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Veröffentlicht am 05.12.2024

Packen wir es an - für eine bessere Welt

Moralische Ambition
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Wie der Autor selbst schreibt, möchte er es uns mit seinem Buch "nicht leichter, sondern schwerer machen. Es ist ein Buch, das Ihnen keinen Trost spendet, sondern Unbehagen bereitet." Und doch ist es ein ...

Wie der Autor selbst schreibt, möchte er es uns mit seinem Buch "nicht leichter, sondern schwerer machen. Es ist ein Buch, das Ihnen keinen Trost spendet, sondern Unbehagen bereitet." Und doch ist es ein hochinteressantes, sehr zugängliches, gut verständliches und spannend geschriebenes Buch, das zum Aktiv-Werden inspiriert, ohne zu sehr mit der Moralkeule daherzukommen.

Von Anfang ist die Leidenschaft des Autors für dieses Thema spürbar. Er kritisiert, wie viele hochintelligente und hochgebildete, privilegierte Menschen ihr Talent und ihre Lebensenergie nicht einsetzen, um die Welt besser zu machen, sondern in Jobs verharren, bei denen sie nichts Positives beitragen oder sogar Schaden anrichten. Dabei richtet er sich ausdrücklich nicht an die Menschen, die schon jetzt wichtige Aufgaben übernommen haben, bei denen sie sich für andere und für eine bessere Welt einsetzen, wie z.B. jene im Gesundheits- oder Bildungswesen. Sorgfältig mit empirischen Daten und wissenschaftlichen Quellen untermauert, zeigt der Autor auf, dass es leider eine Korrelation zwischen dem durchschnittlichen Einkommen in einem Bereich und dem, wie unmoralisch dieser Bereich angesehen wird, gibt: ganz oben in beiden Bereichen sind etwa die Finanz- und Tabakindustrie und die Waffenproduktion.

Über das Buch hinweg werden viele Beispiele einzelner Menschen beschrieben, die ihr Talent und ihre Leidenschaft - oft gemeinsam mit anderen und in Organisationen - dafür eingesetzt haben, die Welt zu einer besseren zu machen. Das Beispiel, das sich am stärksten durch das Buch zieht, ist die Bewegung des Abolitionismus, die sich für die Abschaffung der Sklaverei einsetzte, und damit am Ende auch erfolgreich war. Weitere Beispiele sind Menschen, die im 2. Weltkrieg Juden versteckten, die Suffragetten und ihr Kampf für die Rechte der Frau, aber auch Menschen der heutigen Zeit, die sich für den Schutz aller Menschen vor vermeidbaren Krankheiten, z.B. für die Bekämpfung der Malaria, oder auch für Tierschutz einsetzen.

Dabei stellt der Autor auch sehr interessante und manchmal unbequeme Fragen zur heutigen Zeit: so, wie Sklaverei früher mal gesellschaftlich akzeptiert und tief in den Vorstellungen der Menschen verwurzelt war, was sind die Übel der heutigen Zeit, die wir als normal ansehen und für die spätere Generationen uns verurteilen könnten? Werden zukünftige Generationen ähnlich entsetzt über die Massentierhaltung der heutigen Zeit sein, wie wir es sind, wenn wir an Sklaverei denken? Wofür lohnt es sich jetzt zu kämpfen?

Der Klimawandel ist weit fortgeschritten und hätte am besten vor Jahrzehnten schon bekämpft werden sollen... welche Themen sind es heute, die später zur Bedrohung werden könnten und wo wir frühzeitig einschreiten könnten, wenn wir jetzt was tun würden? Wie gehen wir z.B. mit der künstlichen Intelligenz und ihren Chancen und Herausforderungen um?

Wer sich dafür interessiert, sich für eine bessere Welt einzusetzen, findet in diesem Buch viele Rollenmodelle und inspirierende Ideen. Wir erfahren von einer eigenen Akademie für Idealisten. Von Menschen, die unglaubliche Summen Geld für eine gute Sache aufgetrieben haben. Aber auch von den Hindernissen, die einem Einsatz entgegen stehen können, z.B. zu starke Radikalität, die dazu führt, dass man kaum Unterstützer und Verbündete findet. Das Buch macht also auch sehr nachdenklich darüber, in welchen Bereichen wir uns daran hindern, etwas Gutes zu bewirken und auch, in welchen Bereichen wir uns vielleicht selbst anlügen (z.B. die Illusion, dass Bewusstsein alleine so bedeutsam sei, auch wenn ihm keine Handlungen folgen würden).

