen und sie auf Schritt und Tritt verfolgen, wie sie mit ihren Mandanten spricht und mit der gegnerischen Seite konferiert. Die Autorin hat ein Thema gewählt, dass hochaktuell ist und bei dem es einem Angst und Bange wird, sollte es so etwas in der Realität wirklich geben. Medikamente sollten der Heilung dienen und nicht der reinen Profitgier, allerdings zeigen aktuelle Berichte um Krebsmittel eindeutig, wie sehr die Pharmabranche auf Gewinnmaximierung aus ist und wie wenig Patienten dagegen tun können, sie sind diesem Umstand meist hilflos ausgeliefert.
Auch der christliche Aspekt kommt in dieser Geschichte wunderbar zum Ausdruck. Nicht nur die kleinen Hilferufe an Gott passen immer wieder gut zu der jeweiligen Situation, sondern hier bekommen Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft eine Bühne. Nicht alle Menschen sind skrupellos, sondern haben ein Gewissen ihren Mitmenschen gegenüber, lassen sie für diese einstehen, ihnen eine Stimme geben, ja sogar Risiken eingehen, um dem Recht Genüge zu tun.
Die Charaktere sind sehr lebendig und ausdrucksvoll gezeichnet. Sie bestechen durch ihre individuellen Ecken und Kanten, wirken authentisch und sehr realitätsnah. Der Leser kann sich in sie hineinversetzen und sowohl mitfühlen als auch miträtseln. Kate ist eine Frau, die von Selbstzweifeln geplagt wird. Sie ist mit Leib und Seele Anwältin und mit dem richtigen Maß an Empathie ausgerüstet, um ihre Mandanten würdig zu vertreten. Für sie sind Ehrlichkeit und Berufsethos keine Floskeln, sondern in Stein gemeißelt. Landon hat durch seine Zeit als Soldat im Krieg seinen Glauben verloren. Seinen Beruf als Privatdetektiv nimmt er sehr ernst, er ist offen und will für seine Auftraggeber die beste Leistung bringen. Ethan ist ein netter Kerl, der für kurze Zeit sein Berufsethos an der Tür abgegeben hat und erst in der Not erkennt, dass er immer noch ein guter Freund sein kann. Cooper und Noah sind alte Freunde von Landon, die für die gute Seite kämpfen. Auch die weiteren Protagonisten bereichern mit ihren Auftritten die Geschichte und machen sie rundum sehr gelungen.
„Tödliche Nebenwirkung“ ist ein Thriller der Extraklasse. Spannung ist hier Programm, man sollte sich auf eine schlaflose Nacht einstellen, denn das Buch kann man nicht aus der Hand legen. Aktuelles und brisantes Thema sehr packend erzählt! Absolute Leseempfehlung für einen Pageturner!

Veröffentlicht am 17.03.2019

Aufgeben war keine Option

Wie Gräser im Wind
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1930. Als das stalinistische Regime auf der Krim Enteignungen von Deutschstämmigen vornimmt, trifft es auch die Familie Scholz. Wilhelm weigert sich vehement, seinen Grund und Boden an den Staat abzugeben. ...

