Auf der Suche nach dem verlorenen Vater
Seinetwegen
In ihrem Roman “Seinetwegen” arbeitet die Autorin Zora del Buono ihre eigene Familiengeschichte auf. Aber nicht nur das- spotlightartig werden immer wieder Fakten aus den Jahren ab 1960 eingeschoben, ...
In ihrem Roman “Seinetwegen” arbeitet die Autorin Zora del Buono ihre eigene Familiengeschichte auf. Aber nicht nur das- spotlightartig werden immer wieder Fakten aus den Jahren ab 1960 eingeschoben, oft zum eigentlichen Thema des Buches passend, manchmal aber auch ohne Zusammenhang. Daher irritiert das anfänglich, denn man sucht hier nach dem der Bedeutung für den Fortgang der Geschichte.
Der Vater der Autorin, ein angesehener, junger Arzt, kam bei einem Autounfall vor sechzig Jahren schuldlos ums Leben. Wie die Autorin schreibt: Ein wertvoller Mensch, dessen Tod keinen Sinn ergibt. Der Verursacher des Unfalls wird von ihr völlig anders beurteilt: Erst kurz den Führerschein, fuhr trotzdem schon mehrere Autos und hatte bereits mehrere Unfalle. Trotz dieser Tatsachen wird er vom Gericht nur zu 200 Franken Strafe und bedingter Haft verurteilt. Damals war die Autorin erst acht Monate alt.
Über ihre Kindheit und Jugend erfährt der Lesende nicht viel, speziell nicht über das Verhältnis von Mutter und Tochter. Beide haben nie über den Tod des Vaters gesprochen und so bleibt, wie sich zeigen wird, vieles ungesagt. Nunmehr ist die Mutter dement und in einem Pflegeheim, die Chance einer Aufarbeitung vertan.
Als die Autorin ihre Nachforschungen zum Unfallverlauf beginnt, wird sie von den Schweizer Behörden arrogant und unhöflich abgewiesen. Sie fährt an den Ort des Geschehens und erst durch Gespräche mit Menschen, die E. T., den Todeslenker, gekannt haben und die Nachforschungen eines Archivars erfährt sie, dass dieser lebenslang an seiner Schuld gelitten hat, lange Zeit für die Unfallfolgen bezahlt hat und Kontakt mit ihrer Mutter hatte. Auch hat er ihren Vater im Spital besucht, wo dieser im Koma lag und die Mutter die schwierige Entscheidung getroffen hat, die lebenserhaltenden Maschinen abzuschalten. Aus dem “Töter”, wie ihn die Autorin bezeichnet, wird langsam das Bild eines Menschen und seines Schicksals.
Die Einschübe im Buch befassen sich häufig mit Autos und allgemein mit dem Unfallgeschehen. Hier hat die Autorin sorgfältig recherchiert und wir erfahren Fakten. Ebenso sind die Stellung der Frau, ihr Missbrauch im Verlauf der Geschichte und furchtbare weibliche Schicksale immer wieder Thema. Auch die Verfolgung Homosexueller bekommt in diesen Abschnitten Raum. Die Autorin schildert in einer klaren, präzisen und sachlichen, ja distanzierten Sprache die Geschehnisse, sie wie durch ein Brennglas betrachtend und den Lesenden überlassend, ob sich daran Ekel, Abscheu oder auch Mitleid entzündet.
Das gut zum Thema passende Cover, ein Mann auf eine gewundene Straße blickend, lässt Raum für Interpretation, ob hier Vater oder Unfalllenker dargestellt sind. Wer immer, er blickt wohl auf den Weg, den sein Schicksal genommen hat.
Der Roman “Seinetwegen” ist bereits das zweite Buch von Zora del Buono, in dem sie ihre Familiengeschichte aufarbeitet. Neben ihren Romanen “Die Marschallin”, “Gotthard” und “Hinter Büschen an eine Hauswand gelehnt” hat sie eine Kulturzeitschrift gegründet und als Architektin und Bauleiterin gearbeitet.
Das vorliegende Buch der Autorin ist ein vielschichtiges Werk, in dem Persönliches mit (Zeit)geschichtlichem verwoben wird. Immer wieder stellt sich die Frage nach Schuld und Sühne und der Lesende, der sich auf die Welt von Zora del Buono einlässt, wird nachdenklich zurückbleiben, seine Meinung über das Buch vielleicht erst im zweiten Anlauf bilden, aber dankbar sein, dass ihn die Autorin in ihr Leben gelassen hat und an ihren Gedanken teilnehmen ließ.