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Veröffentlicht am 18.10.2020

Mit einer alten Fliese ins Jahr 1492

Alhambra
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Eher ungern und eigentlich nur seiner Mutter zuliebe nimmt Boston an der Klassenfahrt der Spanischschüler seiner Schule nach Granada teil. Er ist ein Einzelgänger, findet nur schwer Anschluss, obwohl er ...

Eher ungern und eigentlich nur seiner Mutter zuliebe nimmt Boston an der Klassenfahrt der Spanischschüler seiner Schule nach Granada teil. Er ist ein Einzelgänger, findet nur schwer Anschluss, obwohl er sich nichts sehnlicher wünscht als dazuzugehören, anerkannt zu werden von seinen Klassenkameraden, die in ihm nur den neunmalklugen Streber sehen. Und so bemüht er sich nach Kräften, seinen Lerneifer, für den er sich beinahe schämt, zu kaschieren und sein Wissen für sich zu behalten – doch leider nutzt ihm das nichts, er ist und bleibt der Junge ohne Freunde!
Und nun noch zwei Wochen Granada! Wie soll er das nur überstehen? Nicht, dass ihn die Stadt nicht interessieren würde, denn das tut sie – und längst hat er sich so viel Wissen angeeignet über die südspanische Stadt, einst die letzte Bastion von „al Andalus“, dem muslimisch-arabischen Königreich, das die Mauren auf der spanischen Halbinsel errichtet und 700 Jahre lang innehatten. Aber alleine zu erkunden macht Boston überhaupt keine Freude! Doch gerade als er sich bei einem Besuch der Alcaicería, dem früheren Seidenmarkt der Stadt, durch den sich heutzutage Touristenströme schieben, von Herzen wünscht, zuhause geblieben zu sein, nimmt die Klassenfahrt für ihn eine geradezu unglaubliche, eine phantastische Wendung: als Boston nämlich am Stand des abergläubischen Straßenhändlers Manuel Corazón eine alte, staubige Fliese berührt, öffnet sich ein Zeitfenster und der schüchterne Junge wird in eine Zeit katapultiert, als Granada das Zentrum der europäischen Politik war, als die „Katholischen Könige“, Isabella von Kastilien und Fernando von Aragón mit der Eroberung des letzten maurischen Königreiches Granada und der Einnahme der Alhambra - dem Symbol für politische Macht und Reichtum, gleichzeitig für Schönheit der Phantasie - und der Vertreibung „Boabdils“, des letzten Maurenherrschers, die Reconquista beendeten und anstelle des hochzivilisierten Spaniens, in dem Wissenschaft und Künste, Architektur und die Heilkunst florierten, in dem darüber hinaus ein reger Austausch zwischen den verschiedenen Religionen – Christen, Juden und Muslime – stattfand, deren Zusammenleben im Übrigen weitgehend konfliktarm verlief, die Inquisition unter dem berüchtigten Torquemada einläuteten, die mit ihrer Schreckensherrschaft zunächst gegen die Juden, dann gegen die Araber und zum Schluss gegen praktisch jeden wütete und Spanien direkt ins finsterste Mittelalter zurückwarf.
Doch noch kündigte sich das kommende Unheil nur durch finstere Wolken am Horizont an, als Boston nun im geschichtsträchtigen Jahr 1492 ankam – verstört, ungläubig, voller Angst, nicht begreifend, was mit ihm geschehen war, und alsbald in das Abenteuer seines Lebens hineingezogen wurde und gar um das nachte Überleben kämpfen musste, hielt man ihn doch aufgrund des Inhaltes seines Rucksacks, unter anderem einen Hochglanz-Reiseführer und ein Handy, für einen Teufelsbündler, auf den der Scheiterhaufen wartete...