Am Ende wird auch noch der Bogen hin zu einer gesunden Balance geschlagen und darauf aufmerksam gemacht, dass bei aller Weltbesserungsfreude diese allein kein Selbstzweck sein müsse und es auch gute Argumente dafür geben könne, einfach Freude am Leben zu haben und dieses zu genießen, ohne, wie z.B. Gandhi, zu einem übergroßen Asketen fernab jeglicher weltlichen Genüsse werden zu müssen. Das macht das Buch erfrischend realistisch und lebensnah.

Ich kann das Buch allen, denen die Zukunft unserer Welt am Herzen liegt, nur eindringlich empfehlen.

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Veröffentlicht am 29.11.2024

Mutiger Bericht einer Missbrauchsüberlebenden

Trauriger Tiger
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"Trauriger Tiger" von Neige Sinno hat mir ein bisschen Angst gemacht, seit ich von dem Buch gehört, es mir gekauft und es mit seinem markanten Cover einer fast Ertrinkenden auf dem Schreibtisch vor mir ...

"Trauriger Tiger" von Neige Sinno hat mir ein bisschen Angst gemacht, seit ich von dem Buch gehört, es mir gekauft und es mit seinem markanten Cover einer fast Ertrinkenden auf dem Schreibtisch vor mir liegen hatte. Es ist von der Thematik her ein sehr heftiges Buch: Neige Sinno wurde als Kind jahrelang von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht und vergewaltigt, und erzählt in diesem Buch auf eine ihr sehr eigene Art und Weise davon.

Gleich am Anfang werden wir mit einer sehr explizit geschilderten Missbrauchsszene des Stiefvaters an ihr ins Geschehen hinein gestoßen. Dann folgt eine Reflexion Sinnos darüber, wer der Stiefvater als Persönlichkeit war und ist: ein sehr aktiver, extrovertierter, beliebter und charismatischer Mensch, der genau weiß, wie er Menschen für sich einnimmt, beeinflusst und Macht ausübt. Der Menschen so von sich überzeugen konnte und so viele Unterstützer hatte, dass sich selbst nach seinem Geständnis des Kindesmissbrauchs vor Gericht unzählige Entlastungszeugen fanden, die bereit waren, zu seinen Gunsten auszusagen und seinen ach so tollen Charakter zu loben. Wie übermächtig muss dieser Mensch der kleinen Neige erschienen sein!

Und auf der anderen Seite Neige Sinno, damals ein kleines Mädchen, heute schon lange erwachsen, und bis heute schwer traumatisiert und gebrochen. Das spricht sie auch an verschiedenen Stellen an, zum Beispiel, als sie einmal erwähnt, wie nur ein Teil von ihr hier ist und berichten kann. Und es wird fühlbar durch die starke Intellektualisierung, die sich durch das Buch zieht. Neige Sinno ist Literaturwissenschaftlerin und eine hochgebildete und hochintelligente Frau. Wie so viele traumatisierte Menschen, die gleichzeitig über so hohe kognitive Fähigkeiten verfügen, hat sie im Rückzug ins Intellektuelle auch in gewisser Weise ihre Rettung gefunden.

Trotz des so schlimmen Themas ist das Buch über weite Strecken sehr intellektuell und das führt dazu, dass man emotional beim Lesen immer wieder die Verbindung verliert und kaum gefühlsmäßig mitschwingt. Das hat durchaus seine Vorteile für die Lesenden, weil es dadurch die Lektüre wesentlich erträglicher macht, als wenn es anders wäre. Und es stellt die innere Abspaltung, die die Autorin wohl selbst erlebt, eindringlich dar. Gleichzeitig erreicht das Buch dadurch aber die Lesenden weniger auf der emotionalen Ebene - meine anfängliche Angst war in diesem Fall nicht begründet, das Buch ist wesentlich erträglicher zu lesen, als ich befürchtet habe.