1930. Als das stalinistische Regime auf der Krim Enteignungen von Deutschstämmigen vornimmt, trifft es auch die Familie Scholz. Wilhelm weigert sich vehement, seinen Grund und Boden an den Staat abzugeben. Als Folge davon werden er, Ehefrau Anna und die drei Kinder Yvo, Erich und Rita nachts von Bewaffneten aus ihrem Haus geworfen und fernab ihrer Heimat gewaltsam ins kalte Sibirien umgesiedelt, wo sie wie viele andere Vertriebene in Arbeitslagern untergebracht werden. Familie Scholz kämpft in eisiger Kälte nicht nur gegen Hunger, sondern wie viele andere auch ums Überleben.
Der im Nordkaukasus lebenden deutschstämmigen Familie Pfeiffer ergeht es 1937 nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ebenso wie den Scholzes, allerdings gelingt es dem Lehrer Samuel Pfeiffer und seiner Familie, bei einem nächtlichen Fluchtversuch dem Erschießungskommando zu entgehen. Doch die Verfolgung und der Hass auf die Familie begleitet sie auf ihrer Flucht quer durch die Sowjetunion…
Elvira Zeißler hat unter dem Pseudonym Ella Zeiss mit ihrem Roman „Wie Gräser im Wind“ den ersten Band ihrer zweiteiligen Serie „Tage des Sturms“ vorgelegt und erzählt darin die Geschichte ihrer Großeltern, die ursprünglich aus Kasachstan stammen. Der Schreibstil ist flüssig, fesselnd und emotional zugleich, der Leser rutscht von der ersten Seite an in eine vergangene Zeit, die von Grausamkeit, Hoffnungslosigkeit, Entbehrungen, Hunger und Krieg geprägt ist und darf dabei zwei Familien kennenlernen, die fast den gleichen Leidensweg erfahren müssen. Sehr berührend vermittelt die Autorin die damaligen Zustände, unter denen die Vertriebenen leben mussten und alles zeigt Parallelen zu den Nazis auf, die damals die Juden enteigneten, während die Russen den deutschstämmigen Siedlern ihre Identität und ihr Eigentum entrissen und sie innerhalb des Landes verschleppten, wobei nicht wenige spurlos verschwanden oder exekutiert wurden. Besonderen Respekt muss man den Menschen zollen, die dieses Märtyrium durchgestanden haben und dabei nie die Hoffnung verloren, immer nach ihren Angehörigen suchten und ihre Familien zu beschützen versuchten. Sie waren Quälereien, Hohn und Spott ausgesetzt, nirgendwo waren sie willkommen und lebten in ständiger Angst. Sehr lebhaft und mit einer bildreichen Sprache bringt die Autorin auch die schlimmsten Momente und die größte Kälte dem Leser so nah, dass man während der Lektüre konstant Gänsehaut hat.
Den Charakteren wurde auf liebevolle Art Leben eingehaucht, sie wachsen dem Leser schnell ans Herz und lassen ihn Teil der Verfolgten werden, immer mit einer kleinen Distanz, um darüber nachzudenken, wie man selbst in solchen Situationen handeln oder ob man sie überhaupt überleben würde. Dabei wächst der Respekt ins Unermessliche, wenn man sich vor Augen führt, was die Protagonisten alles am eigenen Leib erfahren haben und dass es sich um eine autobiografische Darstellung handelt. Der Mut, die Stärke und vor allem die Kraft, sich immer wieder zu mobilisieren, auch wenn die politische Situation aussichtslos erscheint, sie keine wirkliche Heimat mehr haben und sie immer wieder gegen Windmühlen oder um ihr Leben kämpfen, macht diese Menschen zu den wahren Helden der damaligen Zeit. Aufgabe war für sie nie eine Option, sie haben immer wieder mit wenigen Dingen aufs Neue versucht, ihr Leben wieder in normale Bahnen zu lenken und dabei auch anderen Gleichgesinnten noch zu Hilfe zu kommen.
„Wie Gräser im Wind“ ist ein sehr gelungener Serienauftakt, voller Emotionen, gesellschaftlicher und politischer Hintergründe und viel Stoff, den Leser zum Nachdenken anzuregen und eigene Recherche zu betreiben. Man darf auf die Fortsetzung sehr gespannt sein. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 17.03.2019

Junger Held in einer dunklen Zeit

Niemand weiß, dass du hier bist
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1942-1944. Der 12-jährige Lorenzo wird während des Zweiten Weltkrieges von seinen Eltern von der libyschen Stadt Tripolis zu Tante Chiara und dem Großvater ins toskanische Siena geschickt, um dort in Sicherheit ...