Und wären da nicht die beiden Jungen Salomon, Sohn des Juden Isaak, und der Araber Tariq gewesen, der seinen Emir, Boabdil höchstselbst, beim nie stattfindenden Kampf gegen die katholischen Könige unterstützen wollte, und nicht zuletzt Isabella und Fernandos Tochter Johanna, die später als „Johanna die Wahnsinnige“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist, - wer weiß, ob die Zeitreise ein gutes Ende, ja obendrein auch noch die Weltgeschichte, nicht einen ganz anderen Verlauf genommen hätte....
Und wie hätte sich Bostons Abenteuer, eingebettet in die sich überschlagenden geschichtlichen Ereignisse des Jahres 1492, wohl gelesen, wenn es nicht Kirsten Boie, eine der renommiertesten, vielseitigsten deutschen Kinder- und Jugendbuchautorinnen, völlig zu Recht dekoriert mit zahlreichen nationalen und internationalen Auszeichnungen, unter anderem 2007 mit dem Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises, geschrieben hätte? Keine recherchiert so sorgfältig wie sie, kaum jemand sonst hebt sich so hervor durch Klarheit und Schönheit der Erzählung, Detailreichtum und dem Schaffen einer unglaublich eindrucksvollen und eindringlichen Atmosphäre.
Der Fantasy-Romane gibt es gar viele, mehr oder minder einfallsreiche, mehr oder minder originelle – und ob ihrer Einförmigkeit auch leider mehr oder minder langweilige. Inzwischen ist, so meine ich, ein gewisser Sättigungsgrad erreicht und man kann sich die meisten Neuerscheinungen, die unter dem Strich wenig Neues zu bieten haben und ein Aufguss von längst hinreichend bekannten sind, im Grunde sparen. „Alhambra“ hingegen, 2007 bei Oetinger erschienen, gehört zu den löblichen, immer seltener werdenden Ausnahmen, besticht durch hohe sprachliche Qualität und durch eine enorm spannende, den Leser mitreißende Handlung, ist eine Mischung aus sehr gut gemachtem Geschichtsunterricht, fußt die Erzählung doch auf den historischen Tatsachen, soweit diese überliefert sind, und Abenteuerroman mit Fantasy-Elementen, die natürlich die Zeitreise selbst ist.
Bis auf die beiden jugendlichen Protagonisten im Granada 1492, Salomon und Tariq, einen freundlichen Mönch und einen gewissen bösartigen Soldaten, dessen Hass ihn zu seltsamen Handlungen verleitet, sind alle Mitwirkenden historische Personen – wobei ich von der Bezeichnung „Persönlichkeiten“ Abstand nehmen möchte! -, mit eben jenen Eigenschaften ausgestattet, die die Geschichtsschreibung überliefert hat, angefangen bei der fanatisch frommen Isabella von Kastilien und ihrem geldgierigen Schürzenjäger-Ehemann Fernando, über den blutrünstigen, sich an seinen eigenen Grausamkeiten weidenden Großinquisitor Torquemada bis hin zu – Cristóbal Colón höchstpersönlich! Letzterer sorgt für aufschlussreiche Auftritte, denn er ist zu Bostons Ankunft gerade dabei, die Majestäten um Ausrüstung seiner Schiffe für die vermeintliche Entdeckung des westlichen Seeweges nach Indien zu ersuchen – und erweist sich dabei als alles andere als Sympathieträger! Im Gegenteil muss es sich bei ihm um einen in Wirklichkeit recht unangenehmen Mann gehandelt haben, von seltener Arroganz und Unverschämtheit und, ähnlich wie Isabella, von einem religiösen Wahn besessen.
Nun, der große Entdecker mit zweifelhaftem Charakter spielt eine gewichtige Rolle in der Geschichte um Bostons unfreiwillige Zeitreise, auf die, um nicht zu viel zu verraten, an dieser Stelle jedoch nicht ausführlicher eingegangen werden soll, genauso wenig wie auf den so logischen wie originellen Ausgang der Geschichte, die ich als Paradestück ihres Genres empfunden habe und vorbehaltlos empfehlen kann!