Wenn ich überlege, was nachhallt, dann sind das nun auch nach Abschluss der Lektüre eher theoretische Überlegungen zum Thema, die die Autorin darin mit uns teilt: dazu, ob Gefängnisstrafen legitim sind und welchen Zweck diese erfüllen. Inwieweit Verbrechen und Strafausmaß miteinander zusammenhängen und zusammenhängen sollten. Was "Lolita" von Vladimir Nabokov für ein Buch ist (die Autorin liebt dieses, weil sie es mag, dass dadurch ausnahmsweise mal Kindesmissbrauch aus Sicht des Täters dargestellt wurde, was in der Literatur selten ist, und es ihr erleichtert hat, die Gedanken ihres Vergewaltigers nachvollziehen zu können) und ob es zu Recht so oft gelesen und rezipiert wird oder nicht auch problematisch sein kann. Welche Typologien von Vergewaltigern und Kindesmissbrauchern es geben könnte. Und so einiges mehr.

Geschrieben ist das Buch in einer "stream-of-consciousness"-Weise, es geht mal um dieses, mal um jenes, und ist nicht unbedingt sehr logisch und stringent gegliedert. Wir folgen der Autorin dabei, wie sie sich verschiedenen Aspekten ihrer Erfahrung überwiegend intellektuell annähert und dabei verschiedene Quellen miteinbezieht: aus der Literatur, aus Zeitungsartikeln über den Prozess (sie hat schlussendlich als junge erwachsene Frau den Stiefvater angezeigt, er hat vor Gericht gestanden und wurde zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, die er aber mittlerweile längst verbüßt hat), darüber, warum Menschen überhaupt Verbrechen begehen ("weil sie es können", meint die Autorin und zitiert dabei jemanden, der über Kriegsverbrechen geforscht hat) usw.

Eine Psychotherapie hat die Autorin nie gemacht, diese lehnt sie - vielleicht auch aufgrund von schlechten Erfahrungen mit Psychologen, die ihren Stiefvater mehr oder weniger freigesprochen haben - für sich ab. Ihre Auseinandersetzung ist und bleibt mehr eine intellektuelle, als eine emotionale. Das ist sehr gut nachvollziehbar, denn bei so einer tiefen, wiederkehrenden Traumatisierung diese alleine und ohne therapeutische Unterstützung auch emotional und nicht nur intellektuell aufzuarbeiten, das ist fast unmöglich. Es ist auch das gute Recht der Autorin, überwiegend auf der intellektuellen Ebene zu bleiben, vermutlich hat ihr diese ihr Überleben ermöglicht - oder zumindest das Überleben des Teils ihrer Persönlichkeit, der sich in dem Buch an uns Lesende wendet.

Es ist kein bequemes Buch für Lesende und richtet sich in seiner Art und Strukturierung auch nicht unbedingt vorrangig an uns. Eher ist es als persönliches intellektuelles Bewältigungstagebuch mit Quellen zu verstehen, an dem uns die Autorin teilhaben lässt, ohne sich in ihrem Schreibstil allzu sehr an uns und unsere Bedürfnisse beim Lesen und Verstehen anzupassen.

Immer wieder ist das Buch sperrig und nicht alles, was die Autorin erwähnt, erklärt sie auch schlüssig. Es ist und bleibt ihre sehr persönliche und eigene Sichtweise auf das Thema. Unklar ist mir auch bis heute der Titel und was in diesem Kontext "Trauriger Tiger" bedeutet. Die Autorin erwähnt ein Gedicht, in dem der Tiger und dessen Beutetier vorkommen und dass wohl beide vom gleichen Schöpfer erschaffen wurden, aus der gleichen Quelle stammen. Sie setzt also offensichtlich den Tiger mit dem Vergewaltiger gleich. Dann ist mir aber nicht klar, warum dieser Tiger traurig sein soll? Traurig, aber vor allem sehr wütend, kommt mir eher das Opfer, die Autorin vor... sieht sie sich dann auch als Tiger? Der Vergewaltiger wird hingegen eindringlich charakterisiert und scheint in Summe alles Mögliche zu sein - eingebildet, charismatisch, selbstbewusst, großkotzig - und in der Lage, nach 9 Jahren Gefängnis eine neue junge Frau zu finden und mit dieser weitere vier Kinder zu kriegen - aber traurig wirkt er nicht.

