Spannende Ansätze, aber schwer greifbar
Solitude 1: Devour the LightDie Grundidee von Solitude 1: Devour the Light hat mich sofort angesprochen, gerade durch den spannenden Prolog, der direkt Neugier weckt. Doch je weiter ich gekommen bin, desto mehr wurde mir bewusst, ...
Die Grundidee von Solitude 1: Devour the Light hat mich sofort angesprochen, gerade durch den spannenden Prolog, der direkt Neugier weckt. Doch je weiter ich gekommen bin, desto mehr wurde mir bewusst, dass ich mit vielen Elementen der Geschichte Schwierigkeiten hatte. Diese Rezension soll meine Eindrücke, sowohl positiv als auch kritisch, möglichst ehrlich und strukturiert wiedergeben.
Kapitelstruktur, Lesefluss & Perspektivwechsel
Die Kapitelstruktur hat mir grundsätzlich gut gefallen. Die Kapitellängen waren angenehm und sorgten dafür, dass man schnell noch „ein Kapitel mehr“ lesen oder hören wollte. Dadurch kam ein gewisser Sog zustande, der den Lesefluss gefördert hat, zumindest dann, wenn ich nicht gerade mit den inhaltlichen Unklarheiten zu kämpfen hatte. Erzählt wird in der Ich-Perspektive, abwechselnd aus der Sicht von Louve und Enean.
Einstieg in die Geschichte, Worldbuilding und Erzählstruktur
Der Prolog hat mir direkt gut gefallen, er war atmosphärisch, geheimnisvoll und hat sofort meine Neugier geweckt. Danach wurde es allerdings schwierig: Ich war ziemlich überfordert mit dem Worldbuilding. Es war schwer zu erkennen, wie die Welt funktioniert, welche Regeln gelten, wie die Charaktere miteinander verbunden sind. Zwar gibt es hinten im Buch ein Glossar, was ich grundsätzlich super finde, so konnte man wenigstens bestimmte Begriffe nochmal nachschlagen. Aber im Verlauf der Geschichte selbst wird vieles einfach zu wenig erklärt. Die Erzählstruktur wirkt stellenweise sprunghaft. Szenenwechsel, Actionszenen folgen oft in schneller Abfolge, ohne dass genügend erzählerischer Rahmen geboten wird, um das gelesene einzuordnen. Als jemand, der beim Lesen jeden Satz im Kopf wie einen Film visualisiert, bringen mich solche Ungereimtheiten komplett aus dem Lesefluss. Ich musste einzelne Kapitel mehrfach hören oder nachlesen, weil mir der inhaltliche Zusammenhang gefehlt hat. Vieles blieb unklar, sowohl das übergeordnete Ziel der Figuren als auch die Verbindung einzelner Szenen untereinander. Das hat es mir insgesamt sehr schwer gemacht, in der Geschichte zu bleiben.
Charaktere & Humor
Ein echtes Highlight war für mich Louve. Sie ist frech, grumpy, selbstbewusst und bringt eine erfrischende Art mit sich, die sich deutlich von typischen Fantasy-Heldinnen abhebt. Ihre Dialoge, auch mit der derberen Wortwahl, haben super zu ihr gepasst und der Welt eine eigene Note gegeben. Auch wenn Louves Entwicklung später für mich nicht ganz nachvollziehbar war, war sie insgesamt noch die Figur, mit der ich am ehesten mitgehen konnte. Mit den anderen Charakteren, vor allem Enean, bin ich leider nicht so richtig warm geworden. Ich konnte ihre Motivationen und Handlungen oft schwer nachvollziehen, und ihre Beziehungen untereinander waren für mich nicht klar greifbar.
Magiesystem, Schatten & Ideenreichtum
Trotz meiner Schwierigkeiten muss ich sagen: Es steckt wahnsinnig viel Potenzial in dieser Welt. Auch die Mischung aus urbaner, leicht dystopischer Fantasy mit einer eigenen Stadt, Schattenassassinen und seltsamen Wesen hat richtig viel Reiz. Gleichzeitig finden sich darin aber auch moderne Elemente wie Technik, Elektronik und alltägliche Gegenstände wieder, was dem Setting eine originelle Note verleiht. Leider wurde das alles nur angerissen, ohne richtig ausgebaut zu werden. Ich hätte mir gewünscht, dass das Magiesystem, die Schatten, die Azae intensiver erklärt werden. Vieles bleibt unklar oder wirkt wie im Vorbeigehen erzählt. Vielleicht wird das im zweiten Band noch aufgegriffen aber im ersten Teil hätte ich mir mehr Klarheit gewünscht.
Fazit
Auch wenn mir das Buch insgesamt nicht wirklich gefallen hat, sehe ich darin dennoch viel Potenzial. Die Welt ist voller spannender Ideen und der Humor in den Dialogen sowie die Figur Louve bringen Farbe in eine ansonsten eher düstere Welt. Die Autorin zeigt in vielen kleinen Momenten definitiv ihr Können, denn immer wieder finden sich poetische und perfekt formulierte Passagen, die mich beeindruckt haben.
"Wrens silbergetränkte Silhouette bewegt sich auf mich zu, während er mir den Himmel verspricht und mir die Hölle zu Füßen legt."
"Ich ertrinke in einem Ozean aus ungeweinten Tränen"
Dennoch konnte die Geschichte dieses Potenzial nicht vollständig ausschöpfen, da das Gesamtkonstrukt der Handlung für mich nicht so stark ausgearbeitet war. Leider fehlt dem Buch für mich ein klares Konzept, es gab zu wenig Struktur, zu viele offene Fragen und keinen roten Faden. Ich kam nicht richtig in die Geschichte hinein, konnte den Charakteren nicht durchgehend folgen und fand auch die emotionale Tiefe teilweise nicht nachvollziehbar. Der Spannungsbogen verläuft nicht kontinuierlich, die Charakterentwicklungen wirken in Teilen unlogisch oder zu abrupt. Obwohl die Geschichte punktuell spannende Momente bietet, verpufft die Spannung häufig schnell oder läuft ins Leere. Statt eines klaren Finales wirkt das Ende eher wie ein Ausklingen der Geschichte, ohne spürbare Konsequenzen.
Leser*innen, die nicht unbedingt jeden einzelnen erzählerischen Rahmen oder jede Information brauchen, um eine Geschichte zu genießen, könnten an diesem Buch durchaus Gefallen finden. Für mich persönlich, die ich jeden Satz genau verstehen und mir bildlich vorstellen muss, um richtig in die Geschichte einzutauchen, war das allerdings schwierig. Wer also viel Kontext und klare Erklärungen braucht, um sich zurechtzufinden, könnte mit Solitude 1 eher weniger glücklich werden.
Hätte ich es nicht im Rahmen einer Leserunde gelesen, hätte ich es wahrscheinlich abgebrochen, einfach weil es für mich zu anstrengend war, den Überblick zu behalten.