Veröffentlicht am 17.10.2020

Hercule Poirots wundersame kleine graue Zellen

Alibi
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Lang ist es her, dass ich Agatha Christies Meisterwerk „The Murder of Roger Ackroyd“ ( dt. Titel: „Alibi“ ) zum ersten Mal gelesen habe. Zu dieser Zeit war ich bereits ein Fan der englischen Kriminalautorin, ...

Lang ist es her, dass ich Agatha Christies Meisterwerk „The Murder of Roger Ackroyd“ ( dt. Titel: „Alibi“ ) zum ersten Mal gelesen habe. Zu dieser Zeit war ich bereits ein Fan der englischen Kriminalautorin, von der ich auch heute, und unzählige Krimis und Thriller später, noch immer meine, dass sie den Titel „Queen of Crime“ völlig zu Recht trägt, mit ihrer Art zu schreiben sehr vertraut und mir sicher, auch diesmal, nach sorgfältigem Lesen und vermeintlichem Achten auf die vielen kleinen Hinweise, die sie clever in der Handlung versteckt, zu gegebener Zeit die Identität des Täters zu entdecken. Bis kurz vor Schluss hatte ich mir eine wunderbare und, davon war ich überzeugt, wasserdichte Theorie zusammengebastelt – und dann kam die Überraschung! Faustdick!
Nie hatte ich mit einer solchen Auflösung gerechnet, die mich fast ein wenig ärgerte, betrachtete ich sie doch als etwas hinterhältigen Trick Dame Agathas, mit dem sie den Leser an der Nase herumführte. Wo waren sie, die sonst unfehlbar vorhandenen Hinweise, die den Leser in all ihren übrigen Krimis auf die rechte Spur führten? Die Puzzleteile hatte ich zwar eifrig gesammelt, doch wollten sie nicht ins Gesamtbild passen, ohne das eine, das entscheidende Teilchen, dass nur Agatha Christie persönlich kannte. Und so beschloss ich, „The Murder of Roger Ackroyd“ als Fehlschlag abzutun und schob ihn in die hinterste Ecke des Krimiregals, aus dem er kürzlich erst wieder, ganz unerwartet, zum Vorschein kam – um erneut gelesen zu werden? Obwohl ich den so unerwarteten Mörder noch immer präsent hatte? Kurzentschlossen schlug ich den vermeintlichen Fehlschlag auf und begann mit der Lektüre, aufmerksam wie damals auch, um dem einerseits gepriesenen und andererseits gescholtenen Meisterwerk, das 2013 von „The Crime Writers' Association“ zum besten Kriminalroman aller Zeiten gekürt worden war, eine neue Chance zu geben!
Ob es daran lag, dass ich anstelle der siegesgewissen Überheblichkeit, mit der ich glaubte, einer Agatha Christie gewachsen zu sein, mit vorsichtigem Respekt zu Werke ging, mir wichtig erscheinende Passagen gleich zweimal las, um bloß nichts zu übersehen, was, so versicherten die begeisterten Kritiker dieses, Dame Agathas sechstem Kriminalroman, doch so augenfällig war? Und siehe da – von Anfang an war die Leuchtspur zu sehen, mit der die englische Lady auch dem blindesten unter ihren Lesern, zu denen auch ich mich zählen muss, den Weg gewiesen hat!
Wenn man diese Spur nicht verliert in dem üblichen Labyrinth von falschen Fährten und geschickt eingebauten Nebensächlichkeiten, wie man denken könnte, wenn man die Tatsache ignoriert, dass es bei Dame Agatha keine Nebensächlichkeiten gibt, nichts, was überflüssig wäre, wenn man es denn logisch und folgerichtig interpretiert, also seine „kleinen grauen Zellen“ benutzt, auf denen der belgische Detektiv Hercule Poirot, der in dem verzwickten Krimi seinen dritten Auftritt hat, nicht müde wird zu insistieren – hier mehr als in jedem anderen Krimi, in denen der etwas lächerlich wirkende kleine Mann mit dem großen Schnurrbart und dem noch größeren Ego ermittelt -, dann führt sie unweigerlich zu demjenigen aus einer ansehnlichen Gruppe von Verdächtigen, die, was für Poirot von Anfang an klar ist, allesamt etwas zu verbergen haben, der den reichen Roger Ackroyd ins Jenseits befördert hat!
Und dann erst erkennt man, wie klug und umsichtig, auch nicht das kleinste Detail außer Acht lassend, die berühmte Britin ihren Kriminalroman aufgebaut hat – und kann nicht umhin, ihr höchstes Lob zu zollen!
Ein wahrhaft grandioser Whodunnit ist ihr da gelungen, einer, von dem ihre Biographin Laura Thompson sagte, er sei „der größte, der ultimative Kriminalroman“, der wegweisend war, der das Genre, dem sie sich verschrieben hatte, nachhaltig beeinflusste, denn sie wagte damit etwas ganz Neues, etwas, das inzwischen natürlich viele Nachahmer, aber keinen, der ihr gleich käme, gefunden hat.
Zum Schluss meiner Überlegungen bliebe anzumerken, dass jeder Versuch einer ausführlicheren Inhaltsangabe die Gefahr birgt, dem unvoreingenommenen Leser Wissen zu vermitteln, das ihn allzu frühzeitig auf die richtige Spur bringt und ihn somit des Vergnügens beraubt, seine eigenen Theorien aufzubauen und daraus die richtigen – was schwer sein dürfte - Schlüsse zu ziehen.
Eines ist gewiss – es lohnt sich, diesen in jeder Hinsicht bemerkenswerten Kriminalroman zu lesen, schon alleine, um dem klugen, von sich selbst und seinen überragenden Fähigkeiten – völlig zu Recht übrigens! - so überzeugten kleinen Detektiv, der sich eigentlich in King's Abbott, dem fiktiven Schauplatz des Romans, zur Ruhe gesetzt hatte, um dort ausgerechnet Kürbisse zu züchten, über die Schulter zu schauen und ihn mit der ihm eigenen Methodik und Systematik, unter Gebrauch der bereits erwähnten sehr aktiven kleinen grauen Zellen, den wohl erstaunlichsten Fall nicht nur seiner eigenen Karriere sondern auch derjenigen der Schriftstellerin Agatha Christie, geborene Miller, in zweiter Ehe verheiratete Mallowan, lösen zu sehen!