Vielleicht besteht aber gerade auch in der Sperrigkeit des Buches und in dem, was uns die Autorin nicht genauer erklärt und wo sie sich beim Schreiben des Buches nicht an potentielle Lesende anpasst, ein Akt der Rebellion gegen die Vergewaltigungen und ein großer Befreiungsschlag: nun, wo sie erwachsen ist und sich wehren und für sich einstehen kann, braucht die Autorin niemandem gegenüber mehr gefällig sein, auch nicht den Lesenden ihres Buches.

Ich bin froh, dieses Buch gelesen zu haben. Es ist ein eindringliches, besonderes Buch, das auf seine Weise sicher lange nachwirken wird.

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Veröffentlicht am 28.11.2024

Nur für Profiköche & Spezialisten

Flavorama
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Das Buch "Flavorama" wurde von der promovierten Geschmackswissenschaftlerin Arielle Johnson geschrieben. Das ist vorab sehr wichtig zu wissen, um eine erste Idee vom Anspruch dieses Buches bekommen zu ...

Das Buch "Flavorama" wurde von der promovierten Geschmackswissenschaftlerin Arielle Johnson geschrieben. Das ist vorab sehr wichtig zu wissen, um eine erste Idee vom Anspruch dieses Buches bekommen zu können.

Das Buch geht richtig, richtig in die Tiefe. Wer nur hin und wieder gerne kocht und sich hauptsächlich ein nettes Kochbuch erwartet, vielleicht noch mit ansprechenden Bildern, und dazu ein bisschen Hintergrundwissen zum Thema Geschmack, der wird mit diesem Buch keine große Freude haben.

Denn das Buch enthält richtig viel theorielastigen Text zum Thema Geschmack. Man kann darin sehr viel lernen, auch über die chemischen Hintergründe des Geschmacks, z.B. dazu, welche Moleküle dazu führen, dass etwas scharf schmeckt oder welche Säuren Elemente des fruchtigen Geschmacks ergeben können.

Wer also wirklich tiefgründig etwas über Geschmack lernen möchte und dabei auch vor viel Theorie nicht zurückschreckt, für den könnte dieses Buch etwas sein. Auch für Hobbyköche mit sehr hohem Anspruch oder Profiköche ist dieses Buch sehr interessant, weil es unglaublich viel Hintergrundwissen zu Geschmäckern vermittelt, von dem auch die eigene Kochkunst profitieren kann.

Dennoch ist es definitiv kein Kochbuch, sondern ein theoretisches Fachbuch über Geschmack. Zwar enthält es gelegentlich auch ein paar Rezepte, doch diese muss man erst einmal finden: es gibt keine Bilder dazu und sie heben sich grafisch auch kaum vom Rest des Fließtextes ab. Und dann sind es oft eher Rezepte, um die vermittelten Geschmacksprinzipien zu verdeutlichen, also solche, die eher einem didaktischen als einem kulinarischen Zweck dienen, und auch auf eher chemische Art und Weise beschrieben werden. Man braucht auch oft ziemlich spezielle Zutaten dafür z.B. Panela-Zucker.

Insgesamt ist es ein gutes und hochwertiges Buch, das aber nur für eine sehr spezielle Zielgruppe empfehlenswert ist. Ich empfehle allen, die sich dafür interessieren, sich vor der Kaufentscheidung genau zu informieren, worum es sich hier handelt.

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Veröffentlicht am 28.11.2024

Führt uns die KI in die absolute Banalität?

Täuschend echt
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Führt uns die KI in die absolute Banalität?

Charles Lewinsky ist bekannt dafür, sich in seinen Büchern auf humorvolle, spritzige Art und Weise mit ganz unterschiedlichen Themen auseinanderzusetzen. In ...

