Nett, aber wenig Konflikt
Das WohlbefindenIch habe das Buch über eine Leserunde gewonnen und ich fand das Thema "Beelitz" interessant. Verglichen mit dem Historien-Roman davor geht das Thema leider unter, stattdessen verstrickt sich die Autorin ...
Ich habe das Buch über eine Leserunde gewonnen und ich fand das Thema "Beelitz" interessant. Verglichen mit dem Historien-Roman davor geht das Thema leider unter, stattdessen verstrickt sich die Autorin in zwei Traumata, die über mehrere Generationen getragen werden.
Rezi enthält Spoiler!
Worum geht es?
Der Text spielt auf drei Ebenen: Im Jahre 1907/08 erleben wir die Schriftstellerin Johanna, die ihren Erfolgsroman schreibt und wir sehen die Vorgänge in Beelitz. Außerdem erleben wir das Medium Anna, das zur Schlüsselfigur wird. Im Jahre 1967 ist Johanna dement und Erinnerungen kommen auf. 2020 findet ihre Urenkelin Vanessa Notizen Johannas, gleichzeitig hadert sie mit ihrem eigenen Leben. Und wieder spielt Beelitz eine Rolle. Über allem schwebt das Thema Okkultismus.
Wie hat mit das Buch gefallen?
Das Cover finde ich toll, es erinnert mich an Wandbilder der 20er Jahre im Jugendstil. Verglichen mit anderen Titelbildern ist es ein bisschen einzigartig - es würde auffallen, aber ich habe das Gefühl, schon ähnliches gesehen zu haben.
Der Inhalt selbst war nett, aber nicht prägnant. Johanna ist eine Frau des Bürgertums, die vom Vater ein Haus geerbt hat und mit einem Arzt verheiratet ist. Dieser verkörpert die Naturwissenschaften im Buch. Im Gegensatz zu Johanna fühlt er sich von Übersinnlichem abgestoßen und sucht ein Heilmittel gegen Tuberkulose. Johanna selbst sieht sich als Autorin, fühlt sich aber von vielem gestört - Geräuschen, ihrem Mann, den Kindern. Umso empfänglicher ist sie für Natur und Übersinnliches. Auf mich wirkte sie hochsensibel. Ihr Problem ist, dass sie es der herrischen Mutter nie recht machen konnte und daher in Anna jemanden findet, der sie unterstützt. Auch in ihre Familie findet sie sich nicht hinein, zu sehr ist sie in der Angst verhaftet "nicht richtig" zu sein.
Anna bleibt bis zum Schluss eine Figur, die man nicht greifen kann, und wahrscheinlich nicht greifen soll. Auch sie hat einen Hang zum Übersinnlichen, sieht Dinge, bevor sie passieren. Sie kommt mit Tuberkulose nach Beelitz und wird gleichermaßen ausgegrenzt und vereehrt. Nach einer Nahtoderfahrung verstärkt sich das Gefühl, dass das Göttliche durch sie spricht, sie wird als Medium, auch missbräulich, erforscht und benutzt. Später dient sie Johanna als Mutterersatz und Muse. Sie schleicht sich aber auch in das Leben der Familie und nutzt ihre Fähigkeiten selbst für Vorführungen. Anhand Annas sehen wir unterschiedliche Strömungen des Okkulten und hinterfragen, welchen Sinn das hat. Viele Figuren im Buch glauben mehr oder weniger daran und es ist nie klar, was fiktiv und was echt ist.
Aus dem Kampf zwischen Übersinnlichem und Naturwissenschaftlichen, verkörpert durch beide Eheleute, entwickelt sich ein Spannungsfeld, das der Roman nur wenig ausnutzt. Stattdessen sehen wir Johanna, die ständig mit sich kämpft, und vom Ehemann sehen wir wenig. Die Auflösung des Konfliktes ist nett, aber nicht überraschend.
Im Roman klingt sovieles an, das man hätte näher ausführen können. Welche gesellschaftliche Funktion das Übersinnliche hatte, wie (vor allem) Frauen ausgenutzt wurden, weil man davon ausgeht, dass sie empfänglicher sind. Wie man mit Menschen umgeht, bei denen das mit einer psychischen Erkrankung einhergeht. Aber auch, dass Beelitz ein fortschrittliches Kurheim war, das aber einen kapitalistischen Hintergrund hatte: Man wollte die Menschen arbeitsfähig machen.
Die anderen Zeitebenen haben für mich die Spannung nur mäßig erhöht. Johannas Demenz zu sehen und zu erkennen, dass sie sich als Schriftstellerin wichtiger empfindet, als sie nach 60 Jahren ist, das war traurig. Vanessa stellt die Verbindung zur Jetzt-Zeit nach und gibt Möglichkeiten für Gesellschaftskritik. Trotzdem hätte ich auf beide Perspektiven verzichten können. Ohnehin hätte ich ganze Absätze überlesen können, ohne, dass ich etwas verpasst hätte.
Die Figuren haben mich emotional nicht gepackt, ich konnte mich mit allen etwas identifizieren, aber ich habe nicht mitgelitten.
Manche Leser:innen haben im Buch einige Verweise an reale Personen gefunden z.B. Rudolf Steiner und Thomas Mann. Wer gern zwischen den Zeilen liest, wird also seine Freude daran haben.
Fazit
Für mich hat das Buch leider nur wenige Spuren hinterlassen. Den Grundkonflikt fand ich auf emotinonaler und gesellschafticher Ebene interessant, es wurde aber zuviel angedeutet, zuviel erzählt.