Veröffentlicht am 17.10.2020

Wenn der Winter zu früh kommt....

Kein Keks für Kobolde
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In einem Interview mit der Zeitschrift Capital aus dem Jahr 2017 sagte Cornelia Funke, längst etablierte und gerade in ihrer Wahlheimat, den Vereinigten Staaten, allseits beliebte und bekannte Autorin ...

In einem Interview mit der Zeitschrift Capital aus dem Jahr 2017 sagte Cornelia Funke, längst etablierte und gerade in ihrer Wahlheimat, den Vereinigten Staaten, allseits beliebte und bekannte Autorin von Kinder- und Jugendbüchern, dass sie ihre Karriere und den damit einhergehenden Wohlstand Kindern zu verdanken habe!
Nun, in erster Linie natürlich hat sie ihren Erfolg den Büchern zu verdanken, die sie Anfang der 90er Jahre für Kinder zu schreiben begann – phantasievolle, zumeist auch noch von ihr selbst illustrierte Geschichten, mit denen sie offensichtlich den Geschmack ihrer jungen Leser ganz genau traf. Eines ihrer frühen Bücher ist das 1994 erschienene, recht umfangreiche Werk „Kein Keks für Kobolde“, dem ich im folgenden ein paar Gedanken widmen möchte.
Selten nur sind die Hauptcharaktere bei Cornelia Funke ganz normale Kinder, die als Identifikationsfiguren für ihre Leser dienen können. Zumeist stehen sie, handelt es sich bei ihnen denn um Menschenkinder, mit Zauberwesen im Bunde und oft kommen die Romane der Autorin ganz ohne Menschen aus. Wie in vorliegender Geschichte, deren Protagonisten drei reizende, mutige, verfressene und rundum liebenswerte Kobolde sind: Neunauge, Feuerkopf und Siebenpunkt! Sie wurden von einem frühen Winter überrascht, für den sie, trotz Neunauges Warnungen, keine Vorräte angelegt haben, in der Hoffnung, auf dem Campingplatz, in dessen Nähe sie ihre jeweiligen Behausungen eingerichtet haben, schon genug Essbares zu finden, um den Winter über nicht hungern zu müssen. Ja, sie stibitzen, unsre drei neuen Freunde, obwohl sie doch wissen, dass das eigentlich ganz und gar nicht in Ordnung ist! Doch was sollen sie tun? Die Menschen dringen in ihre Lebensräume ein, rauben sie nach Herzenslust aus und ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, den Tieren – und auch den unsichtbaren Wesen, die Frau Funkes Welt bevölkern – ihre ureigene Nahrung für den Winter übrig zu lassen....
Doch die Rechnung von Neunauge und ihren beiden Freunden will nicht so recht aufgehen, denn die Camper haben frühzeitig den Platz verlassen und es bleibt ihnen nur der Braune, Aufseher auf dem Campingplatz, mit seinem aggressiven Hund. Klar, im Haus des Braunen gibt es genug Vorräte – also schmieden die drei einen verwegenen Plan, um an Gummibärchen & Co., ihre bevorzugte Nahrung, heranzukommen, damit sie den Winter überstehen können. Dass der Plan nicht so umzusetzen ist, wie sie es erhoffen, kann man sich denken, doch mit Geistesgegenwart, Wagemut und auch einer Portion Glück können sich die Kobolde mit dem ergatterten Wintervorrat in ihre Höhlen zurückziehen. Wenigstens denkt das der Leser!
Doch ist die Geschichte lange noch nicht zu Ende; und hat in diesem ersten Teil der Humor trotz der Not der sympathischen kleinen Wesen für einen gewissen Wohlfühlfaktor gesorgt, so geht es im zweiten Teil weitaus ernster, düsterer und gefährlicher zur Sache! Kaum nämlich bewegen sich Neunauge und Feuerkopf weg von der Höhle, die sie, weil man sich gegenseitig so viel besser wärmen kann, mit dem gemütlichen, ewig hungrigen Siebenpunkt teilen, bricht das Unheil über die bislang friedliche kleine Koboldwelt herein! Wie im Menschenreich so gibt es natürlich auch hier bösartige Gesellen, solche, die am liebsten auf Kosten anderer leben und Freude an Grausamkeiten haben. Eine Horde übelwollender, grölender Kobolde überfällt Siebenpunkt, fesselt und knebelt ihn und zieht mit den Vorräten, die unsren Freunden über den Winter helfen sollten, davon.
Jetzt ist guter Rat teuer, sollte man meinen! Doch Feuerkopf, der im Gegensatz zu Siebenpunkt nicht zu den Ängstlichen gehört, ist hell erbost und wild entschlossen, das Hauptquartier der Verbrecherbande zu finden und sich ihren Nahrungsvorrat wieder zurückzuholen. Dass das ein wagemutiges Unterfangen ist, zumal der Chef der Bande, der Weiße Kobold, ein ausgesprochen gefährliches Exemplar seiner Gattung ist, dem man nur mit List beikommen kann, wird schnell klar. Und nun wird es äußerst turbulent für die drei Kobolde, mehr als einmal geraten sie in scheinbar aussichtslose Situationen – dennoch bewähren sie sich, bewährt sich die feste Freundschaft, die sie verbindet. Gemeinsam sind sie stark!
Das zeigt Cornelia Funke auf eindrucksvolle Weise, genauso, wie sie ein Happy-End zaubert, das die jungen Leser entschädigt für all die Angst, die sie um Neunauge und ihre Freunde ausstehen mussten!
Und wenn dann die lange Geschichte noch mit den Illustrationen der Autorin geschmückt ist, die wunderschön von Frau Ziegenhals-Mohr nachkoloriert wurden, so hat man ein rundum gelungenes Cornelia Funke-Buch vor sich, das man sicher gerne noch ein weiteres Mal lesen kann, am besten im Winter, wenn es draußen so richtig beinkalt ist, mit einer Tüte Gummibärchen und einem Teller Kekse neben sich, versteht sich....