Führt uns die KI in die absolute Banalität?

Charles Lewinsky ist bekannt dafür, sich in seinen Büchern auf humorvolle, spritzige Art und Weise mit ganz unterschiedlichen Themen auseinanderzusetzen. In seinem neuesten Buch "Täuschend echt" geht es um das aktuelle Thema der künstlichen Intelligenz und die Frage, was passiert, wenn wir diese bei unserer Arbeit und für unsere Entscheidungen einsetzen, z.B. um einen Roman zu schreiben.

Der Ich-Erzähler ist ein im Leben gescheiterter und sich selbst ständig bemitleidender, zynisch gewordener Mensch, der von seiner Ex-Freundin Sonja belogen, ausgenutzt und bestohlen wurde - sie hat nach ihrem Auszug auch seine Kreditkarte mitgenommen, um damit auf Bali zu feiern - sich nun widerwillig um die von derselben zurückgelassene Schlange kümmert und daneben als mäßig erfolgreicher Werbetexter arbeitet, bis er auch diesen Job verliert, weil er von seinem Chef bei Privataktivitäten in der Arbeitszeit ertappt wird. Dieser namenlose Ich-Erzähler, sein Scheitern und insbesondere seine Rachefantasien gegenüber Sonja bilden den ersten Themenstrang dieses Romans.

Der zweite Themenstrang besteht aus der fiktiven Geschichte in der Geschichte, aus dem Roman, den der Ich-Erzähler mit Hilfe der KI schreibt. In diesem geht es extrem klischeehaft um die junge Schabnam aus Afghanistan, die unter einem Vorwand dorthin zurückgelockt wird und extremes Leid erdulden muss, bis hin zur Entstellung durch ein Säureattentat. Von einem reichen Menschen, der sich mit seiner Wohltätigkeit profilieren möchte, dazu beauftragt, einen rein auf Tatsachen beruhenden Roman über benachteiligte Menschen und deren Schicksale zu verfassen, erfindet der Ich-Erzähler mit Hilfe der KI die klischeehafte Schabnam-Geschichte. Nur blöd, dass diese ein Bestseller wird und der Druck, die echte Schabnam präsentieren zu können, immer größer wird.

Das Buch ist über viele Strecken eine leichte, humorvolle Unterhaltung für Zeiten, in denen man nicht den Kopf und die Nerven für anspruchsvollere Lektüre hat. Immer wieder scheint der Witz durch, den Lewinsky durchaus hat. Anfangs war es für mich auch spannend, mitzuverfolgen, was für eine Art von Roman mit Hilfe der künstlichen Intelligenz entsteht. Die Schabnam-Geschichte beruht nämlich auf echten Vorschlägen dieser. Leider erfahren wir aber nicht, welche Prompts Lewinsky bzw. der Ich-Erzähler dafür eingegeben hat.

Mit zunehmendem Fortschreiten der sehr klischeehaften Schabnam-Geschichte wurde es für mich beim Lesen aber immer langweiliger. Ich hatte das Gefühl, das Erkenntnispotential über KI, das ich aus diesem Roman gewinnen konnte, schon ausgeschöpft zu haben, und spätestens in der Hälfte des Buches ein Gefühl für deren Vorteile und Grenzen gewonnen zu haben.

Auch der Erzählstrang des namenlosen, sich vom Leben benachteiligt fühlenden Mannes entwickelt sich zunehmend klischeehaft und vorhersehbar, wie ein billiger Krimi, und endet schließlich auch als solcher. Das mag eventuell vom Autor so gewollt und ein spezieller Kniff sein und es bleibt zu rätseln, ob nicht auch bei diesem Themenstrang ungenannt die KI mit am Werk war?

Jedenfalls gleichen sich beide Themenstränge in ihrer Klischeehaftigkeit und Banalität immer mehr an. Zum Lesen macht es das nicht unbedingt spannend, gibt aber Stoff zum Nachdenken darüber, in welcher Welt wir leben wollen und was für Bücher entstehen könnten, wenn die KI, so wie sie momentan funktioniert, bei deren Erstellung eine immer größere Rolle spielen würde, und wie dadurch Durchschnittlichkeit, Banalität und Klischees immer wieder reproduziert werden.