1942-1944. Der 12-jährige Lorenzo wird während des Zweiten Weltkrieges von seinen Eltern von der libyschen Stadt Tripolis zu Tante Chiara und dem Großvater ins toskanische Siena geschickt, um dort in Sicherheit das Ende des Krieges abzuwarten. Im Nachbarsjungen Franco findet er schnell einen Freund, mit dem er die Begeisterung zum Duce und dem Faschismus teilt, die sich Lorenzo von seinem eigenen Vater abgeschaut hat. Tante Chiara dagegen lehnt das System völlig ab. Als Lorenzo herausfindet, dass sein anderer Freund Daniele Jude ist ebenso wie Dottore Matteo, beginnt er, seine Einstellung zu überdenken. Dann marschieren die Deutschen in Italien ein und besetzen Siena, was Daniele und seine Familie in große Gefahr bringt, denn ab sofort sind Juden auch hier nichts mehr wert und die Familie soll nach Deutschland deportiert werden. Wird Lorenzo seine Freundschaft zu Daniele aufgeben? Wie wird Franco reagieren?
Nicoletta Giampietro hat mit ihrem Buch „Niemand weiß, dass du hier bist“ einen wunderbaren und tiefgründigen Debütroman vorgelegt. Der Schreibstil ist leicht und flüssig, jedoch versteht es die Autorin meisterhaft, mit ihren Worten zu spielen und die jeweilige Stimmung und Atmosphäre einzufangen und dem Leser zu vermitteln. Schnell lässt man sich von der Geschichte einfangen und verfolgt die Geschichte von Lorenzo, seiner Freunden und seiner Familie. Die bildhaften Beschreibungen spiegeln das noch unbeschwerte toskanische Siena, die verwinkelten Gassen und das italienische Lebensgefühl wunderschön wieder. Doch zunehmend mit der Ankunft der Deutschen verdunkelt sich die Atmosphäre und wird immer bedrückender. Das zeigt sich an den sich ändernden Lebensumständen der Bevölkerung und dem unterschwellig geschürten Hass über die Juden wie in Deutschland. Der einfühlsame Erzählstil lässt den Leser die Gefühlswelt der Protagonisten wunderbar miterleben. Die Autorin hat eine sehr gute Hintergrundrecherche betrieben und die damalige politische Lage Italiens sehr gut mit ihrer Handlung verwoben. Sie weist große Ähnlichkeiten mit dem Nazi-Regime auf und macht auch deutlich, wie sehr die Menschen durch Propaganda manipuliert wurden. Umso erstaunlicher die Erkenntnis, dass die Faschisten von Hitler regelrecht überrannt und für ihre eigenen Zwecke benutzt wurden.
Die Protagonisten sind sehr ausgewählt und detailliert gestaltet und in Szene gesetzt worden. Sie besitzen Charakter, Individualität und wirken vor allem sehr lebendig. Der Leser kommt ihnen sehr nahe, kann mit ihnen leiden, fühlen, hoffen und bangen. Lorenzo ist ein Junge, der eigentlich seine Kindheit in allen Sinnen genießen sollte. Doch er muss einen Krieg miterleben und Entscheidungen treffen, die für ein Kind in seinem Alter eigentlich viel zu groß sind. Von der politischen Einstellung des Vaters geprägt, ist er erst voller Enthusiasmus für das faschistische Regime. Aber dann sieht er mit eigenen Augen, was dieser in seiner Umgebung anstellt und auch die vehemente Ablehnung seiner Tante gibt ihm zu denken. Der eventuelle Verlust seines besten Freundes spornt ihn an, sich Möglichkeiten auszudenken, ihn zu schützen. Er bleibt nicht untätig, sondern begibt sich in seinem kindlichen Eifer in Gefahr, zeigt Menschlichkeit und Mitgefühl. Das Kind Lorenzo wirkt oftmals wie ein Erwachsener hervorgerufen durch die damaligen Umstände. Tanta Chiara ist eine Seele von Mensch, die Ungerechtigkeiten nicht ausstehen kann. Sie verweigert sich selbst dem Faschismus, ihre Einstellung ist gefährlich, aber sehr verständlich. Ebenso überzeugen Daniele oder Franco und machen die Handlung rundum spannend und gleichzeitig berührend.
„Niemand weiß, dass du hier bist“ ist ein rundum gelungenes Debüt, das man, einmal begonnen, kaum aus der Hand legen kann. Ein Jahreshighlight und mit einer absoluten Leseempfehlung verdient ausgestattet! Unbedingt lesen!!!