Veröffentlicht am 11.10.2020

Eine unwahrscheinliche Freundschaft

Der Getreue des Herzogs
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Wenn die Autorin in ihren Anmerkungen zu dem hier zu besprechenden Buch mit dem ausführlichen und dadurch sehr hilfreichen Personenregister im Anhang schreibt, dass es eine echte Herausforderung war, einen ...

Wenn die Autorin in ihren Anmerkungen zu dem hier zu besprechenden Buch mit dem ausführlichen und dadurch sehr hilfreichen Personenregister im Anhang schreibt, dass es eine echte Herausforderung war, einen historischen Roman über Herzog Ulrich – bis zu seiner Firmung Eitel Heinrich – von Württemberg zu verfassen, so kann man sich dies nach der Lektüre nur allzu gut vorstellen! Zahlreiche Ereignisse von weitreichender Bedeutung fielen in Ulrichs Regierungszeit, an denen er direkt oder indirekt beteiligt war, die meisten der Kleinkriege und Scharmützel mit all ihren verheerenden Konsequenzen für die unterprivilegierte Bevölkerung, mit denen uns die Geschichte, meist recht ausführlich, konfrontiert, wurden von ihm höchstpersönlich angezettelt, waren die unvermeidliche Folge seines ausschweifenden Lebensstils und seiner egozentrischen Willkürherrschaft, während derer er sich aller Freiheiten bediente, die ihm als Herrscher über sein Land zukamen, genauso, wie er gar manches Mal das Recht beugte, um seine Verschwendungssucht aufrechterhalten zu können, ja nicht einmal vor Mord haltmachte! Zwar versuchten sich Vögte und die Ehrbarkeit gelegentlich, und wenn er es allzu bunt trieb, sich zu widersetzen, doch meist gingen diesbezügliche Dispute zu Ulrichs Gunsten aus; diejenigen, die mutig genug waren, ihm ernsthaft Widerstand zu leisten, bezichtigte er des Hochverrats, ließ sie einsperren, aufs Grausamste foltern und schließlich hinrichten. Immer wieder erstaunt es, dass er sich so lange auf seinem Thron halten konnte, dass er gar nach seiner lange fälligen Verbannung im Jahre 1519 und dem darauffolgenden Exil mit Hilfe seines Vetters, dem hessischen Landgrafen Philipp, fünfzehn Jahre später Württemberg zurückerobern konnte und sogleich im ganzen Lande die Reformation einführte und somit zum ersten protestantischen Landesfürsten wurde.
Die schillernde Persönlichkeit, die Herzog Ulrich von Historikern bescheinigt wird, finden wir in Johanna von Wilds Roman, der sich durch gründliche Kenntnis der Epoche, in der er sich zuträgt, auszeichnet, wieder. Er ist der eigentliche Protagonist des Geschehens, wobei sich Tatsachen und Fiktion gelegentlich vermischen, was aber legitim ist, denn schließlich war es nicht die Intention der Autorin, eine Biographie vorzulegen. Bereits früh zeigt sich Ulrichs herrischer Charakter, schon der Junge, der uns zu Anfang begegnet, konnte leicht in Jähzorn ausbrechen, wenn etwas nicht nach seinem Kopfe ging. Nun, vielleicht ist das nur natürlich, wurde er denn von Kindesbeinen an als zukünftiger Herrscher hofiert.
Johanna von Wild stellt ihm, damit unsre Romanhandlung endlich beginnen kann, den Küchenjungen Johannes, der somit der zweite Protagonist ist, zur Seite, den sich der kleine Ulrich höchstselbst und so herrisch, wie wir ihn während der gesamten Geschichte erleben, als Spielgefährte ausgesucht hat. Tatsächlich werden die beiden so ungleichen Jungen Freunde und Johannes schwört dem Onkel des künftigen Landesherren, Eberhard im Bart, dass er Ulrich die Treue halten wird – ein Schwur, an den er sich zeitlebens gebunden fühlt und niemals brechen wird. Leicht wird es ihm nicht gemacht, denn nicht nur lehnt er, der schließlich Arzt geworden ist - ein Privileg, das sollte nicht vergessen werden, das dem armen Bauernsohn allein durch seine Verbindung zu Ulrich zukam, denn trotz seiner großen Begabung und ebensolcher Dedikation auf dem Gebiet der Heilkunst