So gesehen ist es ein gutes Buch, das zum Nachdenken anregt, sich aber nicht sonderlich interessant liest und auch nach meiner Beurteilung sein mögliches Potential nicht voll ausschöpft. Gerne hätte ich z.B. zur Vervollständigung auch die Prompts gelesen und noch mehr darüber erfahren, ob und wie es auch möglich wäre, mit der KI jenseits dieser Banalität zusammenzuarbeiten - so habe ich nur die eine Seite kennen gelernt: das, was die KI ausgibt, aber kann nicht klar darauf schließen, inwiefern das damit zusammenhängt, womit sie gefüttert wurde.

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Veröffentlicht am 25.11.2024

Ein Hoch auf die Freundschaft!

Dynasty of Hunters, Band 1: Von dir verraten (Atemberaubende, actionreiche New-Adult-Romantasy)
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"Dynasty of Hunters" ist für mich ein ganz besonderes Fantasy-Buch, das noch lange nachhallen wird. Gerade habe ich es atemlos beendet und werde mir direkt den zweiten Band, der nächstes Jahr erscheinen ...

"Dynasty of Hunters" ist für mich ein ganz besonderes Fantasy-Buch, das noch lange nachhallen wird. Gerade habe ich es atemlos beendet und werde mir direkt den zweiten Band, der nächstes Jahr erscheinen wird, vorbestellen.

Was liebe ich an diesem Buch so? Zuerst einmal die wunderschöne Aufmachung mit dem Farbschnitt und dem aufwändig und ansprechend gestalteten Cover, die es ein Vergnügen macht, das Buch anzusehen oder in der Hand zu haben. Aber das schönste Cover alleine wäre nichts ohne eine tolle Geschichte... und auch hier überzeugt "Dynasty of Hunters" auf allen Ebenen.

Nach der Beschreibung war ich mir nicht sicher, ob es nicht eine kitschige Liebesgeschichte sein würde, so wie es unter den als "Romantasy" gelabelten Büchern so einige gibt. Das ist nicht meines, ich bin deutlich mehr Fantasy- und Dystopie- als Romance-Fan. Umso glücklicher war ich, als ich feststellen konnte, dass es in diesem Buch so viel mehr um Freundschaft, Loyalität, Zusammenhalt und Gesellschaftskritik geht als um eine Romanze.

Worum geht es?

Laelia de Bleu wächst behütet als einzige Tochter der Hauptadelsfamilie der de Bleus auf, mit liebenden, umsorgenden Eltern und zwar ohne Geschwister, aber mit einer Cousine, Astoria, die ihr nah steht wie eine Schwester ("ma soeur"). Als Adelige und Thronerbin erhält sie ein umfangreiches Training, insbesondere in den für die sogenannte "Jagd" nötigen Fähigkeiten. Es gibt nämlich ein Initiationsritual, dem sich alle adeligen Jugendlichen im Alter zwischen 16 und 18 Jahren unterziehen müssen, um in die adelige Gesellschaft aufgenommen zu werden: sie werden zehn Tage auf einer einsamen Insel ausgesetzt, gemeinsam mit bürgerlichen Jugendlichen. Jedem adeligen Jugendlichen ist ein bürgerlicher Jugendlicher zugeteilt, den er jagen und "zeichnen" soll. Zeichnen bedeutet, sich den anderen als lebenslanger persönlicher Diener untertan zu machen, unter Einsatz der magischen Kräfte der adeligen Jugendlichen, die sie über ihre Hände in einen anderen leiten können.

Je nach Farbe des Adelshauses unterscheidet sich, über welche Bereiche anderer Menschen man verfügen kann: die de Bleus (blau) kontrollieren den Körper, die de Rouges (rot) die Emotionen, die d'Ors (gold) den Geist, die de Verts (grün) die Erinnerungen, die de Blancs (weiß) Leben und Tod des Unterworfenen. Und dann gab es früher auch noch die nun ausgelöschten de Noirs, die die Fähigkeiten hatten, die Kräfte aller anderen Häuser zu kontrollieren und deren Zeichnungen zu verändern oder zu löschen. Diese hatten als einzige Mitgefühl mit den bürgerlichen Jugendlichen gezeigt und sich für die Abschaffung der Jagdspiele eingesetzt - für diesen Frevel (in den Augen der anderen Adelshäuser) wurden sie ausgelöscht und ihre Ländereien unter den anderen Häusern aufgeteilt.