wäre er vom ehemaligen Küchenjungen vermutlich höchstens zum Knecht aufgestiegen -, Ulrichs Lebensweise und seine allzu oft brutalen Kriegszüge ab, sondern ist zudem noch auf der Suche nach der jungen Frau, die er liebt und mit der er Ehebruch begangen hat, wurde sie doch gegen beider Willen mit einem anderen, so rücksichtslosen wie listenreichen, ganz und gar gewissenlosen Opportunisten vermählt. Dieser, der bald zum einflussreichen Kanzler des Herzogs aufsteigt und als solcher weitreichende Machtbefugnisse hat, die er zum Intrigieren und Ausleben seiner Lust am Foltern vermeintlicher und tatsächlicher Feinde des Herzogs missbraucht, hat nicht nur seine Frau und ebenso den Sohn, dessen wirklicher Vater Johannes ist, spurlos verschwinden lassen, sondern verfolgt den Arzt mit seinem Hass, macht ihm das Leben schwer, wann immer sich ihm die Gelegenheit dazu bietet.
Während der folgenden Jahre ist Johannes unermüdlich bestrebt, Sophie und den gemeinsamen Sohn ausfindig zu machen; der Leser verfolgt mit großem Mitgefühl wie aber auch mit einem gewissen Unverständnis ob seiner Treue zu einem Mann, der sie ihm nicht zu danken weiß, seine fruchtlosen Bemühungen, die immer wieder von Ulrich selber behindert werden, denn er bindet den getreuen Freund als Leibarzt an sich, wie immer ausschließlich an seinen eigenen Bedürfnissen interessiert, gleichgültig gegenüber dem Kummer des ehemaligen Spielgefährten. Und so gehen Jahre ins Land, wichtige Jahre gesellschaftlicher, religiöser und politischer Umbrüche – mitreißend geschildert vor allem die beginnende und allmählich sich Bahn brechende Reformation -, über die man später in den Geschichtsbüchern lesen wird, aber auch verlorene Jahre für Johannes, den so beharrlich Liebenden, wenngleich Jahre, während derer sein segensreiches Wirken gar manchem schwer Erkrankten oder Verwundeten das Leben rettet oder das Leiden lindert. Glücklich all die Menschen, denen der Arzt begegnet, treu dem Eid des Hippokrates wie dem Treuegelöbnis verpflichtet, das dem Herzog galt, der es als selbstverständlich hinnimmt. Und wenn denn wirklich zutrifft, was das Sprichwort „Fortes fortuna iuvat“ - dem Tapferen hilft das Glück -, verheißt, dann bleibt zu hoffen, dass Johannes, der Getreue, schließlich den verdienten Lohn erhalten wird...
Was bleibt am Ende der Lektüre dieses so umfangreichen wie anspruchsvollen historischen Romans mit den beiden überaus gegensätzlichen Protagonisten? Aufgrund der Überfülle, die der Autorin an Quellen zur Verfügung standen, musste das Schwergewicht in der Geschichte vielleicht zwangsläufig auf den immer wieder Unmut, Empörung und Abneigung erregenden Württemberger und seine Taten gelegt werden. Das ging auf Kosten einer durchgängigen Handlung, denn aus Johannes Leben wurden lediglich Episoden aufgegriffen, die letzte und wichtigste wurde in aller Kürze abgehandelt; man verliert den Sympathieträger, ein unerlässliches Gegengewicht also zu seinem Freund, dem Wüterich, immer wieder aus dem Blickfeld zugunsten der unzähligen Macht-, Intrigen- und Kriegsspielchen ( die natürlich alles andere als das waren, sondern tödlicher Ernst für die Abertausende mit hineingezogenen Bürger ), die der verschwenderische, unmoralische, von seiner Allmacht überzeugte Herzog initiierte und über die man leicht den Überblick verlieren konnte. Johannes wird dennoch im Gedächtnis bleiben – und mit ihm die, und das sei lobend angemerkt, zahlreichen, so aufschluss- wie lehrreichen Ausführungen zur Heilkunst im 16. Jahrhundert – der eigentliche rote Faden, denn er zieht sich konstant durch das gesamte Werk -, das umfassende Wissen um die segensreiche ( genauso wie schädliche ) Wirkung dessen, was da grünt und blüht und das man unbedingt davor bewahren sollte, ganz und gar der Vergessenheit anheim zu fallen!