Laelia ist schon seit einigen Jahren in einer Liebesbeziehung mit Laurent de Vert, nach den erfolgreichen Jagdspielen möchten sie heiraten. Doch dann geschieht das Unvorstellbare: bei der Ziehung wird Laelia nicht wie allen anderen adeligen Jugendlichen das Los einer Jägerin, sondern das einer Gejagten zugeteilt - und Laurent ist ihr Jäger.

So weit die bekannte Geschichte, die sich schon aus Einführung und Klappentext erschließt. Und jetzt hätte das eben eine schnulzige, dramatische Liebesgeschichte werden können... wird es aber nicht! Den Großteil des Buches macht die Zeit auf der Insel aus und - ohne inhaltlich zu viel vorab zu verraten - ich habe es einfach großartig gefunden, wie die kluge und sensible Laelia sehr schnell beginnt, diese Spiele zu hinterfragen, nun, da sie selbst in der Position der Gejagten ist. Wie wir mitbekommen, wie sie mehr und mehr kritisch zu denken beginnt und erkennt, Teil von was für einem unterdrückerischen Regime sie eigentlich ist/war. Wie sie sich den gejagten Jugendlichen annähert und sich mit diesen anfreundet.

Richtig großartig habe ich all die Freundschaften und die Verbundenheit und Loyalität unter den gejagten Jugendlichen gefunden - es ist wunderschön zu sehen, wie diese unter extremen Bedingungen zusammenhalten, füreinander einstehen und sich sogar füreinander opfern. Hier ist das Buch trotz der düsteren Hintergrundkulisse deutlich angenehmer zu lesen als z.B. "Die Tribute von Panem", das in einem ähnlichen, aber noch wesentlich unbarmherzigeren Setting spielt, in dem kaum wirklicher Zusammenhalt möglich ist, weil alle gegeneinander kämpfen. In "Dynasty of Hunters" hingegen sind Bündnisse möglich, sehr leicht auf jeden Fall unter den Jägern und den Gejagten, aber es gibt auch Überraschungen.

Ich mag es auch, wenn mich ein Buch - auch wenn es eine Romantasy-Dystopie wie diese ist - nicht nur unterhält, sondern auch zum kritischen Nachdenken anregt, über die im Buch beschriebene Gesellschaft und mögliche Parallelen zu real existierenden Gesellschaften. Sehr authentisch ist zum Beispiel dargestellt, wie die jagenden Jugendlichen von Vornherein einmal das Szenario kaum wirklich hinterfragen, nur die Gejagten tun das - wie es so oft auch real zu beobachten ist: die ganz oben, die über Privilegien verfügen und diese oft auch zum Schaden anderer einsetzen, sind sich dessen oft gar nicht bewusst, und das Mitgefühl mit Ausgebeuteten und Unterlegenen ist erst einmal meist gering. Außerdem wird gezeigt, wie sich die unterschiedliche Sozialisierung auch in der Körperhaltung und im Auftreten zeigt: Laelia hat selbst in der Rolle der Gejagten ein viel selbstbewussteres Auftreten und auch dadurch bessere Chancen als die bürgerlichen Jugendlichen, die sozialisiert wurden, sich zu unterwerfen, den Blick zu neigen und Opfer zu sein. Wobei auch das nicht von allen angenommen wird, es gibt auch eine Widerstandsbewegung...

Das Buch ist also auf vielen Ebenen nicht nur unglaublich spannend und unterhaltsam, sondern regt auch zum Nachdenken an. Fantasy-Dystopie vom Feinsten - klare 5 Sterne von mir und eine Leseempfehlung für alle, die für dieses Genre offen sind! Ich habe in diesem Genre schon länger nicht mehr so etwas Gutes und Berührendes gelesen!

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