Veröffentlicht am 24.09.2020

Gesellschaftskritischer Landhauskrimi mit einer Prise Humor

Tod eines Lords
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Ein gar ungleiches Paar sind sie, die hochwohlgeborene Lady Christabel Mowgray, verwöhnte und ob des Überflusses, in dem sie lebt, oft gelangweilte Tochter aus gutem Hause, und ihre nur wenig ältere Zofe ...

Ein gar ungleiches Paar sind sie, die hochwohlgeborene Lady Christabel Mowgray, verwöhnte und ob des Überflusses, in dem sie lebt, oft gelangweilte Tochter aus gutem Hause, und ihre nur wenig ältere Zofe Maud Gulliver, trotz oder gerade wegen ihres niedrigen gesellschaftlichen Standes die weitaus lebenserfahrenere und wohl auch, so bekommt man während des Lesens den Eindruck, klügere der beiden jungen Frauen. Nur leider war es auch noch zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts so gut wie unmöglich, dem gesellschaftlichen Stand, in den hinein man das Pech hatte geboren zu werden, zu entfliehen. Da nutzen der Zofe Maud ihre beachtlichen kognitiven Kapazitäten rein gar nichts!
Nun, wenigstens hat sie es mit ihrer Ladyschaft unter den damaligen Umständen und trotz ihrer, wie der Leser andeutungsweise immer wieder erfährt, zweifelhaften und im Dunkeln gehaltenen Vergangenheit gar nicht schlecht getroffen, denn das mit einem silbernen Löffel im Munde geborene Fräulein hat, bei aller Oberflächlichkeit und dem gewiss auch vorhandenen Standesdünkel, ein gutes Herz und behandelt ihre Zofe fair, lässt ihr gewisse Eigenmächtigkeiten durchgehen, die sich gemäß der strengen Etikette für die Dienstboten nicht gehören und durchaus Grund für eine Entlassung sein können.
Wären die sozialen Barrieren nicht, derer sich beide bewusst sind – Christabel und Maud könnten die besten Freundinnen sein! Dass das nie geschehen wird, weiß zumindest Maud ganz genau, so sehr es der Leser auch bedauern mag, wenn er mitverfolgt, wie Herrschaft und Zofe miteinander agieren, wie die eine auf die andere hört, ja wie sie aufeinander aufpassen, einander ernst nehmen. Ja aber – das ist doch genau der Stoff, aus dem Freundinnen gemacht sind, mag man denken! Nun, die ebenso strengen wie absurden gesellschaftlichen Regeln, die unsinnigen Klassenschranken machen eine Freundschaft auf Augenhöhe unmöglich – punktum!
Und über besagte Regeln erfährt man viel, sehr viel in C.L.Potters Cosy Crime Mystery; allenthalben wird man darauf gestoßen, stolpert man darüber, bleibt hängen, empört sich, ist gar manches Mal fassungslos über die Macht der ohne eigenes Verdienst edel Geborenen, denen die nach Upstairs gehören, und die Ohnmacht derjenigen, die unglücklicherweise auf der Schattenseite des Lebens das Licht der Welt erblickt haben. Denen also, die Downstairs zu Hause sind – in der hier zu besprechenden Geschichte die Dienstboten eines privilegierten adligen Haushaltes -, deren Reich sich eben im Untergeschoss des herrschaftlichen Gemäuers befand und von deren Leben die der Muse und dem Vergnügen nachgehenden Edlen im restlichen Teil des Anwesens in der Regel kaum etwas wussten, sich aber auch nicht daran interessiert zeigten.
Lady Christabel nun wird, damit die Geschichte endlich beginnen kann, von Maud dazu überredet, die Wochenendeinladung der Willmingtons, derer von Aylesgrave, anzunehmen, um auf andere Gedanken zu kommen, denn es sieht ganz danach aus, dass die große, leider nicht standesgemäße Liebe der jungen Lady zu denen gehört, die den Untergang der Titanic nicht überlebt haben. Alles ist besser, so meint die resolute Maud, als seine Tage jammernd und klagend im Bett zu verbringen – auch wieder so ein Luxus, dem sich Downstairs nicht hingeben kann, wiewohl deren Sorgen um nichts geringer sind als diejenigen, die sich Upstairs zu haben einbildet...
Aber ist das Landgut der Willmingtons denn wirklich die rechte Ablenkung? Letztere, ebenso wie ihre erlauchten Gäste, sind so langweilig und nichtssagend, so überwältigend vom Standesdünkel geplagt wie die Mowgrays, Christabels eigene Familie! Nur haben sie noch zusätzlich ein besonders abscheuliches Exemplar der Gattung Mensch aufzuweisen, nämlich den jüngsten Sohn Lucian, für den Anstand und Moral Fremdwörter sind, der bei der Verfolgung seiner Interessen keinerlei Rücksicht kennt und im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen geht. Dass er sehr bald nach Christabels Ankunft selbst zu einer wird, scheint nur recht und billig zu sein!
Aber, so denkt sich das vornehme Fräulein, der Gerechtigkeit muss Genüge getan und der Mörder des jungen Unholds muss gefunden werden. Gerüstet mit dem detektivischen Wissen, das sich Christabel, eine leidenschaftliche Leserin von Kriminalromanen, durch deren Lektüre angeeignet hat, beginnt sie nun, auf eigene Faust zu ermitteln, unterstützt von ihrer nicht minder lesebegeisterten Zofe. Die eine Upstairs, die andere Downstairs! Und was sie dabei an peinlichen Scheußlichkeiten zu Tage fördern, oben wie unten, gäbe reichlich brisanten Stoff, den die Presse, wüsste sie denn von dem Mord, den die Angehörigen nur zu gerne als Verkettung unglücklicher Umstände deklarieren möchten, genüsslich zelebrieren würde... Doch die beiden wackeren, oft genug ins Fettnäpfchen tretenden, Amateurdetektivinnen – und als solche typisch für einen Cosy Crime – lassen nicht locker und stoßen im Zuge ihrer ebenso amateurhaften Nachforschungen, bei denen weder Upstairs noch Downstairs eine gute Figur abgeben, schließlich auf die wahren Umstände des Todes des gar nicht feinen Herrn Lucian....
„Tod eines Lords“ kann man in der Tat getrost als Cosy Crime Mystery einstufen, als Wohlfühlkrimi, Landhauskrimi oder gar Häkelkrimi, wie diese Unterart des Kriminalromans, dessen sich schon Dame Agatha Christie in ihren zwölf Miss Marple – Geschichten bedient hat, liebevoll, aber auch ein wenig abwertend bezeichnet wird. Der Handlungsort ist eben ein Landhaus, mitten in einem beschaulichen Fleckchen Erde, die Ermittlerinnen sind nicht vom Fach sondern halten sich vielmehr aus anderen Gründen für prädestiniert, ein Verbrechen aufzuklären. Reichlich schrullig sind sie, genauso wie grenzenlos neugierig und sehr vertraut mit den übrigen Akteuren, die zum Kreis der Verdächtigen gehören. Der Mord selber geschieht nicht vor den Augen des Lesers – eine Wohltat, wenn man sich durch die Art von Krimis respektive Thrillern gequält hat, die heutzutage in Massen auf dem Markt eintrudeln und einem unersättlichen Publikum, das sich angeblich bei den abschreckendsten, widerwärtigsten und grausamsten Szenen am besten entspannen kann, zum Fraß vorgeworfen werden. Eine gehörige Portion Gesellschaftskritik an der Upper, Middle, Upper Middle und Lower Class ist nicht zu übersehen – auch dieses eines der vielen Kennzeichen eines Cosy Crime!
Jedoch scheint mir der Ausgang wieder ein wenig wegzuführen von einem typischen Landhauskrimi, der nicht nur mit der Aufklärung des Kriminalfalles sondern eben auch mit derm Sieg der Gerechtigkeit enden sollte. Ein Täter, der davonkommt, ist nicht üblich, und jeder soll seine gerechte Bestrafung bekommen, nachdem das gemütliche Rätselraten vorbei ist! Ein wenig sehr schwarz-weiß kommt mir dieses Kriterium vor – und mit Genugtuung lese ich, dass Lady Christabel und die Zofe Maud ihre eigenen Vorstellungen davon haben, wie mit dem Täter verfahren werden sollte und zum Glück mit Friede, Freude, Eierkuchen wenig im Sinn haben. Pfiffig nenne ich ihre Entscheidung, befriedigend und differenziert – und wären da nicht die vielen Längen gewesen, in denen die Handlung stillsteht zugunsten mir persönlich viel zu ausufernder Beschreibungen der Räumlichkeiten, in denen sich unsere Protagonistinnen bewegen, und zu guter Letzt noch die an den Haaren herbeigezogene Schlussidee der Autorin – dieser Krimi hätte der perfekte Cosy Crime sein können! Dennoch – auf die beiden geplanten Folgebände um die ungleichen Amateurdetektivinnen darf man neugierig sein! Entwicklungspotential haben sie allemal!